Wie Werbung wirkt:Apple und der Schweinebauch

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Audi, iPod, Bionade: Das Genre Werbung hat sich verändert. Wo früher Text und Argument zählten, ist heute das Design kaufentscheidend.

Thomas Steinfeld

Ein Pakt ist nie geschlossen worden zwischen Werbetreibenden und Medien, und doch hat es ihn gegeben. Die Zeitungen in ihrer gegenwärtigen Form haben davon gelebt, über viele Jahrzehnte hinweg, und nicht nur sie. Auch Rundfunk und Fernsehen gäbe es, selbst wenn es sich um öffentlich-rechtliche Sender handelt, nicht ohne Jingles, Spots und Clips. Doch scheint es so zu sein, dass diese Allianz wenn nicht existentiell bedroht, so doch zumindest gefährdet ist. Vielen Zeitungen ist diese Gefahr anzusehen, so dünn sind sie geworden. Aber auch das Fernsehen entgeht dieser Krise nicht: Es wird darin, zumindest bis auf weiteres, weniger geworben.

Goldbären spielen im Sonnenuntergang: Die heile Welt in der Frühzeit der Werbung. (Foto: Foto: ddp)

Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn zum einen ändert sich das Fernsehen, und das ist in den USA vielleicht noch deutlicher zu erkennen als in den europäischen Ländern. Eine der gegenwärtig erfolgreichsten abendlichen Serien, die Kriminalfilme mit dem Titel "The Mentalist", vermag mit jeder Sendung noch gut drei Prozent der amerikanischen Bevölkerung an den Schirm zu bannen. Vor fünfzig Jahren, als es noch die "Rauchenden Colts" gab, waren es dreimal so viele. Selbst wenn es also eine Firma gäbe, die heute mit großem Aufwand, mit einer konzentrierten Aktion eine Ware unter das Volk bringen wollte - sie fände das Medium nicht, in dem man mit einem Schlag zwanzig Millionen Kunden erreichte. Das Publikum habe sich gespalten, lautet die gängige Erklärung. Seien früher alle Augen auf zwei, drei Sender gerichtet gewesen, so gebe es heute Hunderte davon, und durch das Internet seien die Fraktionen noch viel zahlreicher und kleiner geworden. Wer unter diesen Bedingungen werben wolle, der müsse in kleinerem Maßstab und viel genauer arbeiten.

Auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn auch die Werbung hat sich geändert. Gewiss, schnelle Konsumgüter, also Windeln, Zigaretten, Schokoladenriegel, verkaufen sich ohne Werbung immer noch schlechter als mit Werbung. Wenn die Reklame aber in den großen Medien erscheint, versucht sie nur noch selten, potentielle Kunden zu überreden, ihnen also, auf mehr oder minder pedantische Weise, die Vorteile eines Produkts zu erklären.

Stattdessen illustriert sie die Ware, verzichtet auf Text und Argument, schafft für jedes Ding eine eigene Wirklichkeit, in die der Kunde eintreten muss wie in einen Traum. Das bedeutet, dass Produktwerbung in Imagewerbung aufgeht. In dem immensen Erfolg, den die Werbewirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten erlebte, schlägt sich auch die Wirkung dieser anderen Wirklichkeiten nieder. Solche Eigenwirklichkeiten gehen am liebsten ins große Format, in die ganze Seite, in den Clip von dreißig Sekunden, in die Kinoreklame, während die argumentierende Anzeige, die Werbung mit Texten im alten Stil, inzwischen auch im Internet zu finden ist.

Es sind aber - wenn man von den Immobilienanzeigen, dem Automarkt und den Stellenanzeigen absehen kann - gerade die großen, ins Lebensweltliche ausgreifenden Anzeigen, die in jüngster Zeit so selten geworden sind. Geblieben hingegen sind, unübersehbar, die Anzeigen, in denen Rabatte und Vergünstigungen angeboten werden, in denen also der Preis beworben wird. "Schweinebauch" heißen sie in der Branche, nach der Werbung, mit der noch heute am Donnerstag die Sonderangebote der Lebensmittelgeschäfte angepriesen werden.

Nun, lässt sich da sagen, auch die reichsten Firmen müssen sparen, wenn sie keine Automobile oder Vermögenspläne mehr verkaufen können. Aber es liegt nicht nur daran: Ein Genre hat sich hier verändert, eine Aura erschöpft, und der Wandel hatte sich angekündigt, lange bevor die sogenannte Realwirtschaft zum Opfer der Bankenkrise wurde. Schon die allmähliche Ablösung der anpreisenden durch die inszenierende Werbung war ein Schritt in diese Richtung, aber längst ist die Reklame weitergegangen. Gewiss, sie will immer noch verkaufen, aber je mehr sie das will, desto weniger geht sie in diesem Zweck auf. Sie will Leben werden.

Werben, sagt der Philosoph Christoph Türcke in seiner "Philosophie der Sensation" (München 2002), bedeutet unter solchen Voraussetzungen: "eine ganze Wahrnehmungsweise einüben, worin das Angepriesene seinen festen Platz hat". Das hat Folgen für den Leser oder Zuschauer: Eher dass er ein Adressat wäre, ein Kunde, der verführt werden soll, ist er ein Kenner, ein Mitwisser, ein Fachmann, der eigentlich keine Werbung braucht, sondern zusammen mit dem Hersteller das Produkt genießen will.

Die perfekte Werbung geht daher heute in das Produkt selber ein. Es selbst muss eine konditionierende Kraft besitzen. Es muss eine Verkörperung sein von Sinn und Rettung - und überzeugender als jede Art von verweisender Werbung ist es deswegen, wenn das Produkt in sich Ausdruck seiner verführerische Kraft ist. Die Werbung geht also ins Design, und wenn im Design etwas glückt, wie bei den Produkten von Apple, wie bei Audi oder Bionade, so geht die Eigenwirklichkeit des Produkts weit über jeden Appell an eine Kaufentscheidung hinaus.

Es mag sein, dass die allerneuesten Medien für solche Auftritte im Einzelfall ein besseres Vehikel darstellen als das Fernsehen oder bedrucktes Papier. So wirbt die Firma Google für sich selber, indem sie die Geschichte eines Amateurvideos erzählt. Ein Hochzeitspaar aus Minnesota hatte den Einzug von Brautpaar und Gefolge in die Kirche als Tanz zu den Klängen von Chris Browns Lied "Forever" inszeniert. Dabei entstand ein heiterer, überraschender, überaus lebendiger Film, den viele Menschen bei YouTube fanden.

Zehn Millionen Zuschauer kamen in nur einer Woche zusammen. Ein Jahr nach Veröffentlichung des Songs erreichte er so die obersten Ränge der meistverkauften Musikstücke. Von solchen Konzentrationseffekten kann die Werbewirtschaft bei den traditionellen Medien nur träumen. Die Internet-Kunstfigur Horst Schlämmer und die Werbung für Volkswagen zeigen zwar, dass sich selbst solche Konzentrationen steuern lassen. Gleichsam eigenwirklich und lebensweltlich. Das Problem ist nur: Lassen sich solche Ereignisse planen? Und auch: Wem stellt man dafür was in Rechnung?

© SZ vom 14.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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