Umstrittenes Kulturschutzgesetz:Warum Georg Baselitz seine Kunstwerke aus deutschen Museen entfernt

Georg Baselitz

Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz zieht seine Kunstwerke aus deutschen Museen zurück.

(Foto: Arno Burgi/dpa)
  • Kulturstaatsministerin Monika Grütters plant eine umstrittene Verschärfung des "Kulturgutschutzgesetzes".
  • Jedes bedeutsame Werk eines Künstlers von internationalem Rang, das dauerhaft in Deutschland verwahrt worden ist, soll unter Schutz gestellt werden.
  • Viele Kunsthändler sind entsetzt.
  • Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz hat am Sonntag bekannt gegeben, dass er sämtliche Dauerleihgaben aus deutschen Museen zurückzieht.

Von Jörg Häntzschel

Was ist "national wertvolles Kulturgut"? Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" gehört nicht dazu, dafür seine "Meeresküste bei Mondschein". Von Paula Modersohn-Becker steht kein Werk im Verzeichnis, dafür finden sich etliche von Picasso. Angelegt wurden die Verzeichnisse dieser mit Exportverbot belegten Werke in der Weimarer Republik. Man wollte verhindern, dass der entmachtete Adel seine Kunstschätze außer Landes bringt. Seitdem ließ man diese Verzeichnisse teils wuchern, teils vernachlässigte man sie. Dass sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters nun dieses Verhaus angenommen hat, ist begrüßenswert.

Doch statt nur aufzuräumen, plant sie eine Verschärfung des "Kulturgutschutzgesetzes", das die Zahl der geschützten Werke explodieren lassen wird. Grütters will nicht nur sämtliche Werke in öffentlichen Institutionen unter Schutz stellen. Nicht nur Kunstwerke mit Bedeutung für die deutsche Kultur oder Geschichte, wozu auch die beiden Warhols aus der landeseigenen nordrhein-westfälischen Spielbank Westspiel gehört hätten, die unlängst für 120 Millionen Euro versteigert wurden. Sie stehen laut Grütters "emblematisch für die Sammlungsgeschichte des Rheinlands". Nein, jedes besonders bedeutsame Werk eines Künstlers von internationalem Rang, das dauerhaft in Deutschland verwahrt worden ist und dessen Verbleib im öffentlichen Interesse ist, soll auf die Liste, also jedes bedeutendere Kunstwerk. Und das ist nur eine der Neuerungen.

Die Eigentumsrechte der Bürger werden ignoriert

Es ist kein schönes Bild von Deutschland, das einem aus diesen 160 Seiten des Gesetzentwurfs entgegensieht. Kunst soll hier weggebunkert und jedes juristische Schlupfloch zum Rest der Welt abgedichtet werden; die Eigentumsrechte der Bürger werden dabei eher gering geachtet. Es ist der Traum von einem Staat, der alle Kunst unter Zwangsverwaltung stellt.

So sieht der Entwurf auch stark verschärfte Ausfuhrbestimmungen vor. Will ein Händler heute ein Gemälde ins Ausland exportieren, muss er prüfen, ob es auf den Listen für national wertvolles Kulturgut verzeichnet ist. Findet er es dort nicht, steht dem Export in ein EU-Land nichts mehr entgegen.

Soll das Bild in die USA oder die Schweiz gehen, greift ein anderes Gesetz: Werke, die älter sind als 50 Jahre und mehr wert als 150 000 Euro, bedürfen nach einer EU-Vorschrift einer Ausfuhrgenehmigung. Dafür ist wiederum eine andere Stelle zuständig, in Bayern sind es die Staatsgemäldesammlungen. Falls ein Werk als kulturgutrelevant gilt, reichen diese es an die zuständigen Kollegen vom Kultusministerium weiter. Beide Instanzen ergänzen sich: Eine Stelle hat mit der Genehmigungspflicht das Instrument zur Überwachung der Ausfuhren. Die andere kann das Ausfuhrverbot verhängen.

