"Er sagt, sie sagt":"Da hast du ja sogar mitgedacht!"

popart teaser kolumne "er sagt, sie sagt"

Ein Phänomen unter Paaren: den anderen durch Nettigkeiten zu verärgern.

(Foto: iStock)

Sie lobt ihn, er fühlt sich beleidigt - aus gutem Grund, denn: je länger die Beziehung, desto weniger nett sind Nettigkeiten gemeint. Ein Beziehungsdrama in Dialogform.

Von Violetta Simon

Ein asiatisches Schnellrestaurant. Sie tragen ihre Tabletts mit den Wan-Tan-Suppen zu einem Tisch am Fenster. Sie stellt ihres ab und will nochmal los.

Sie: Bin gleich wieder da, ich hole nur schnell Servietten.

Er: Nicht nötig, ich habe welche mitgenommen.

Sie (sieht ihn erstaunt an): Wow, du hast ja mitgedacht, Liebling!

Er: Das scheint dich in großes Erstaunen zu versetzen.

Sie: Ich habe mich eben gefreut, dass du auch mal ...

Er: Was heißt "auch mal"?

Sie: Äh ... na ja, dass sonst immer ich ...

Er: So so. Immer du. Während ich nur auch mal.

Sie: Mein Gott, ich wollte nur nett sein.

Er: Und heraus kommt so was? Ich frage mich, wie du es schaffst, ein Lob so rüberzubringen, dass es sich wie eine Beleidigung anfühlt.

Sie: Ach komm' schon, vergiss, was ich gesagt habe. Lass uns einfach essen, einverstanden?

Sie konzentriert sich auf die fachgerechte Handhabung der Stäbchen, er macht sich schlürfend über die Suppe her. Nach einer Weile hält sie inne und beobachtet ihn verstohlen.

Sie: Dir scheint es ja zu schmecken.

Er: Ja, tut es. Aber aus irgend einem Grund habe ich das Gefühl, dass dich das nicht freut.

Sie: Ich weiß wirklich nicht, was du meinst.

Er: Früher hast du gefragt: "Na, schmeckt's?", weil es dich interessierte. Heute formulierst du den Satz wie eine Kritik.

Sie: Früher hast du auch nicht so in dich hineingeschlungen.

Er: Aha, das ist es also. "Schmeckt's" bedeutet "Schmeckt's", aber "Dir scheint es zu schmecken" bedeutet: "Du isst wie ein Scheunendrescher", richtig?

Sie: Dass du gleich so übertreiben musst! Ich wollte dir damit nur zu verstehen geben, dass du deine Mahlzeit vielleicht etwas bewusster, mit mehr Genuss, einnehmen könntest.

Er: Dann sag' das doch einfach. Bei dir braucht man ja ein Synonymwörterbuch!

Sie: Und bei dir einen Anwalt. Zurzeit legst Du wirklich jedes Wort auf die Goldwaage.

Er: Wundert dich das? Ich weiß doch nie, was du mir mit deinen verschlüsselten Botschaften wirklich sagen willst. Die Worte, die du mir gegenüber benutzt, sind zwar dieselben wie immer. Aber sie scheinen ihre Bedeutung zu ändern. Und sie sind eindeutig weniger wohlwollend gemeint.

Sie: Du übertreibst.

Er: Von wegen. Jetzt verstehe ich auch, was du vor Kurzem mit dieser Bemerkung gemeint hast: "Unglaublich, was du alles essen kannst." Du findest auch, dass ich zu fett bin, stimmt's?

Sie: Moment mal, DU hast doch immer gejammert, dass du so zugenommen hast!

Er: Keine Sorge, das wird sich bald ändern, denn jetzt bekomme ich nicht einmal mehr diese Suppe runter. Oder, um es in deiner verschwurbelten Sprache zu sagen: Es ist wirklich bewundernswert, wie du es schaffst, mir innerhalb von einer Sekunde auf die andere den Appetit zu verderben!

Sie: Kann es sein, dass du einfach nur große Lust dazu hast, empfindlich zu sein?

Er: Ich bin nicht empfindlich. Ich bin sensibel. Und ich kenne dich!

Sie: Was soll das denn jetzt bitteschön heißen?

Er: Na was schon: dass ich durchschaue, wenn du mich beleidigst. Stimmt doch - ich kenne dich ja auch gut.

Sie: Schon. Nur dass ich das Gefühl habe: Je länger wir zusammen sind, desto weniger nett meinst du diesen Satz. Früher haben wir uns damit gegenseitig zu verstehen gegeben, dass wir seelenverwandt sind. Inzwischen unterstellst du mir damit, ich sei boshaft und gemein.

Er: Du bist ja verrückt.

Sie: Ha! Erinnerst du dich noch, wie das vor zehn Jahren klang? Da schwang immer so ein Hauch Bewunderung mit. Inzwischen habe ich das Gefühl, du würdest mich am liebsten in die Klapse stecken.

Er: Ich gebe zu, dass ich mit dem Gedanken spiele.

Sie: Na also. Wenigstens sagst du einmal, was Sache ist.

Er: Und was jetzt?

Sie: Lass uns nach Hause gehen. Und falls du jetzt gleich wieder eine verschlüsselte Botschaft dahinter vermutest: Das meine ich genau so, wie ich es sage. Nicht, wie ich es damals gemeint hatte, als wir uns kennen gelernt haben.

Er: Das hätte ich auch so verstanden.

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