Amouröser Selbstversuch:Marathon der Liebe

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Internetbekanntschaften, Flirtkurse und Speed-Dating - wie findet man den Partner fürs Leben? Der Bericht eines amourösen Selbstversuchs im Jahre 2009.

Verena Krebs

Was verstehst du unter einer normalen Libido - jeden Tag oder eher wöchentlich? Hast du einen Hang zum Non-Konformismus? Man bietet dir eine Reise in den Weltraum an - sagst du zu? Wahrscheinlich besser ja; diese Option könnte hilfreich sein, wenn man Sexy-Guy denn mal wirklich gegenüber sitzt. Vor die Partnersuche im Internet hat das Schicksal den Fragenkatalog geschaltet; so kann jeder nach privatpsychologischen Erkenntnissen den idealen Partner finden.

Wo wartet der Prinz - ist es im Internet leichter als im nicht-virtuellen Raum? (Foto: Foto: Photocase / dommy)

Die Sachen werden heute vom Sofa aus erledigt. Auch die Partnersuche. Aber die meisten Internetkäufe - Schuhe und CDs, - gefallen nicht mehr, sobald sie mit der Post ankommen. Und Männer? Ist das echte Leben doch der Königsweg? Wir haben die Optionen ausprobiert: Online-Partnerbörse, Flirtkurs, Speed-Dating. Im Internet gibt es zu kaufen: personalisiertes Müsli, Vibratoren, die wie Badeenten aussehen, gehäkelte Penisse. Auf Ebay kann man Romanfiguren, Freunde oder eine Seele ersteigern.

Momentan haben wir im Angebot: uns selbst. Auf einer Singlebörse. Mit einem Pseudonym, das sexuelle Anspielung enthält, aber nicht zu viel, und eine popkulturelle Referenz. Online-Singlebörsen kommen dem vollkommenen Markt in der Wirtschaftstheorie ziemlich nahe: Homogenität der Güter, transparenter Markt, keinerlei Präferenzen der Kunden. Es gibt Plattformen für Dicke, Alleinerziehende, Katholiken, Juden, Weinkenner, Veganer und Gothic-Fans.

Chemistry.com lässt die Hormone entscheiden. Jeden Mann auf Neu.de kann man sich mit einem Klick herbeiholen, nachdem man die Teilnahmegebühr von 30 Euro bezahlt hat. Sofort ist alles klar: Kinderwunsch, Religion, ethnische Vorlieben in der Partnerwahl, das schönste Körperteil. Gefühlte 90 Prozent der Männer kommen aus der IT-Branche. Glücklicherweise sind die meisten leitenden Manager zu Bürozeiten gut zu erreichen und nehmen sich zwischen ihren Hammer-Deals Zeit fürs Flirten. Gut, dass ich selbst zwischen meinem Beruf (Gehirnchirurgin) und meinem Hobby (Düsenjets fliegen) noch ein bisschen Luft habe. ("Ich" ist in diesem Fall als journalistisches Über-Ich zu verstehen und auf keinen Fall mit der Autorin dieses Artikels zu verwechseln).

Der Begrüßungstext wird zum Offenbarungseid: Einer dichtet Elegisches über Metropolen, Rückenmassage und ein Gurkenglas, das sich nicht öffnen lässt. Ein anderer ist "ein selbstbewusster, niveauvoller, charmanter Typ. Ausgeglichen, positiv eingestellt, humorvoll, tolerant, aufgeschlossen, ehrlich, spontan, zuverlässig, konfliktfähig und erwartet das auch von seinem Gegenüber". Ja, ja, die Erwartung ...

Schrecklich zärtlich und kuschelig

Der Dritte will aus irgendeinem Grund sein Leben in bunten Farben auf eine riesengroße Leinwand malen. Aber all diesen 30- bis 40-Jährigen ist gemein, dass sie schrecklich zärtlich und kuschelig sind (gern in Verbindung mit "Bär") und ihre Partnerin auf Händen tragen.