Viele Kunsthändler sind entsetzt

Die wichtigste Neuerung des geplanten Gesetzes sieht nun vor, dass auch Ausfuhren in EU-Länder genehmigungspflichtig werden. Der EU-Binnenmarkt wird für den Kunsthandel also aufhören zu existieren. Und die Liste des nationalen Kulturguts wird lang und länger, weil viel mehr Werke geprüft und danach erheblich mehr als nationales Kulturgut klassifiziert werden. Grütters rechtfertigt die Neuerungen auch mit EU-Verordnungen, die Deutschland umsetzen müsse. Andere Länder haben aber Methoden gefunden, die Richtlinie zu modifizieren. Dort, wo man das nicht tat, haben Galerien und Auktionshäuser erheblich gelitten.

Über lange Passagen mühen sich die Autoren, ihren Entwurf als großzügige staatliche Hilfe für den deutschen Kunsthandel darzustellen. Statt die schönsten Stücke an Auktionsgiganten wie Christie's und Sotheby's zu verlieren, können die winzigen deutschen Häuser nun auch große Kaliber aus deutschen Sammlungen selbst verkaufen.

Dennoch herrscht bei vielen Händlern blankes Entsetzen. Bernd Schultz, Mitgründer des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach, nennt das geplante Gesetz eine "Guillotine des deutschen Kunsthandels". Der renommierte Münchner Veteran Konrad Bernheimer spricht von "kalter Enteignung". Zum einen befürchten sie, dass sie viele Werke in Zukunft nur noch an deutsche Sammler verkaufen dürfen, und deren Zahl hält sich bekanntlich in Grenzen. Zum anderen, dass die besten Werke vor der Verabschiedung des Gesetzes ins Ausland gebracht werden. Und dass jeder, der substantielle Werke besitzt, die kurz vor der 50-Jahres-Frist stehen, sie in Zukunft rechtzeitig exportieren wird.

Kunsthandel in anderen Ländern ist lukrativer

Schon jetzt lässt sich Kunst in Basel, London und New York teurer verkaufen als in Deutschland. Das hat mit niedrigeren Steuern und Abgaben zu tun, aber auch mit der internationalen Käuferschaft und mit der langen Tradition dieser Städte als Kunstmarktzentren. Wer in Zukunft ein Werk verkaufen will, das ein Beamter für "nationales Kulturgut" hält, dem bleibt der Zugang zu diesen Orten für immer verschlossen. In München oder Stuttgart wird er unter Umständen nur einen Bruchteil des Geldes bekommen.

Einige Händler sehen das neue Gesetz allerdings auch entspannter. "Ich halte nichts von dem Geschrei", sagt Karin Stoll vom Münchner Auktionshaus Neumeister. Sie ärgert sich seit Langem über den ständigen Abfluss der Top-Werke ins Ausland. Allerdings bezweifelt sie, dass die deutsche Verwaltung die Genehmigungslawine bewältigen wird: "Das Ganze ist ähnlich weltfremd wie die Autobahnmaut."

Die staatliche Marktverzerrung ist gewollt

Grütters macht keinen Hehl daraus, dass diese staatlich erzeugte Marktverzerrung nicht nur das Nebenprodukt der Gesetzesreform ist, sondern ein Hauptzweck. Seit Langem klagt sie - zu Recht -, dass die deutschen Museen auf dem globalen Kunstmarkt nicht mehr mithalten können. Die Ankaufsetats sinken, die Preise steigen. Mit den geplanten flächendeckenden Ausfuhrverboten nun hält sich der deutsche Staat die Konkurrenz der superreichen Sammler aus dem Rest der Welt vom Leib. Die Folge sind künstlich niedrige Preise, die deutsche Museen und Institutionen wieder bezahlen können.

Goldene Zeiten stehen den Museen dennoch nicht bevor. Grütters will verhindern, dass öffentliche Einrichtungen ihre Sammlungen im Ausland meistbietend verscherbeln - so wie es die staatlichen Spielbanken in Nordrhein-Westfalen taten und wie es der WDR plant. Deshalb klassifiziert das Gesetz pauschal alle Kunstwerke in öffentlichem Besitz als nationales Kulturgut.

Georg Baselitz zieht Dauerleihgaben zurück

Allerdings können auch Dauerleihgaben als Teile einer "Sachgesamtheit" unter Schutz gestellt werden, bevor der Leihvertrag gekündigt wird. Nachdem die Welt auf diesen Passus aufmerksam gemacht hatte, behauptete das Bundeskulturministerium, es handele sich um eine Fehlinterpretation. Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz wollte nicht auf Klärung warten. Er hat am Sonntag bekannt gegeben, dass er sämtliche Dauerleihgaben aus deutschen Museen zurückgezogen habe. Damit verlieren die Münchner Pinakothek der Moderne, das Albertinum Dresden und die Kunstsammlungen Chemnitz wichtige Werke.

