Expertentipps zur Erziehung:Reden und reden lassen

Manche Eltern müssen sich mit dem Telefon im Keller verstecken, um ein ungestörtes Gespräch führen zu können. Erziehungsberaterin Trudi Kühn erklärt, wie es anders geht.

Katja Schnitzler

Ob bei Telefonaten oder direkten Gesprächen zwischen Erwachsenen, diese Klage von Eltern hört man immer wieder (falls sie den Satz zu Ende sprechen können): "Ich kann kein Gespräch führen, ohne dass mich mein Kind ständig unterbricht!" Wie man das Problem löst, ohne laut zu werden, erklärt Pädagogin Trudi Kühn, die in Deutschland STEP, ein Training für Eltern und Pädagogen eingeführt hat. In den Elternkursen lernen Väter und Mütter, wie sie ihre Kinder konsequent und dennoch mit mehr Gelassenheit erziehen. Ein Gespräch über Aufmerksamkeit zur falschen Zeit und die Macht des gemeinsamen Entschlusses.

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Hoffentlich war es nichts Wichtiges: Es ist nicht leicht, sich auf ein Gespräch zu konzentrieren, wenn der Nachwuchs die ganze Aufmerksamkeit fordert.

(Foto: Kzenon - Fotolia)

Süddeutsche.de: Warum sind so wenige Kinder still, wenn Erwachsene reden?

Trudi Kühn: Wir erleben oft im Alltag, dass Kinder Gespräche unterbrechen - und sich viele Erwachsene unterbrechen lassen. Die Kinder wollen Aufmerksamkeit. Die bekommen sie dann auch, oft allerdings durch Schimpfen der genervten Eltern, die sich gestört fühlen.

Süddeutsche.de: Das ist für alle Beteiligten keine schöne Situation. Wie kann man sie vermeiden?

Kühn: Kinder möchten dazugehören. Wenn Kinder das Gefühl haben, dass sie im Alltag durch positives Verhalten nicht genug beachtet werden, dann versuchen sie es eben auf negative Weise, etwa indem sie Gespräche unterbrechen. Wenn die Eltern verstehen, dass ihre Kinder an ihrem Leben teilhaben möchten, können sie sie an anderer Stelle immer wieder konstruktiv einbeziehen. Mit der Zeit haben die Kinder es dann nicht mehr nötig, eine Unterhaltung zu stören.

Süddeutsche.de: Also sollen Eltern mehr Aufmerksamkeit schenken und warten, bis sich das Problem von allein regelt?

Kühn: Wenn die Kinder älter sind, kann man zusätzlich für solche Gesprächssituationen klare Regeln aufstellen, aber gemeinsam mit den Kindern. Ganz wichtig ist, dass die Kinder auch verstehen, worum es geht. Wenn sie nachvollziehen können, dass es eine Frage des Respekts ist, seinem Gesprächspartner zuzuhören - übrigens auch wenn dieser ebenfalls noch ein Kind ist - fällt es ihnen leichter, in diesem Moment nicht zu stören und zu warten, bis das Gespräch beendet ist.

Süddeutsche.de: Aber wie können das auch jüngere Kinder begreifen?

Kühn: Auch sie lernen durch die Reaktion der Eltern, denn diese sind Vorbilder. Eltern können das Problem mit konkreten Beispielen thematisieren, wenn das Alter es zulässt, zum Beispiel indem sie gemeinsam mit den Kindern hinterfragen, wie sie selbst es finden, wenn Eltern ständig unterbrechen, während sie mit ihren Freunden sprechen oder spielen wollen.

Süddeutsche.de: Nun haben die Eltern gemeinsam mit ihrem Kind die Regel aufgestellt, diese so gut wie möglich vermittelt - und beim nächsten Gespräch unterbricht es trotzdem wieder.

Kühn: Dass ein Kind die Regel mal vergisst, kommt natürlich vor. Ganz wichtig ist, dem Kind in dieser Situation nicht zu antworten, das bedeutet, auf die Unterbrechung nicht zu reagieren - Notfälle sind davon natürlich ausgenommen. Ansonsten kann man Folgendes ausprobieren, wenn man das vorher mit dem Kind so besprochen hat: Man legt ihm einfach die Hand auf die Schulter, führt sein Gespräch weiter und verzichtet auch auf nonverbale Kommunikation wie Gestikulieren. Allein mit der aufgelegten Hand zeigen die Eltern, ich nehme dich wahr, bleibe aber bei meiner Unterhaltung. Den meisten Kindern reicht das schon aus.

Süddeutsche.de: Und was fängt man mit den anderen an, die von einer Hand auf der Schulter nicht zu stoppen sind?

Kühn: Jüngeren Kindern genügt es oft, wenn sie still auf dem Schoß sitzen und zuhören dürfen, sie wollen einfach mit dabei sein. Wenn das Kind gar keine Ruhe gibt, unterbrechen Sie Ihr Telefonat oder Gespräch kurz, nehmen das Kind zur Seite und binden es mit in die Entscheidung ein, indem Sie es zum Beispiel vor die Wahl stellen: "Du kannst gerne im Raum bleiben, wenn du wie vereinbart ruhig bist. Du kannst aber auch in einem anderen Zimmer spielen, wenn dir das Ruhigbleiben heute schwer fällt. Du entscheidest."

