Uraufführung:Beate an Bord

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Hilfe, es lebt! Die Neue-Welt-Mission hat übersehen, dass sie die Schuld (hier symbolisiert von Tina Keserovic als Beate Zschäpe, Mitte) nicht einfach auf der Erde zurücklassen können. (Foto: Armin Smailovic)

Ersan Mondtag ist einer der spannendsten Regisseure des Landes. An den Kammerspielen inszeniert er das NSU-Stück "Das Erbe"

Von Christiane Lutz

Ersan Mondtag findet München blöd. Er sagt Sätze wie: "Mit Fassbinders Tod hörte München als kultureller Ort für mich auf", oder: "Ich weiß nicht, welcher Künstler freiwillig hierher zieht", und: "Gekaufte Kunst transformiert eine Stadt nicht zu etwas, das sie nicht ist. Künstler transformieren sie". Natürlich lobt er die großen Institutionen wie Pinakothek und Staatsoper und die großartigen Kirchen. Aber Münchens Regulierungswahnsinn, die Punkte auf dem Boden der Freischankflächen, das allumfassende Rauchverbot - schrecklich. "Eine Stadt bedeutet doch Lärm, Autos, Reibung und Konflikte. Das fehlt mir hier total. Immer patrouilliert das Ordnungsamt!"

Ersan Mondtag, 29, Berliner, ist der heiße Scheiß der deutschen Theaterregie-Szene. Er inszeniert an großen Häusern, war zweimal zum Theatertreffen eingeladen, Theater heute kürte ihn 2016 zum Nachwuchsregisseur des Jahres. Sein Theater ist stets bildgewaltig und oft beklemmend. Bei "Tyrannis", das das Leben einer Familie nach Eindringen eines Fremden zeigte, sprach über mehr als zwei Stunden keiner ein einziges Wort. Sein letzter Streich, "Vernichtung", war eine fantastisch-artifizielle Endzeitparty. Nun sitzt Ersan Mondtag im sogenannten Frank-Baumbauer-Park, einem kleinen Stück Grün hinter den Kammerspielen, und redet sich in Rage. Er spricht aber nicht als hipper Berliner (der er trotzdem zweifellos ist), sondern als einer, der die Kunst liebt und sie verteidigen will gegen alles, was sie lähmt. Und München, München lähmt eben.

Er weiß, wovon er spricht, denn er hat an der Otto-Falckenberg-Schule Regie studiert, das Studium aber vorzeitig beendet. Weil er lieber arbeiten gehen wollte. Sollten wir nicht über seine aktuelle Inszenierung reden? "Das Erbe", ein Stück von Olga Bach über den NSU, das Ersan Mondtag jetzt an den Kammerspielen inszeniert? Da holt er gleich aus zum nächsten Diskurs, artverwandt: die Kammerspiele. "Die Kammerspiele sind für mich der subversivste Ort dieser Stadt. Ein Stadttheater! Wie absurd. Das sagt viel über die Stadt aus. Wenn die Zuschauer die Kammerspiele ernst nehmen in ihrem Diskurs, könnten sie die Stadt transformieren. Was München richtig gut tun würde."

Matthias Lilienthal kennt Ersan Mondtag aus Berlin. Als er 13 war, hat er bei ihm am HAU in einer Produktion getanzt. Ein Intendant, der allen auf Augenhöhe begegnet. Das gefällt ihm. "Matthias interessiert sich ernsthaft für gesellschaftliche Prozesse. Er tut nicht nur so, wie viele andere am Theater. Die Zuschauer sollen bitte kommen, buh schreien, sich reiben, aber sie sollen kommen, weil: Hier passiert was! Und wenn sie nicht kommen, passiert es nicht mehr. Dann kommt wieder so ein Wischiwaschi-Ding." In einer Zeit, in der selbst junge Künstler längst um politische Korrektheit bemüht sind, ist Ersan Mondtag eine angenehme Ausnahmeerscheinung.

Und den Zuschauern muss er auch noch eine Sache mitteilen: "Ein Theater gehört doch der ganzen Stadt und nicht nur einer bestimmten Gruppe. Jeder ist doch für das Grundgesetz. Aber sobald es darum geht, ein Theater zu teilen, sagen alle: aber nicht so. Syrische Popmusik? Doch nicht in den Kammerspielen. Dabei können die Menschen jetzt ihr kulturelles Verständnis weiter entwickeln. Respekt an die Münchner Stadtpolitik, dass sie Lilienthal geholt hat."

Pause. Diese Ausführungen erübrigen die Frage, was Mondtag an die Kammerspiele und in die Stadt seines Grauens verschlagen hat. Ist jetzt der Moment, über "Das Erbe" zu reden? "Eigentlich spreche ich vorab nicht gern über Inszenierungen", sagt er. Das beeinflusse die Wahrnehmung. Aber okay, ein bisschen reden geht. "Das Erbe" ist ein Text der Autorin Olga Bach, eine enge Vertraute Mondtags. Er wollte etwas über den NSU machen, weil er in München unweigerlich an den NSU und den Prozess von Beate Zschäpe denken muss. Der Text ist ein ziemlich komplexes Werk aus weitläufigen Assoziationen zum Thema Schuld. Denn die Frage nach der Schuld ist für Mondtag der Schlüssel zum tieferen Verständnis der NSU-Problematik. Kann es im Falle einer Verurteilung Beate Zschäpes überhaupt so etwas wie eine kollektive Katharsis, also eine Befreiung von der Schuld geben?

Seine Versuchsanordnung geht so: Eine Gruppe von Frauen ist in einem Raumschiff auf dem Weg zu einer zweiten Erde. Sie wollen dort eine bessere Menschheit ansiedeln. An Bord haben sie das gesamte kulturelle Erbe der Menschheit. An Bord haben sie aber auch: Beate Zschäpe, die als Fehler im System erscheint, als Symptom für den Rassismus, den die Menschheit eben auch in ihrer Kulturgeschichte trägt und den sie einfach nicht loswerden kann, auch nicht im All. "Beate schaut uns an, sie ist ein Teil von uns", sagt Mondtag. "Ich begreife die Menschen als Familie, und Beate ist eben das Kind, das ausgetickt ist. Und wir müssen uns fragen: Wie konnte es dazu kommen, dass unser Kind so wurde?"

Bühnenbildner Rainer Casper hat in der Kammer 2 der Kammerspiele einen beeindruckenden Raum hingestellt. Auf tiefschwarzem Holz sind mit leuchtender weißer Farbe und verstärkt durch weiße Projektionen endlose Bücherregale und Ornamente gezeichnet. Dazwischen hängen Bilderrahmen, auf denen die Gesichter der Schauspieler zu sehen sind, blinzelnd, weinend. Der Raum ist eine Mischung aus Science-Fiction und Staatsbibliothek.

Ob Ersan Mondtag Druck spürt, als junger Regiestar an den Kammerspielen jetzt einen Erfolg abliefern zu müssen? "So entspannt wie hier ist es nirgends", sagt er. "Alle sind wahnsinnig nett. Deshalb sind die Kollegen hier manchmal überfordert, weil ich schrei ganz gern mal auf der Probe. Bin voll der Choleriker. Schmeiß auch mal Dinge rum." Man zweifelt keine Sekunde, dass er das ernst meint.

Das Erbe , Uraufführung am Do., 22. Juni, 20 Uhr, Kammerspiele, Kammer 2, Falckenbergstraße 1

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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