US-Comedyschule: The Second City:Das Haha-Harvard

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Ob Blues Brothers, Mike Myers oder Tina Fey: Wer in den USA comedymäßig auch nur irgendetwas taugt, hat hier sein Spaßhandwerk gelernt. Ein Besuch in der Schule der Klassenclowns.

Jan Füchtjohann

Plötzlich brüllt ein Gorilla. Das hätte man jetzt nicht erwartet, in diesem nüchternen Besprechungsraum im dritten Stock. In den Fenstern spiegelt sich die Skyline von Chicago, das Geschrei kommt von draußen, aus dem Gang: ,,Wahrscheinlich wieder einer von den Werbern oder Geschäftsleuten", sagt Matt Hovde und guckt nichtssagend. Es ist nicht leicht, so zu gucken, wenn man schon darauf lauert, die nächste Pointe zu landen. Aber gelernt ist gelernt.

So weit kann's kommen: Steve Martin und Tina Fey bei der 81. Oscar-Verleihung im Februar 2009. (Foto: dpa)

Matt Hovde leitet eine der wichtigsten Comedy-Schulen der Welt: The Second City Training Center in Chicago. Den Profi erkennt man an dem scheinheiligen Gesicht, mit dem er die absurde Situation kommentiert. Und an der braven Ponyfrisur und dem zu kleinen T-Shirt - wer sich mit 36 anzieht wie ein kleiner Junge, muss Humor haben. Aber warum schreien diese Werber so? "Sie wollen lernen, wie man sich richtig zum Affen macht." Um das zu erfahren, kommen jedes Jahr Tausende nach Chicago oder in die Second City-Filialen in Toronto und Hollywood. Die meisten wollen bloß ein paar Tricks mitnehmen, um ihre Kunden in Zukunft ein bisschen witziger und schlagfertiger um den Finger zu wickeln.

Andere wollen es wirklich wissen. Wie Dan Aykroyd und John Belushi, die dann die ,,Blues Brothers'' wurden; wie der große Bill Murray, der monumentale Mike Myers, das unsterbliche Duo Mike Nichols und Elaine May; wie zuletzt die Komikerstars der Gegenwart Tina Fey, Steve Carell und Stephen Colbert. Die Liste der berühmten Namen ist endlos. Wer in der amerikanischen Comedy der letzten vierzig Jahre irgendwas taugte, wer heute auch hinter den Kulissen die Maschinerie der Gags am Laufen hält, von der Daily Show with Jon Stewart bis zur Late Show with David Letterman, von 30 Rock bis Curb Your Enthusiasm, der war mal bei The Second City. So wirkt es zumindest von außen.

Von innen sieht das "Haha-Harvard" aus wie ein Ballettstudio für Ungelenkige: lange Gänge, verspiegelte Säle, junge unsportliche Menschen in Freizeitkleidung. Sie sehen sympathisch aus, aber nicht besonders gut. Klar: Wer schön ist und auf jedem Sportplatz abräumt, braucht keine schnelle Zunge - dies ist die Jahresvollversammlung der Klassenclowns. Aber was lernen die hier?

"Erst mal verlernen sie einiges'', sagt Hovde. ,,Kennen Sie das - Sie machen einen Witz und niemand lacht? Die meisten Leute haben wahnsinnige Angst davor, darum haben sie lieber gar keinen Humor. Auch unsere Schüler sind am Anfang nicht besonders witzig. Ihre Eltern haben ihnen gutes Benehmen beigebracht: Albern sein ist verboten, gemein sein ist verboten, peinlich sein ist verboten. Das müssen sie erst einmal ablegen."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie man lernt, die Ordnung zu unterlaufen.

Und deshalb brüllt man in der ersten Stunde gleich wie ein Gorilla? Die Leute sollen ihre Hemmungen abbauen? "Genau. Wer in einen Käfig gesperrt wurde, zeigt selten was er kann. Wir sägen die Gitter durch und gucken was passiert: Affen schreien, Krokodile jagen, Vögel fliegen. Es ist ein verrückter Zoo, und manchmal verlieren wir die Kontrolle. Aber Inspiration liegt eben nicht nur in der Sonne und sieht putzig aus. Die lustigsten Sachen kommen meistens aus gequälten Seelen."

