Glaubensbekenntnis:Lilo Wanders

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Der Schauspieler und Travestiekünstler Ernst-Johann Reinhardt, 59, hat die Figur Lilo Wanders seit vielen Jahren fast ausschließlich gespielt. Er ist froh, die Schuldgefühle der frühen Lebensjahre endlich los zu sein.

Von Julia Rothhaas

Katholiken haben es im Leben ein bisschen leichter: Die stellen etwas an, gehen zur Beichte und dann ist alles wieder gut. Wir Protestanten laufen mit dem Gefühl durchs Leben, wir müssen gut sein. Und wenn wir es nicht sind, kommt irgendwann die Strafe.

Dieses Schuldgefühl war lange tief in mir verankert. Ich hatte aber nicht nur Angst vor der Strafe Gottes, sondern auch vor der Bestrafung durch Goethe. Im Schlafzimmer meiner Eltern hing eine Bleistiftzeichnung von ihm an der Seite des Kleiderschranks, auf dem Porträt guckte er so böse. Wenn ich mich danebenbenommen hatte, musste ich mich vor das Bild stellen und seinen Blick aushalten. Das war eine schlimme Strafe, ich hatte einen Heidenrespekt vor ihm.

Den hatte ich auch vor meiner Großmutter. Die war mindestens so schlimm wie der grimmig guckende Goethe. Meine Mutter hat mal nach der Arbeit erst meinen Bruder in den Arm genommen und nicht mich. Da bin ich durchgedreht vor Eifersucht. Die diktatorische Oma hat mich daraufhin mit ihrem Stock geschlagen und dabei geschrien: Du bist der Teufel! Ich schlage dir den Teufel aus dem Leib! Da war ich fünf Jahre alt.

Inzwischen glaube ich nicht mehr an einen strafenden Gott und auch an sonst keine Strafinstanz. Vielmehr finde ich, dass alles Göttliche zutiefst menschlich ist. Ich glaube aber an eine Intelligenz. Wenn ich mir die ganze Schöpfung so angucke und all die komplizierten Vorgänge, die trotzdem so stimmig sind, muss es eine gewisse Ordnung gegeben haben, damit sich das alles entwickeln konnte.

Ich lebe seit über dreißig Jahren in einer Partnerschaft. In guten wie in schlechten Zeiten, das ist wohl der Glaubenssatz, den wir in unserer Beziehung leben. Und so habe ich noch nie jemanden verlassen, das könnte ich auch nicht. Ich habe nie verstanden, dass eine Liebe oder Zuneigung, die eben noch vorhanden war, plötzlich nicht mehr da sein soll. Wenn lebende Menschen verschwinden - das ist bis heute mein Knackpunkt.

Das hat wohl damit zu tun, dass der Tod früh in mein Leben getreten ist. Wenige Monate vor meinem fünften Geburtstag ist mein Vater gestorben. Allerdings hatte ich als Kind das Gefühl, nicht trauern zu dürfen. Drei Jahre nach dem Tod meines Vaters ist auch noch mein Bruder verstorben. Erst dann bin ich über der Verzweiflung dieser beiden Ereignisse zusammengebrochen. Es hat lange gedauert, aber heute kann ich den Tod gut akzeptieren. Ganz anders eben als eine Liebe, die zu Ende geht.

Obwohl die Kirche in meinem Leben keine Rolle spielt, bin ich einer bis heute besonders dankbar. Wir waren vor vielen Jahren im Urlaub, da waren unsere drei Kinder plötzlich weg. Wir entdeckten sie in der kleinen Dorfkirche und haben uns köstlich amüsiert: Sie knieten vor dem Altar. Nicht um des Glaubens willen, sondern, weil sie gerade eine Filmszene nachspielten.

Lilo Wanders ist eine Figur, die der Schauspieler und Travestiekünstler Ernst-Johann Reinhardt, 59, seit vielen Jahren fast ausschließlich spielt. Bekannt wurde Wanders als Sex-Expertin der Sendung "Wa(h)re Liebe". Reinhardt ist schwul, er lebt mit seiner Frau nahe Hamburg. Das Paar hat drei Kinder.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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