Variete:Der Zirkus hinter dem Zirkus

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Sie die zarte Giulietta, er der große Zampano? Weit gefehlt! In "La luna" hat sich Amélie längst von Michele emanzipiert. (Foto: Alexander Dacos)

Die neue Gop-Show "La luna" bietet eine unterhaltsam-chaotische Innenschau: Im Mittelpunkt steht der Familienalltag der Artisten und Gaukler

Von Barbara Hordych

Auf den Kopf gestellt wird in der neuen Gop-Show "La luna" so einiges: Das beginnt schon damit, dass in der ersten Hälfte des Programms eine Zirkus-Vorstellung sozusagen von hinten aufgerollt wird, das Publikum eine "complettamente verruckte" Szenerie erlebt, wie Zirkusdirektor Michele Chen temperamentvoll beklagt. Auf dem Hochseil wird die Wäsche aufgehängt, was aber den 27-jährigen Franzosen Lucas Bergandi nicht davon abhält, dort seine kühnen Salti und Sprünge sowie Spagat zu zeigen. Eine Darbietung, die das Publikum mit Begeisterungsrufen quittiert, den Zirkuschef aber protestierend und türenschlagend in die innere Emigration - oder genauer gesagt, in den Zirkuswagen - treibt. Der versinnbildlicht, gemeinsam mit den Umrissen eines Chapiteau-Zelts, auf der Bühne von "La luna" das Thema der neuen Show, in der es um den mal fröhlichen, mal konfliktgeladenen, aber immer turbulenten Alltag in einer Artistenfamilie geht.

Am komischsten sind dabei sicherlich die Verzweiflungsausbrüche eines Zirkuspatriarchen anzusehen, dessen Autorität von den Ambitionen des Nachwuchses erschüttert wird. Die jungen Artisten wuseln um den Chef herum, versuchen ihn von ihrer unkonventionellen Interpretation klassischer Disziplinen zu überzeugen. Allen voran Florent Lestage, der mit Keulen und Spazierstöcken gleichermaßen kunstfertig zu jonglieren vermag. Und Marianna de Sanctis, die immer wieder wilde italienische Wortkaskaden hervorsprudelnd ihre männlichen Kollegen auf der Bühne herumscheucht, um schließlich mit ihren Hula-Hoop-Reifen eine grandios überdrehte Reifen-Darbietung zu zeigen.

Zum Leidwesen des geplagten Direktors erinnert selbst seine Frau und Akrobatikpartnerin Amélie Demay nur noch äußerlich an die zarte und traurige Gestalt von Giulietta Masinas Gelsomina in Federico Fellinis Artistendrama "La Strada". Denn längst hat sie sich von ihrem großen Zampano emanzipiert. Ja, sie geht sogar so weit, ihrem Chen wortwörtlich die Flötentöne beizubringen - ein Rhythmus, bei dem der widerstrebende Kerl, wilde Pirouetten drehend, einfach mit muss.

Das Lied dieser Zirkusstraße wird übrigens fast ununterbrochen live auf dem Akkordeon intoniert - eine weitere äußerst charmante Idee dieses Programms, das die Regisseurin Sabine Rieck stimmungsvoll in Szene gesetzt hat. Als der Mond dann schließlich am Ende des Tages die Abendvorstellung der kleinen Zirkustruppe bescheint, ist man als Zuschauer fast ein wenig enttäuscht, sich von dieser unterhaltsam-chaotischen Innensicht verabschieden zu müssen. Doch der Auftritt von Romina Chen, auch im wahren Leben Tochter von Michele und Amèlie, fegt die Melancholie hinweg. Die 19 Jahre alte Jungartistin und Musikerin spielt virtuos auf der Gitarre - auf dem Kopf stehend, die Beine im Spagat.

La luna ; immer Dienstag bis Sonntag, Gop-Varieté, Maximilianstraße 47, bis 14. Januar

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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