VR-Arcade in Nürnberg:Familienausflug in die vermeintliche Zockerhöhle

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So reagieren viele Menschen, die zum ersten Mal eine VR-Brille aufsetzen: verblüfft, erschrocken, begeistert. (Foto: dpa)

Virtual-Reality-Spielhalle - da stellt man sich einsame Nerds in dunklen Räumen vor. Die VR-Arcade in Nürnberg ist das Gegenteil: eine Mischung aus Zahnarztpraxis und Zen-Garten.

Von Michael Moorstedt

Eine Stunde in der Nürnberger Südstadt, schon wird Realitätsflucht zur ernst zu nehmenden Option. Halbwüchsige verschrecken mit dem Geheul ihrer getunten Sportwagen arme Großmütter, Kinderbanden treten gegen Kaugummiautomaten, ein paar Obdachlose liefern sich einen Schrei-Wettbewerb.

Die Möglichkeit zum Eskapismus ergibt sich ausgerechnet dort, wo es besonders scheußlich ist. In einer Betonpyramide aus den sechziger Jahren, zwischen aufgegebenen Import-Export-Läden und Pilszapfstellen, befindet sich die Virtuis VR-Arcade. Den Namen verstehen nur Menschen, die erstens wissen, dass die Videospielhallen der achtziger Jahre Arcades hießen. Und die zweitens verstehen, dass VR die Abkürzung für Virtual Reality ist.

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Setzt man eine Virtual-Reality-Brille auf, dann steht man plötzlich in einer bläulich-kühlen Raumstation. Oder in einem Dschungel. Blickt man an sich herab, sieht man zwei Laserpistolen oder Äxte in den eigenen Händen. So ausgestattet, sprintet man durch Gänge oder Höhlenlabyrinthe, muss Roboterdrohnen abknallen, Geschossen ausweichen, Gegner aufspüren.

Das Spielprinzip selbst ist meist kaum komplexer als bei einem herkömmlichen Computerspiel alter Schule, dafür aber schweißtreibender, denn der Spieler ist festgeschnallt in ein Geschirr, das einer Kletterausrüstung ähnelt und seine Bewegungen in der echten Welt in die virtuelle Welt überträgt.

VR-Spielhallen boomen, auch in Deutschland

Es gibt viele Methoden, um die virtuelle Realität noch realistischer erscheinen zu lassen. So wird das mechanische Zubehör immer ausgefeilter. Westen simulieren virtuelle Umarmungen oder Einschüsse, es gibt Wind- und Wassereffekte und hydraulische Plattformen.

Das Problem dabei ist der Preis. Die VR-Technik ist bislang ohnehin so teuer, dass es wohl noch etwas dauern wird, bis sie wirklich massenkompatibel wird. Die leistungsfähigeren Brillen gibt es ab 700 Euro, noch dazu benötigen die Spieler einen High-End-PC, um Bilder zu sehen, die scharf und flüssig genug sind, dass es ihnen nicht den Magen umdreht. Eine halbwegs vernünftige Ausrüstung kostet also mehr als 2000 Euro.

Findige Geschäftsleute, Hardware-Hersteller und Entertainment-Konzerne wie Fox oder Imax investieren deshalb in VR-Spielhallen, die es mittlerweile in jeder größeren Stadt gibt. Start-ups wie The Void wollen Ketten von VR-Zentren in aller Welt eröffnen. Realitätsflucht auf Raten, lautet das Prinzip. 40 Euro für 60 Minuten Auszeit von der dritten Dimension und der Ödnis des Alltags berechnet man etwa bei Virtuis. Auch hier werden bereits mehr als ein Dutzend neue Standorte in ganz Deutschland geplant.

Keine Zockerhöhle, sondern eine Mischung aus Zahnarztpraxis und Zen-Garten

In Nürnberg empfängt den Besucher eine Mischung aus Zahnarztpraxis und Zen-Garten: schicke Polstermöbel, klare Räume, moderne Beleuchtung. Die Betreiber möchten den Menschen unbedingt die Angst vor dem neuen Medium nehmen. Keine dunkle Zockerhöhle soll es sein, sondern ein einladender familienfreundlicher Ort. So führt die Exkursion in die virtuelle Realität hier nicht - wie von manchen Menschen, die sich mit dem neuen Medium nicht auskennen, ja vermutet wird - in die soziale Isolation. Sie ist vielmehr ein Gruppenausflug. Hier werden Kindergeburtstage gefeiert, Junggesellenabschiede, Firmenevents.

Ein Monitor zeigt allen Anwesenden, was der Spieler gerade sieht. Viel lustiger ist es aber, das digitale Geschehen anhand seiner analogen Reaktionen zu erraten. Wer gerade mit den Computerwelten verbunden ist, führt in der Realität einen seltsamen Tanz auf, zuckt, duckt sich, hüpft und schreckt zurück. Die Zuschauer feuern an oder geben Ratschläge.

Für die Macher in Nürnberg ist Virtual Reality nicht das alles umstürzende Medium. Es würde ihnen schon genügen, wenn sie sich als weitere Komponente im urbanen Entertainment-Mix durchsetzen kann, gleichberechtigt neben Spaßbad, Multiplexkino und Vergnügungspark.

Keine Vasen, die im Weg stehen, keine Verletzungsgefahr durch Kabel

In der Nürnberger VR-Arcade hängen die Brillen und Kabel von oben herab wie die Deckeninstallationen in einem Operationssaal. In drei schaumstoffverkleideten Räumen kann parallel gespielt werden. Blinkende Kameras beobachten die Position der Spieler. Nähert sich einer von ihnen einer Wand, erscheint in der Simulation ein Gitter aus Licht, eine Art digitaler Warnblinker oder Abstandshalter.

Eine der vielen Paradoxien der Virtual Reality ist ja, dass sie zwar in neue, irreale Welten entführt, aber trotzdem in der Realität eine recht raumgreifende Angelegenheit ist. Man sitzt nicht auf dem Sofa rum, sondern will die fremden Planeten und Fantasia-Länder erleben, in ihnen herumlaufen, sie anfassen.

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Dumm nur, wenn man dabei in der echten Welt die Vase vom Wohnzimmertisch abräumt. Auf Youtube sind Videos von Virtual-Reality-Unfällen eine beliebte Disziplin, Menschen stolpern über die Kabel, mit der die Brille mit dem Computer verbunden ist, oder fallen wie ein Brett nach hinten um, weil sie sich vor einer Figur erschreckt haben.

Nur ein FSK-18-Titel, Blut und Gewalt sind verpönt

In der Nürnberger VR-Arcade gibt es dagegen einen Menschen, der dafür sorgt, dass all das nicht passiert. Operator nennen sie bei Virtuis ihre Angestellten. Das klingt nach der Matrix-Trilogie, auch hier hatten die Helden in der Virtual Reality ja ein paar Menschen, die von der Echtwelt aus auf sie aufpassten.

In Nürnberg lädt der Operator inzwischen das nächste Spiel. Gesichtslose Figuren mit glatter roter Haut und scharfen Klingen in den Händen schleichen sich an den Spieler heran. Jedes Mal, wenn er sich umdreht, durchzuckt ihn ein mörderischer Schreck, steht vor ihm doch ein mannshoher Killer.

Bekämpft wird die rote Gefahr in diesem Spiel mit Pfeil und Bogen. Um die Sehne zu spannen, muss man wirklich die Arme benutzen, was schon nach ein paar Minuten für kräftiges Muskelziehen in den Schultern sorgt. Trifft ein Projektil sein Ziel, zerstiebt dieses in einer Pixel-Explosion. Alles soll so unblutig wie möglich ablaufen, hier soll schließlich die ganze Familie spielen. Es gibt deshalb auch nur einen FSK-18-Titel im Sortiment.

Spielhallen machten Computerspiele bereits in den 70er-Jahren erfolgreich

Im Grunde wiederholt sich gerade ein Stück Technikgeschichte. Schon einmal waren es schließlich die Spielhallen, die dem Medium Computerspiel den Weg ebneten. In den späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahren hatten sie ihre goldene Zeit. Videospielkonsolen waren damals zu teuer für den Hausgebrauch, genau wie heute die VR-Geräte. Titel wie Space Invaders, Asteroids oder Pac-Man mit ihrer mehr als abstrahierten Gewalt zogen Kinder und Jugendliche in ihren Bann. Die Spielhallen waren jener Ort, wo sich die Gegenwart nach Zukunft anfühlte, gebaut aus Neonlicht und Pixeln. Zehntausende Arcades gab es damals weltweit. Ihr Niedergang begann Mitte der Achtziger, als die Heimgeräte erschwinglich wurden.

Auch die Idee der Virtual-Reality-Spielhallen wurde schon einmal ausprobiert. Anfang der Neunzigerjahre galt die VR-Technologie als "das nächste große Ding", falls man das damals schon so nannte. In sogenannten Cybercafés ließen sich die Menschen in kleinen Gehegen einsperren, setzten eine 3-D-Brille auf und begannen herum zu fuchteln - wahrscheinlich dachten sie, sie hätten die Zukunft gespürt.

© SZ vom 17.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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