Was ist los mit euch, Männer?? Wie kommt ihr auf die Idee, dass Frauen Felltiere wollen, mit denen sie in den Regen starren können? Oder seid ihr wirklich so? Aber Frauen sind auch nicht anders: Profilauswertungen von Liebe.de zeigten, dass Männer, die die Wörter "Kultur" und "Geborgenheit" verwenden, viele Zuschriften erhalten; "Fußball" und "Angeln" dagegen wirkt sich katastrophal aus. Dann hat wohl auch Alles_Easy keine Chance. Er sucht: 1. einen Squash-Partner. 2. ein rotes Sofa, das zu seiner Einrichtung passt. 3. eine interessante Frau. Der Herr ist wenigstens ehrlich; leider aber antwortet er dem journalistischen Über-Ich nicht. User Enigma hingegen hat Gelegenheit, über seine Exfrau zu schimpfen, die ihm bei seiner IT-Managertätigkeit ein wirklich schlimmer Klotz am Bein war. Schon in der zweiten E-Mail droht er seinen Besuch an.

2007 gaben die Deutschen laut "Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien" 85 Millionen Euro für die Online-Partnersuche aus. Meine persönliche Bilanz als onlinesüchtige Gehirnchirurgin: 57 Kontakte in zwei Wochen. Der Älteste war 56, unter 30 keiner dabei. Eine Veteranin erzählt, dass sie 55 Anfragen an einem Tag erhielt, und das 1999, im Steinzeitalter des Internets. Nur eine vorsichtig anzügliche E-Mail war dabei, zwei Minuten nach Einstellen eines Fotos. Die Erkenntnis: Hier wird nicht geflirtet. Jeder hört nur sich selbst zu, weil er eben doch der Beste ist. Man versichert sich der eigenen Identität: Was mag man, was kann man, wer wäre man? Was ist mein Marktwert? Und keiner schützt sie vor sich selbst.

Sie haben niemanden wie Eva Engelhardt, die in der Anzeigenannahme der Süddeutschen Zeitung arbeitet und schon mal einen Kunden fragt, ob er wirklich nach einer Partnerin sucht, wenn er eine "Stute" verlangt oder "eine, die bereit ist alles mitzumachen". Auch Flirten muss man anscheinend lernen, so wie Excel-Tabellen anlegen oder Marketingstrategien. Für all das gibt es Kurse. In einem idyllischen Dorf wird neben Zwischenmenschlichem auch Kinesiologie und Karma-Coaching angeboten. So kommt der Single mal raus aus der Einraumwohnung.

In der Vorstellungsrunde sitzen sich 15 Leute im pädagogischen Stuhlkreis gegenüber, nesteln an ihren Jackenärmeln und machen ein Seminar-Gesicht. Eva ist hier, weil sie als Ingenieurin arbeitet und ihre Weiblichkeit nicht ausleben kann. Claudia hat Sorge, dass wegen ihrer Kinder kein Mann an ihr Interesse hat. Eine Zierliche mit schwarzen Haaren und großen Rehaugen ist extra aus Hamburg angereist, schon zum dritten Mal, weil sie leidenschaftlich an Kursen teilnimmt, in denen man sich selbst finden kann. Das erinnert an den Mitleids-Junkie aus dem Film "Fight Club", der Selbsthilfegruppen besucht, bis er heraus findet, dass nur der bedingungslose Kampf die Lösung ist. Die meisten Frauen schieben vorneweg, dass sie sowieso nichts Interessantes zu erzählen hätten, erzählen dann aber wunderschöne kleine Geschichten über ihr Leben, mit dem sie nicht zufrieden sind.

Die Männer legen vor allem Wert darauf, dass sie hier nicht freiwillig sind. Ein Mann um die 45, Typ Preisboxer, hat den Kurs von seinen Freunden zum Geburtstag geschenkt bekommen. Ein junger Braumeister erzählt die gleiche Geschichte. Ein großer Dünner ist sehr stolz, weil er vor kurzem zum ersten Mal seit Jahren geflirtet hat. Ein kleiner Dicker will Authentizität erlernen. Außerdem berichtet er von einer langen und sehr komplizierten Begebenheit, in dem die fehlgeschlagene Gründung einer Volkstanzgruppe vorkommt, eine Prügelei und eine Powerpoint-Präsentation. Er fühlt sich unwohl und macht keinen guten Eindruck. Die Damen geben ihm Tipps zur Verbesserung der Ausstrahlung und haben mal wieder umsonst ihr Herz geöffnet.

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Die erste Übung: Ich schau dir in die Augen, Kleines! Die Flirtlehrerin verzweifelt an dem Freund der Authentizität, der überall hinschaut, nur nicht in die Augen. Zwei andere erörtern, dass es in Asien unhöflich sei, jemanden zu lang anzusehen. Tendenziell ist man verlegen. Anschließend gibt es ein paar Rollenspiele aus dem Standardrepertoire des Improvisationstheaters. Erleichterung macht sich breit: Auch hier scheint man ums Flirten herumzukommen.

