Ehrenamt und Zivilcourage (8):In der Pflicht

Lesezeit: 2 min

Der Sozialstaat kann nicht alle Aufgaben schultern. Gebraucht werden Kooperationen mit freiwillig Engagierten.

Christian Lauenstein

München - Der Anblick von Warteschlangen gehört inzwischen zum Alltag. An mehr als 800 Orten in Deutschland stehen jeden Tag Menschen an, um sich von privaten Tafeln und Suppenküchen mit Essen versorgen zu lassen.

Wer arm oder krank ist, kann sich auf ehrenamtliche Kümmerer verlassen. Doch darf der Staat seine Verantwortung abgeben? (Foto: Foto: dpa)

Ein gutes Engagement. Einerseits. Hungerende werden satt, der Überfluss der Konsumgesellschaft wird verteilt. Andererseits: Sollte sich nicht lieber der Sozialstaat darum kümmern, die Quellen für Hunger und Armut zu beseitigen? Festigen die Suppenküchen gar die Not hierzulande?

"Es gibt eine zunehmende Tendenz des Staates, sich darauf zu verlassen, dass Aufgaben des Sozialstaats von privaten Initiativen geleistet werden", kritisierte Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, den schleichenden Rückzug der Behörden.

Prantl hielt die Auftaktrede zur Podiumsdiskussion zum bürgerschaftlichen Engagement. "Damit in der Krise niemand verloren geht! Kann das Ehrenamt eine Gesellschaft kitten?", lautete der Titel der gemeinsamen Verstaltung von Süddeutscher Zeitung, Bayerischem Rundfunk und der ARD am Montagabend in München.

Defizite beim staatlichen Handeln sieht auch Barbara Stamm, Präsidentin des Bayerischen Landtags und Gast der Veranstaltung. Die Politik habe in der Vergangenheit Fehler gemacht und es seien nicht ausreichend Strukturen bereit gestellt worden, sagte Stamm. "Durch bürokratische Hemmnisse ist in den vergangenen Jahren den Bürgern viel Kreativität genommen worden."

Private Initiativen dürften nicht als Ausputzer für staatliche Defizite arbeiten, sagte SZ-Redakteurin Kristina Läsker. "Wir haben heute in Deutschland sehr viel Engagement, wo wir es eigentlich gar nicht haben dürften."

Ihr Beispiel: Wenn Eltern eine Initiative gründen, um Kinder aus armen Familien in der Schule mit Essen zu versorgen, sei das lobenswert, aber eine ureigene Aufgabe des Staates. "Das Ehrenamt darf bei gesellschaftlichen Problemen Anregungen und Impulse geben, die Strukturen müssen aber vom Staat geschaffen werden."

Es bestehe sonst die Gefahr, dass sich die Behörden vor ihrer Verantwortung drücken. "Der Staat hat seine Pflicht zu erfüllen, privates Engagement ist die Kür", sagte Prantl.

Doch wie stark muss der Staat das Engagement seiner Bürger beim Ehrenamt unterstützen? Michael Pelzer hat als Bürgermeister von Weyarn ein ganzes Dorf in Bewegung gesetzt - und musste feststellen, dass es ohne professionelle und finanzielle Unterstützung kaum geht: "Engagierte Bürger brauchen Profis, dann werden sie stark. Die Politik muss aber ein Diener der Ehrenamtlichen sein, nicht umgekehrt."

Martina Wegner, Geschäftsführerin des Zentrums für zivilgesellschaftliche Entwicklung in Freiburg, warnte indes vor den Folgen der staatlichen Unterstützung und der damit verbundenen inhaltlichen Einflussnahme. "Es gibt die Gefahr, dass ehrenamtliches Engagement staatlich instrumentalisiert wird."

Fehlendes Vertrauen in staatliches Handeln ist laut Politiker Pelzer der Hauptgrund dafür, wenn Kooperationen zwischen Verwaltung und Bürgern misslingen. "Politiker müssen das Misstrauen gegenüber mündigen Bürgern ablegen, wir dürfen keine Angst vor Fehlern haben und müssen bürokratische Hemnisse abbauen."

Deutschlandweit ist jeder Dritte freiwillig engagiert - obwohl viel mehr Menschen dazu Lust hätten. "Wie schaffen wir es, Menschen, die sich bislang nicht engagieren, für das Ehrenamt zu mobilisieren?", fragte Moderatorin Sibylle Giel.

Das deutsche Anreizsystem für Ehrenamtliche sei zu schwach, kritisierte Christian Petry, Geschäftsführer der Freudenberg-Stiftung. Menschen müsste schon sehr früh beigebracht werden, sich auch für andere einzuusetzen. "Wir müssen die Kinder bereits in den Schulen gewinnen."

So sollte Schülern der Wert von Gemeinwohl und Miteinander vermittelt werden, etwa durch Mitarbeit in Altenheimen oder Kindergärten. Petry nennt das "Service-Learning". Selbst Kinder aus sozial schwachen Familien könnten so für ein nachhaltiges Engagement gewonnen werden.

Problematisch sei es aber, dass bestimmte Gruppen der Gesellschaft überhaupt nicht erreicht würden, kritisierte Wissenschaftlerin Wegner. So sollten vor allem Migranten künftig besser eingebunden werden. "In diesem Teil der Gesellschaft besteht viel Engagement, aber wie bemerken es oft gar nicht."

Neben den Schulen müssten auch Unternehmen ihre Mitarbeiter stärker ermutigen, sich neben der Arbeit zu engagieren. Firmen schafften dafür zu wenig Freiraum so Redakteurin Läsker. "Ein Manager der um sechs Uhr ein Meeting hat, kann keine Fußballmannschaft trainieren." Eine Ausnahme bildeten allenfalls Mittelständler, die sich stärker für die Umgebung verantwortlich fühlten.

© SZ vom 13.05.2009/mes - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: