Ehrenamt und Zivilcourage (3):Feuer ohne Wehr

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In Weimar bangt die freiwillige Feuerwehr um ihren Nachwuchs - weniger Engagement ist im gesamten Osten ein Problem.

Christian Lauenstein

Der letzte Rückschlag liegt erst wenige Wochen zurück. Ein cleverer Bursche sei er gewesen, der Philipp, ordentlich und zuverlässig. Nun ist er weg, wahrscheinlich für immer.

Das Ist-West-Gefälle spürt auch die Feuerwehr in Weimar, hier bei einer Übung am Hauptbahnhof. Oft kehren Jugendliche der Feuerwehr für eine Lehrstelle den Rücken. (Foto: Foto: oh)

Als es darum ging, sich dauerhaft in der freiwilligen Feuerwehr zu engagieren, hat der 17-Jährige ein anderes Hobby gewählt. "Der Junge fährt jetzt Motorcross", sagt Carsten Wiedemann. Bei diesem Gedanken wird selbst ein bulliger Kerl wie Wiedemann sentimental. "Das tut weh", sagt er. "Das ist frustrierend."

Wiedemann, 43, kümmert sich in Weimar um die Jugendfeuerwehr, und er betreut ehrenamtlich den Feuerwehr-Nachwuchs im Landkreis. Es ist keine einfache Zeit. Wie etliche Löschzüge in Deutschland hat die Feuerwehr in Weimar Probleme mit dem Nachwuchs.

37Freiwillige ergänzen die Berufsfeuerwehr. Seiteneinsteiger gibt es kaum, der Nachwuchs stammt fast zu 100 Prozent aus der eigenen Jugend. Doch es wird immer schwieriger, Jugendliche für das Ehrenamt zu motivieren.

"Vor zehn Jahren sind uns die Kinder noch zugelaufen", sagt Wiedemann. "Heute müssen wir uns gehörig etwas einfallen lassen, um sie bei der Stange zu halten."

Das nachlassende Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr ist bundesweit zu beobachten. Doch nirgendwo haben es die Feuerwehren so schwer wie in Ostdeutschland. Sie leiden am typischen Ost-West-Gefälle beim bürgerschaftlichen Engagement.

"Je höher die Arbeitslosenquote, desto niedriger das Engagement"

So ist in Westdeutschland mehr als jeder Dritte in der Freizeit aktiv, in Ostdeutschland ist es nur jeder Vierte, mit großen regionalen Schwankungen. Das hat eine Studie von AMB Generali ergeben (siehe Grafik). Grund: Im Osten schlägt die Arbeitslosigkeit voll durch.

Denn die soziale Lage der Menschen hat einen entscheidenden Einfluss auf ihr Engagement. "Je höher die Arbeitslosenquote in einer Region ist, desto niedriger ist das Engagement", sagt Loring Sittler, der die Studie betreut hat.

Für Wiedemann ist das Hauptproblem die schlechte Lehrstellensituation in der Region. So suchen etwa 640 Jugendliche einen Ausbildungsplatz in Weimar und den umliegenden Dörfern. Angeboten werden aber nur 550 Lehrstellen, da klafft eine Lücke. "Viele Jugendliche verlassen uns, weil sie für eine Ausbildung wegziehen müssen", sagt Wiedemann. Dann sind sie auch für die Feuerwehr verloren: "Wenn sie weg sind, sind sie weg."

DDR wirkt nach

Daniel Ferrand ist noch da. Noch. Der 17-Jährige steht mit einigen Freiwilligen neben einem Löschfahrzeug und lauscht dem Zugführer. Die Stiefel sind geputzt, auf der Brusttasche der dunklen Jacke leuchtet sein Name in gestickten Buchstaben. Ferrand absolviert seine Grundausbildung, um von der Jugendfeuerwehr in die Einsatzgruppe aufzusteigen.

Seinen ersten Einsatz kann er kaum erwarten. "Wenn ich 18 bin, darf ich sogar Brände löschen." Ferrand ist seit acht Jahren in der Jugendfeuerwehr. Später will er ein "echter" Feuerwehrmann werden. Ein hauptberuflicher. "Dafür muss ich aber eine Ausbildung machen, zum Beispiel als Mechatroniker." Doch auch Ferrand bangt um eine Stelle in Weimar. "Zur Not ziehe ich halt in eine andere Stadt."

In seiner Sorge um den Nachwuchs lässt sich Wiedemann einiges einfallen, um die Jugendlichen zu locken. "40 Prozent Feuerwehr, 60 Prozent Spiel und Spaß" lautet sein Programm. Er organisiert Zeltlager, spielt mit den Kindern Fußball und erklärt ihnen die Seilknoten eines Feuerwehrmannes.

Danach bringt er die Kleineren mit dem Feuerwehrbulli nach Hause. "Die Heimfahrt ist gesichert." Bis zu sechs Tagen in der Woche ist Wiedemann ehrenamtlich im Einsatz, er kennt die Jugendlichen gut. "Wir kriegen alles mit, Liebeskummer, Ärger in der Schule, die erste Zigarette." Sein Traum ist es, dass einige von ihnen später einmal "gute ehrenamtliche Feuerwehrmänner" in Weimar werden.

Doch diese Hoffnung wird immer häufiger enttäuscht. Die Mitgliederzahl der Jugendfeuerwehr ist zwar zuletzt gestiegen, aber das liegt daran, dass das Mindestalter auf sechs Jahre gesenkt wurde. Im kritischen Alter zwischen 15 und 18 springen die Jugendlichen wieder ab. Selbst die, die jahrelang dabei waren. Nicht immer ist die Ausbildung schuld. Manche fahren eben lieber Motorcross, viele haben einfach keine Lust mehr.

Eine Erklärung dafür lautet, dass im Osten der Republik der DDR-Sozialismus noch negativ nachwirkt. "Dort wollte man keine eigenständige Bürgerschaft, und es gab nur eine spärliche Engagementkultur", sagt Experte Sittler.

Das Ehrenamt sei in der DDR "meist von parteipolitischem Kalkül" getrieben, meint er. Das schreckt noch heute ab. Seine Studie spricht eine noch deutlichere, unangenehmere Sprache: Überall da, wo die Kriminalitätsrate hoch ist oder die Menschen nicht in der Kirche sind, gibt es weniger Engagement. Das ist in etlichen Regionen im Osten der Fall.

Wiedemann lässt sich nicht beirren: "Auch wenn uns ein Kind verlässt, dann hat es wenigstens etwas gelernt", sagt er. Vor zwei Wochen hat er einen Besuch im Stadtmuseum organisiert, es ging um die großen Brände der vergangenen Jahrhunderte. 15 Kinder sind mitgegangen. "Es ist doch toll, wenn die Jungs bei uns etwas über die Stadtgeschichte erfahren", sagt Wiedemann. "Von Tugenden wie Pünktlichkeit und Ehrlichkeit mal ganz abgesehen."

© SZ vom 08.05.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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