Was man denn mitnehme von diesem Abend, will die Leiterin am Schluss wissen. "Ich habe gelernt, dass man atmen muss, auch wenn man eine Frau anspricht." Der Zweite weiß, dass man nach dem Flirten besser nicht fragt: Wie war ich? Zwei amerikanische Soziologen haben herausgefunden, dass Singles immer glücklicher werden. In der Hamburg-Leipziger "Drei-Generationen-Studie" jedoch wünschen sich 95 Prozent aller Befragten eine stabile Partnerschaft. Glücklich sehen die Kursteilnehmer nicht aus. Auf dem Heimweg flirten die Selbsterfahrene und der Brauer jedoch plötzlich heftig. Warum ist es so schwierig, jemanden fürs Leben zu finden?

"Anspruch 100 Prozent, Toleranz 0 Prozent" - das ist für Peter Hollinger von der "1. Deutschen Flirt- und Kontaktschule" das Hauptproblem: "Die Menschen schauen sich aus Unsicherheit nicht mehr gegenseitig an." Der Diplomkaufmann kämpft auf seine Weise dagegen an. In seinen Kursen sollen die Beteiligten "aktive Gelassenheit" erlernen und die Kontaktaufnahme "auch in der Konstellation 1:2 oder 1:x". Mindestens genauso wichtig ist für den Lehrer: Wie kommt man aus Kontakten wieder raus? Viele Frauen würden sich gar nicht erst an einen Flirt wagen, weil sie Angst hätten, ihn nicht mehr loszuwerden. An seinem Kurs nehmen auch Frauen teil, die behaupten, noch nie einen Mann angelächelt zu haben.

Bei den Männern sind dagegen immer einige Aufreißertypen dabei, die sich "den letzten Schliff geben wollen". Die Altersspanne reicht von "15 bis 82 Jahren". Der Berater mit dem bayerischen Tonfall strahlt etwas Beruhigendes und Sicheres aus. Mit manchen Kunden trainiert Hollinger in der freien Wildbahn, andere rufen ihn nachts hilfesuchend aus der Kneipe an, kurz vor dem Manöver. Der Dritte braucht Rat, ob er auf dem Friedhof eine Frau ansprechen dürfe. Das klingt nach einem heißen Tipp, das journalistische Über-Ich versucht es jedoch heute mal mit der klassischen Variante: dem Speed-Dating, erfunden von einem amerikanischen Rabbi.

In einer Münchner Kneipe sitzen sich die Geschlechter ordentlich aufgereiht gegenüber; die Frauen sind schon wieder in der Überzahl. Zwei Männer schwänzen, wohl wegen eines akuten Panikanfalls. Die anderen staffeln sich attraktivitätstechnisch zwischen Eros Ramazotti und Meister Proper. Die Frauen sehen aus wie die "Mädchen" aus Heidi Klums Eisenschmiede. Vor allem aber sind sie sehr freundlich zueinander. Eine Studentin schlägt vor, dass die Mädels ja als Plan B einen Prosecco trinken gehen könnten, wenn das hier nichts wird. Sie warnen sich untereinander vor den Sprüchen auf der Gegenseite - zwölf Mal der gleiche kommt nicht gut an.

Lieber Networking als Konkurrenz

Die modernen Frauen sind derart auf Networking bedacht, dass sie keine Konkurrentinnen mehr sein mögen. Die Gegenseite verteilt sich inzwischen zwanglos - es gibt ein kleines Gerangel bei der besonders hübschen Blonden. Bis der "Dating Angel" die erste Runde eröffnet, studieren alle ausgiebig ihre Karten, auf denen sie nach sieben Minuten ja oder nein ankreuzen können. Nur nicht dem anderen in die Augen schauen! Verflixte Schüchternheit. Bei Übereinstimmung gibt es die Telefonnummer des anderen.

Der Psychologe Lars Penke hält eine Drittel-Sekunde für ausreichend, um die Attraktivität des Gegenübers einzuschätzen. Nur darum geht es. Eine Entscheidung für neue Schuhe dauert wesentlich länger. Obwohl in einer amerikanischen Untersuchung Männer angegeben hatten, eine ebenbürtige Partnerin auszuwählen, wählten sie alle die Frauen mit der hübschesten Nase und der besten Frisur. Frauen gingen ebenso nach dem Aussehen, bei ihnen kam noch der Status und Fürsorglichkeit hinzu. Der perfekte Papa eben. Was man redet, ist also egal; so gesehen hat der neue Trend des Silent Datings auch eine wie auch immer geartete Daseinsberechtigung.