Natürlich will niemand, dass Milliardäre aus Amerika oder China deutsche Sammlungen leerkaufen. Die Frage ist nur, ob diese Gefahr wirklich so groß ist. Und ob man nicht mit einem wuchernden Behördenapparat, der Sammler und Händler außer Landes treibt, neue Probleme schafft. Das soll nicht heißen, dass die gegenwärtige Praxis unproblematisch ist. Rund um die Kulturgutlisten sind Merkwürdigkeiten Legion. Jeder Händler kann Geschichten erzählen von Werken, die in einem Bundesland auf die Liste zu kommen drohten und dann von einem anderen für den Export freigegeben wurden.

Neue Regeln schaffen Potenzial für Missbrauch

Auch Burkhard von Urff, der im bayerischen Kultusministerium für das nationale Kulturgut zuständig ist, gibt zu, dass die Kulturgutverzeichnisse in jedem Bundesland "unterschiedlich lang" seien. Die Kulturgutkommission von Nordrhein-Westfalen hatte sieben Jahre lang nicht mehr über eine Eintragung eines Werks in die Liste beraten und zählte zu ihren fünf Mitgliedern als Vertreter des Handels den inzwischen wegen Betrugs verurteilten Kunstberater Helge Achenbach. So konnte es passieren, dass Nordrhein-Westfalen die Warhols ausreisen ließ, die Grütters für so bedeutend für deutsche Sammlungskultur hält.

Die Antwort darauf sollen nun verschärfte, bundesweit gültige Regeln sein. Doch sie bedeuten auch mehr staatliche Aufsicht, mehr staatliche Selbstermächtigung und noch mehr Potenzial für staatlichen Missbrauch. Schon jetzt geriert sich der Behördenapparat geheimniskrämerisch. Die Frage, ob ein Werk als nationales Kulturgut gilt, ob sein Verbleib in Deutschland also von öffentlichem Interesse ist, kann offenbar am besten unter Ausschluss der Öffentlichkeit beantwortet werden.

Grütters beantwortet derzeit keine Fragen

Andrea Bambi, die bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen für Exportgenehmigungen in Nicht-EU-Länder zuständig ist, möchte beispielsweise der SZ keine Auskunft geben über ihre Arbeit. Auch das bayerische Kultusministerium möchte nicht mitteilen, welcher Sammler und welcher Kunsthändler als unabhängige Sachverständige in der bayerischen Kommission sitzen. Da die bisherige Regelung den Ländern laut Entwurf "zu wenig Verfahrensflexibilität" erlaubt habe, können die Länder in Zukunft auf diese Sachverständigen verzichten und hinter verschlossenen Türen entscheiden. Das Kulturministerium in Berlin bestreitet auch dies und verschickte am Freitagabend ein Dementi.

Dabei steht es schwarz auf weiß im Entwurf. Es läuft vieles aus dem Ruder auf dem globalen Kunstmarkt. Für mittelmäßige Werke werden Fantasiepreise gezahlt. Mauscheleien bei den Auktionen sind gang und gäbe. Zwielichtige Investoren nutzen Kunst, um Geld zu waschen. Zu diesen Überhitzungsphänomenen kann man jetzt auch das geplante Kulturgutschutzgesetz zählen. Natürlich sollte man versuchen, bedeutende Kunstwerke im Land zu halten. Doch zu glauben, der Staat könne im Jahr 2015 die Marktgesetze per Dekret durch seine eigenen ersetzen, ist naiv - und zeugt von einem beunruhigenden Rechtsverständnis.

Eine Anfrage der SZ an das Haus Grütters blieb unbeantwortet. Die Ministerin sei auf Reisen, heißt es.

Wie international und offen die besten Kunstsammler schon vor 100 oder 200 Jahren gedacht haben, davon kann man sich in den deutschen Museen überzeugen. Selbstabschottung und Staatsglaube haben der Kunst hingegen noch nie gutgetan.

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