Zum 80. Geburtstag des Philosophen Searle:Causeur von ungezwungener Natürlichkeit

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Was man nicht klar sagen kann, versteht man selbst nicht: Mit Alltagsbeispielen erklärt der amerikanische Philosoph John R. Searle Sprechakte, Geist und Bewusstsein. Deutliche Worte zu seinem 80. Geburtstag.

Willy Hochkeppel

Seine Hunde tragen die Namen großer Philosophen, und er schreibt ihnen, den so geehrten Hunden, wie auch anderen höheren Säugetieren, ein rudimentäres Bewusstsein zu. Das berichtete er einmal im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung (10/11. Dezember 2005). Mit guten Gründen, denn über das problembeladene Phänomen Bewusstsein hat John Searle 1992 das vielleicht bemerkenswerteste Buch geschrieben: "The Rediscovery of the Mind".

Darin verficht er gegenüber Reduktionisten und Materialisten die Ansicht, dass Bewusstsein zwar ein Produkt des Gehirns, aber nicht mit ihm identisch ist, vielmehr eine ontologische Kategorie sui generis darstellt. Das ist auch gegen die ebenso naiven wie forsch auftretenden Neurophysiologen gerichtet. Und schon 1980 hat er den überzogenen Ansprüchen der KI-Forscher den Boden entzogen, unter anderem mit dem scharfsinnigen Gedankenexperiment vom "chinesischen Zimmer"; das läuft darauf hinaus, dass computerhaftes Simulieren des Chinesischen Chinesisch-Verstehen nur vortäuscht.

Searles Karriere zu einem der bedeutendsten Philosophen unserer Zeit begann nach frühen Studien in Wisconsin 1952 in Oxford, wo er zunächst als Student, dann als Dozent bis zu seiner Promotion blieb. John L. Austin war hier in mehrerer Hinsicht von nachhaltigem Einfluss auf ihn. Austins Sprechakt-Theorie "How to do Things with Words", 1962, hat Searle zu der eigenen, richtungsweisenden Arbeit "Sprechakte" (1969) inspiriert. Worte wie verzeihen, danken, befehlen, fragen, bejahen, versprechen, entschuldigen, anordnen und dergleichen sind "performative", eine Handlung vollziehende Äußerungen. Diese Handlungsfunktion der Sprache 2500 Jahre übersehen zu haben, komme, wie einmal gesagt wurde, einem Skandal gleich.

Von Oxford nach Berkeley

Eine spätere Abhandlung über "Intentionalität" befasst sich mit der Bedeutung bestimmter mentaler, geistiger Zustände wie Wünsche, Überzeugungen, Hoffnungen, Befürchtungen, die, anders etwa als Schmerzen, stets auf etwas gerichtet sind. Mit dem komplexen Werk liefert Searle - fast eineinhalb Jahrhunderte nach einem Ansatz des Psychologen und Ex-Priesters Franz Brentano - die Basis zu seiner Theorie sprachlicher Bedeutungen und Sprechakte.

Als Searle nach sieben Jahren Oxford verließ - er legte sich nie den britischen Akzent zu - und einem Ruf an die University of California, Berkeley folgte, er war da gerade mal 26 Jahre alt, fanden das snobistische Oxforder Bekannte "schrecklich amüsant"; mit wem könne man denn da reden? In Berkeley lehrte und lebt er seit nun über fünfzig Jahren. Er sympathisierte mit der dortigen Studentenbewegung und war im Free Speech Movement aktiv; ein politischer Mensch, sagt er heute, sei er aber nicht. Und im Alter, meint er mit Goethe, sollte man die Extreme der Jugend nicht wiederholen. Wenn Linke wie Rechte ihm zusetzten, ermuntert ihn das. "Wenn mich alle diese bastards hassen, muss ich was richtig gemacht haben".

Er liebt es direkt. Vergnüglich erzählt er, wie er den befreundeten Michel Foucault, Gastprofessor in Berkeley, einmal, auf Französisch, fragte, "wie kannst Du nur so schlecht schreiben?" Foucault darauf: "Wenn ich so klar wie Du schriebe, würde mich niemand in Paris ernst nehmen".

Searle hat an Universitäten in aller Welt seine Thesen getestet und sich in all seinen Schriften mit prominenten (post)analytischen Freunden, Feinden und selbst mit sibyllinischen Dekonstruktivisten lustvoll gestritten. Der Disput dient ihm zur Klärung seiner Ideen. Seine Maxime ist: "Was man nicht klar sagen kann, versteht man selbst nicht".

Wie das alles, Sprache, Geist, Bewusstsein, Intentionalität untereinander und mit unserer sozialen Wirklichkeit zusammenpasst, erläutert er in einer Zwischenbilanz ("Geist, Sprache und Gesellschaft"). Die soziale Realität hat er dann in seiner bisher letzten Publikation "Making the Social World" eigens thematisiert. "Es gibt Tatsachen in der Welt, die Tatsachen nur kraft menschlicher Übereinkunft sind, die nur existieren, weil wir glauben, daß sie existieren", wie Geld, Eigentum, Ehen, Regierungen. Wie soll man die Ontologie, die fragile Seinsart sozialer Tatsachen erklären? Darauf versucht er eine umfassende Antwort zu geben.

In allen seinen Werken - sie sind in zwanzig Sprachen übersetzt - werden das Abstrakte und Vertrackte durch verblüffend plausible, handgreifliche Beispiele - auch dafür ist er berühmt - aufgehellt, die er, nicht anders als der historische oder platonische Sokrates, mit Vorliebe aus dem trivialen Alltagsleben wählt.

Im Internet kann man ihn in Interviews und Gesprächen sehen: lässig-elegant gekleidet, ein Causeur, ein Entertainer unter den eher drögen Berufsdenkern, dessen ungezwungene Natürlichkeit durch der Gedanken Tiefe nicht angekränkelt wurde. Die meisten seiner Bücher sind seiner Frau Dagmar, einer Anwältin, gewidmet. Sie kam Anfang der fünfziger Jahre als Flüchtling aus der Tschechoslowakei nach Oxford. Mit ihr, seiner Muse, lebt er, wie er bekennt, in Berkeley "wie im Paradies". Dort möchte man ihn noch lange mit Wörtern Dinge tun sehen.

© SZ vom 23.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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