Bei diesem Speed-Dating wissen die meisten bereits, dass man atmen muss, auch wenn man Frauen gegenübersitzt, und dass man Geschichten erzählen muss, die einen Anfang, eine Mitte, einen Schluss und einen Sinn haben.

Geflirtet wird hier jedoch auch nicht. Es sind eher Vorstellungsgespräche. Von den zehn Männern haben sieben bis acht BWL studiert. Neben Informatikern anscheinend der zweite stark vertretene Berufszweig in der Einsamkeitsbranche. Nummer 8 hält das nicht für erstaunlich, Wirtschaftswissenschaftler seien eben einsam, gerade in der heutigen Zeit. Der Siebte entschuldigt sich wortreich für seinen Beruf Banker. Er sieht sehr, sehr traurig aus. Die Krise ist ein großes Thema, eher die gesamtgesellschaftliche als die persönliche, und außerdem die Schweinegrippe.

Der mit dem spritzigen Fragenkatalog

Herr Nummer 1, Typ Roger Willemsen, versucht die zunehmend depressive Grundstimmung durch einen spritzigen Fragenkatalog aufzuhellen: Was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen? Was ist dein größter Traum? Gehst du gern ins Kino? Schade, er wäre andernfalls ganz nett gewesen.

Neben den Depressiven und den Korrekten ist die Angeber-Kategorie auch hier vertreten. Das sind Herr Nummer 3 und 5, die beide bullig sind und eine Glatze haben und den Attraktivitätsschnitt auf der Männerseite nach unten ziehen. 3 beglückt die Damenwelt, indem er in der Disco auf der Box tanzt und erzählt von lauter leuchtenden Augen, die ihm dann zugewandt sind - oft hat man solche gesehen, nie mit einem gesprochen! 5 hat promoviert, spricht 25 Sprachen und hat eine Stelle, auf die sich hundert andere kluge Menschen beworben haben. Außenminister Nein. Er arbeitet in der Verwaltung. Nummer 2 ist hässlich, aber lustig; Nummer 6 ist schön, aber langweilig.

Schön, aber lustig ist Eros Ramazzotti gleich neben ihm. Eros ist erst 25 Jahre und eigentlich damit disqualifiziert für dieses Speed-Dating. Aber er bezirzt die älteren Damen um die 30. Tief blickt er dem journalistischen Über-Ich in die Augen und haucht: "Hast du ein Taschentuch?" Nein, leider nicht. "Bis jetzt habe ich immer angefangen und ich erzähl' inzwischen der gleichen Person drei Mal das Gleiche. Kannst du bitte mal zur Abwechslung?" Na gut. Eine Frage stellen. "Bist du erkältet?" Der Rest des Gesprächs dreht sich um die verschiedenen Ausdrucksformen von Erkältungskrankheiten. Eros hat eine "Am-Arsch-vorbei"-Haltung, die ältere Damen entzückend finden. Irgendwo zwischen 25 und 35 verlieren bundesdeutsche Männer dieses Laisser-Faire und bekommen stattdessen ein leicht panisches Flimmern in den Augen. Manchmal sitzen die Flirter plötzlich ganz ruhig da, den Blick nach innen gekehrt. Lauschen sie ihrer biologischen Uhr?

Bei 5 tickt sie so laut, dass er sich nicht mehr konzentrieren kann. Deswegen steht er einfach auf, lässt sein Minuten-Date vor Ablauf der Zeit sitzen und geht. Das journalistische Über-Ich hat nach reiflicher Überlegung drei Herren mit ja bewertet (Insel, Eros, Langweiligaberschön) nach den Kriterien Aussehen, Nestbaufähigkeit, Gene. Von diesen Herrn aber: kein Kreuz für mich, null Übereinstimmung.

Wenn man statt in der Kneipe gern an der frischen Luft ist, kann man alternativ auch im Sessellift oder in der Deutschen Bahn speed daten - auch in der Größe XXL, wie in Hamburg, wo an einem Abend 15000 Begegnungen stattfanden, mit jeweils 45Sekunden Zeit für die Nestbau-Bewerber.

Oder aber man lässt das alles bleiben. Man kann sich für die 125 Euro, die ein Flirtmarathon kostet, auch etwas anderes Tolles kaufen. Zum Beispiel Schuhe.

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