Der Bruch mit zivilisatorischen Standards wie Höflichkeit, Rücksichtnahme und Mitleid ist eine klassische Methode, mit der auch Sekten ihre Mitglieder initiieren. Die große Komik, die von hier aus die Welt erobert hat, spiegelt diese Radikalität. Ganz offensichtlich ist dies einer der perversen Orte, wie sie eigentlich jede gute Kultur braucht: Eine Schule, in der den Bürgern nicht beigebracht wird, wie man sich an die Ordnung hält, sondern wie man sie unterläuft.

Stets auf alles gefasst

Wer die Rituale der Einweihung überstanden hat, lernt dann neue, lustigere Regeln. Bei The Second City sind das die Regeln der modernen Improvisationskomik, die in Chicago schon Mitte der fünfziger Jahre von Viola Spolin erarbeitet wurden. Bis heute kann man das jeden Abend erleben: Nach der täglichen Vorführung im hauseigenen Theater in der North Wells Street entwickelt das Ensemble direkt auf der großen Bühne das Material für die nächste Saison. Die Zuschauer bleiben oft bis spät in die Nacht, trinken ekelhafte Cocktails und kommentieren jede Pointe mit Pfiffen oder Gelächter.

Einmal reicht ein Irak-Veteran seine Beinprothese auf die Bühne - die Schauspieler machen daraus sofort eine Szene über einen Typen mit drei Beinen in einem Hosengeschäft. Dabei ist vor allem beeindruckend, wie präzise sie sich die Bälle zuspielen. "Dafür gibt es ein paar Regeln", sagt Matt Hovde. "Stellen Sie sich vor, ein anderer Schauspieler klopft an die Tür und sagt: 'Ich bin's, dein Vater!' Dann sollten Sie nie antworten: 'Das kann nicht sein, mein Vater ist seit Jahren tot!' Die Szene wäre zu Ende, bevor sie begonnen hat, die anderen stünden dumm da. Lieber murmeln Sie laut: 'Oh Gott, er weiß noch gar nicht, dass ich schwanger bin.' Wir nennen das das 'Ja-Und-Prinzip': Nimm das Angebot des anderen an und baue darauf auf."

Da ist er wieder, dieser Blick. Bei dem Wort "schwanger" schaut Hovde nichtssagend auf sein Bäuchlein - das mit dem Improvisieren kann er ganz gut. "Wir produzieren nur Comedy, die so klug ist wie möglich. Auf der Bühne müssen sie ständig aufmerksam sein, alle hängen von allen ab, jeder kann die Szene jederzeit drehen. Wenn Sie nicht aufpassen, werden Sie plötzlich als Quantenphysiker angesprochen - und müssen als solcher antworten."

Wer The Second City bei der Arbeit erleben will, kann das zum Beispiel im Abspann der Komödie "Date Night" tun - bei jenen Szenen, die es nicht in den fertigen Film geschafft haben. Man sieht, wie die Chicago-Veteranen Tina Fey und Steve Carell vor laufender Kamera improvisieren. Das Setting: ein Restaurant. Die Aufgabe: ein Paar synchronisiert das Gespräch des langweiligen Paares am Nebentisch.

Und jetzt geht es Klappe für Klappe, immer dieselbe Stelle: "Leider muss ich jetzt nach Hause und meinen Schnurrbart färben", legt Tina Fey der Frau in den Mund. Nächste Idee, übernächste, Schlag auf Schlag werden fröhlich die Körperfunktionen durchdekliniert, schließlich: "Leider muss ich jetzt nach Hause und meine Vagina im Handspiegel betrachten.'' Carell und mit ihm das ganze Team brechen zusammen vor Lachen.

Der Wahnsinn

Es ist ein kurzer Einblick hinter die Kulissen, der deutlich lustiger und beeindruckender ist als der plötzlich ziemlich statisch wirkende Film. Er zeigt, wie Hollywood-Komödien heute gemacht werden. Wer drei Gags im Kopf behält und sich zeitgleich schon für einen vierten warmläuft, für den ist Hollywood dann auch keine Herausforderung mehr - gleich mehrere Generationen von Second City Komikern haben das inzwischen bewiesen.