Süddeutsche.de: Allerdings gelingt den enttäuschten Eltern in dieser Situation selbst das Ruhigbleiben nicht immer ...

Kühn: Wenn Eltern wirklich wütend sind, sagen sie besser erst mal gar nichts, denn dann haben sie ihren Tonfall nicht unter Kontrolle und können nicht respektvoll sein. Wichtig ist auch, keine "Du"-Aussagen zu verwenden, wie: "Du warst schon wieder nicht ruhig!" Außer die Eltern wollen dann vom Kind hören, dass sie "ja nie Zeit für haben". "Du"-Aussagen führen zumeist zu respektlosem Umgang, den die Kinder nachahmen. Die Eltern können sich beruhigen, indem sie tief durchatmen oder bis zehn zählen und dann mit dem Kind sprechen.

"Manche Regeln halten bis ins Erwachsenenalter"

Süddeutsche.de: Wie formuliere ich also richtig?

Erziehung

Trainiert Eltern für ein entspannteres Familienleben: Trudi Kühn.

(Foto: privat)

Kühn: Es ist hilfreich, dem Kind die eigenen Gefühle offenzulegen, zum Beispiel "Wenn ich gestört werde, kann ich mich nicht auf die Unterhaltung mit meinen Freunden konzentrieren." Und dann nehmen Sie wieder das Kind mit in die Verantwortung: "Was können wir tun, damit ich in den nächsten zehn Minuten ohne Unterbrechung mit meinen Freunden sprechen kann?"

Süddeutsche.de: Aber kleine Kinder verstehen das doch gar nicht?

Kühn: Je kleiner sie sind, desto öfter muss ich natürlich in verschiedenen Situationen immer wieder deutlich machen, welches Verhalten angebracht ist. Das können sich Eltern aber schon bei den Kleinsten angewöhnen, ihnen etwa nahebringen, dass sie nicht die Brille der Mutter herunterreißen sollen, weil das weh tut und die Brille kaputtgehen kann. Wenn das Kind dann weitermacht, kann die Mutter das Kind freundlich absetzen - für kurze Zeit. Ganz wichtig ist aber, Kindern immer wieder die Chance zu geben, zu zeigen, dass sie dazugelernt haben: eine Zeitlang still zu sein, wenn andere sich unterhalten. Oder die Brille auf der Nase zu lassen.

Süddeutsche.de: Manchen Kindern muss man das nur einmal sagen, anderen immer und immer wieder.

Kühn: Jeder hat einen anderen Charakter, ein anderes Temperament. Es gibt keinen Knopf, den man drückt, damit Wohlverhalten herauskommt. Da muss man eben ausprobieren, was zum jeweiligen Kind passt und Geduld haben, dem Kind Zeit geben, etwas nach und nach zu lernen. Aber respektvoll kann und muss man immer sein, egal wie das Kind ist.

Süddeutsche.de: Ab welchem Alter kann man denn darauf hoffen, dass das Kind unseren Wunsch nach Ungestörtheit versteht?

Kühn: Man darf nicht zu viel erwarten. Wenn ein Kind vier Jahre alt ist, sollte man sich schon zwanzig Minuten am Stück unterhalten können - zwei Stunden wären sicher nicht realistisch. Falls klar ist, dass so eine Situation bevorsteht, etwa wenn Freunde zu Besuch kommen, ist es empfehlenswert, das dem Kind anzukündigen und gemeinsam zu überlegen, was es für diese Zeit braucht und etwa die Malsachen vorab herrichten. Und zugleich klarmachen, dass man in den kommenden 20 Minuten nicht auf Unterbrechungen reagieren wird. Der Hinweis auf den Zeiger der Uhr kann eine entscheidende Orientierungshilfe für das Kind sein. Auch die Freunde sollte man informieren, dass eine Störung in dieser Zeit ignoriert wird, damit sie nicht aus falschem Mitleid auf das Kind eingehen und die Einhaltung der neuen Regel ungewollt sabotieren.

Die ehemalige Gymnasiallehrerin Trudi Kühn kennt sich aus mit der gemeinsamen Festlegung von Regeln und dem Finden von individuellen Lösungen: Die Mutter zweier Kinder (ein Sohn, eine Tochter) hat sich während ihres zwölfjährigen England-Aufenthaltes im Bereich Psychologie weitergebildet und machte Manager für Verhandlungen fit. In London nahm sie selbst erstmals an einem Elterntraining teil, "das mir und meinem Mann unglaublich geholfen hat, bei der Erziehung gemeinsam an einem Strang zu ziehen".

Zurück in Deutschland stieß sie auf das US-amerikanische STEP-Programm (Systematic Training for Effective Parenting), das Eltern, aber auch Erziehern und Lehrern "durch mehr Handlungs- und Erziehungskompetenz zu mehr Gelassenheit im Alltag" verhelfen soll. Mit Ko-Herausgeberin Roxana Petcov führte Trudi Kühn STEP für Eltern und Pädagogen in Deutschland, Österreich, Luxemburg, Belgien und in der deutschsprachigen Schweiz ein.

Zum Thema: Erziehungs-Kolumne "Kinder - der ganz normale Wahnsinn" - Jetzt rede ich! Es gab eine Zeit, da bestanden Gespräche aus Begrüßung, Mittelteil und Abschied, im Idealfall hatten sie eine Pointe. Doch das ist nun vorbei: Wir sind Eltern.

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