Doch woher kommt der durchschlagende Erfolg der Improvisationskomik? Klassische Komödienschreiber wie Billy Wilder haben lange im Stillen an ihren Pointen gefeilt: "Sie spielen Wasserpolo, ist das nicht gefährlich?" fragt Marilyn Monroe in "Manche mögen's heiß". "Doch", antwortet Tony Curtis, "mir sind dabei schon zwei Ponys ertrunken." Man meint, hinter den Schauspielern den brillanten Drehbuchautor zu sehen, der sich lachend von seiner Schreibmaschine erhebt und verbeugt.

Moderne Komik funktioniert anders. Sie braucht den Wahnsinn, der entsteht, wenn ein Entertainer seine Schöpfung auf die Wirklichkeit loslässt. So provoziert zum Beispiel Sacha Baron Cohen die irrsten Reaktionen, indem er seine Kunstfiguren Ali G, Borat oder Brüno mit echten, vorher nicht eingeweihten Personen konfrontiert. Diesen Reality-Effekt strebt auch eine Serie wie "The Office" an, die ganz auf klassische Sitcom-Elemente wie das Dosengelächter verzichtet und sich als Dokumentation ausgibt.

Dabei weichen ,,Har, har, har''-Momente einer Komik, die Jahrzehnte lang vernachlässigte Gefühle wie Peinlichkeit, Scham und Unsicherheit humoristisch urbar macht. Dass Steve Carell in der amerikanischen Version von "The Office" die Hauptrolle spielt, ist für Matt Hovde kein Zufall: "Im Erzeugen peinlicher Momente sind Second City-Absolventen unübertroffen. Improvisation ist wie das wirkliche Leben: Man weiß nie vorher, was als nächstes passiert. So fällt einem erst einmal nichts ein. Und dann das Schlimmste. Und genau daraus zieht Carell seinen Humor."

Zunehmend verzweifelt

Am Ende aber geht es um viel mehr. Erhebungen zufolge bezieht ein nicht unwesentlicher Teil der Amerikaner seine politischen Informationen mittlerweile aus Satire-Formaten wie The Daily Show with Jon Stewart oder Colbert Nation. Darum wird es durchaus ernst, wenn ein Second City-Alumnus wie Stephen Colbert im amerikanischen Senat auftritt und den Mitgliedern des Einwanderungsausschusses vorschlägt, zur Bekämpfung illegaler Tagelöhner doch einfach mit dem Obstessen aufzuhören.

Der Kollege Jon Stewart hat für Ende Oktober zu einem Marsch auf Washington aufgerufen, zur "Wiederherstellung der Vernunft". Colbert plant eine Gegenveranstaltung zur "Wiederherstellung der Angst". In Wahrheit schlagen beide in die gleiche Kerbe: Sie bringen ihren scharfen und zunehmend verzweifelten Witz gegen die Demagogie in Stellung, gegen die "Tea Party" und Fox News. Er halte es einfach nicht mehr aus, erklärte Stewart neulich: "Selbst wenn man köstlichen Schokoladenkuchen isst, kommt irgendwann der Moment an dem man sagt: Es ist genug. Um zu ermessen, wie wir uns jeden Tag fühlen, ersetzen sie 'Schokoladenkuchen' bitte einfach durch 'Kack-Krapfen'."

Amerika befindet sich in einem Kulturkampf, in dem scheinbar nur noch die Narren die Wahrheit sagen können. In einer Schlammschlacht mit Fox News bleibt zu wenig Zeit, um sich über eine Replik zu ärgern, die einem gerade nicht eingefallen ist. Darum müssen Improvisationskomiker an die Front: Sie sind die Einzigen, die in dieser absurden Lage für die Aufklärung kämpfen können - mit lautem Lachen, so schnell und so klug wie möglich. Gott sei Dank, dass es The Second City gibt.

© SZ vom 21.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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