Umstrittene Ausstellung:Pfui, diese Toten

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Eine "grausame Schau" in Esslingen diene der "Verherrlichung von Verbrechern", sehen Kritiker einen Skandal um die Ausstellung von RAF-Totenmasken.

Till Briegleb

In der Geschichte der Totenmasken sind diese Exemplare eher ungewöhnlich. Die Abgüsse der Gesichter der toten RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, die jetzt im Rahmen der Ausstellung "Man Son 1969" in Esslingen ausgestellt werden, dienten nicht der lieben Erinnerung an bedeutende Persönlichkeiten, wie sie der Gedächtniskult bis ins späte 20. Jahrhundert pflegte. Den Schauer von Faszination und Beklemmung besitzen sie nichtsdestotrotz.

Aufgequollen die Gesichter von Baader und Raspe, verzerrt der Ausdruck von Gudrun Ensslin, die sich in Stammheim erhängt hatte, zeigen die Gips-Reproduktionen keine Totenruhe, sondern Qual. Und lösen jetzt eine kleine Aufregung darum aus, warum sie ausgestellt werden.

Die Stuttgarter Bild-Ausgabe, immer auf der Suche nach einem Skandal, instrumentalisierte den Sohn von Hanns Martin Schleyer, Jörg Schleyer, den sie in die Ausstellung in der Villa Merkel begleitete, sowie einige Landespolitiker, die sich zu Ferndiagnosen hinreißen ließen, zu Kommentaren des Abscheus über diese "grausame Schau". Dabei wird unter bewusster Verkehrung der Absichten den Kuratoren unterstellt, die Ausstellung diene der Verherrlichung von Verbrechern.

"Nichts liegt uns ferner als Reliquienverehrung", stellt Kurator Andreas Baur klar. In der Ausstellung, die in größerer Form, aber ohne die Totenmasken, vergangenes Jahr in der Hamburger Kunsthalle zu sehen war, wird das Jahr 1969 von Künstlern betrachtet, ein Jahr, in dem die Manson-Family Sharon Tate und andere niedermetzelte, die radikale Linke in der BRD ihre entscheidende Wende zur Militanz durchmachte, also die friedliche Utopie in gewaltsame Aktion umschlug, aber auch der technische Optimismus mit der ersten Mondlandung einen Höhepunkt erlebte.

Eine Betrachtungslinie dieses komplexen "Ausstellungs-Essays", so Baur, sei, wie "Opfer und Täter in einer Person zusammenfallen können". Und für diese These seien die drei Bildnisse ein sehr eindrückliches Zeugnis.

Hergestellt wurden die Abgüsse von dem Bildhauer Gerhard Halbritter, der sie wohl während der Aufbahrung der drei auf dem Tübinger Bergfriedhof am 19. Oktober 1977 abgenommen hat. Weitere Totenmasken hat der Gerichtsmediziner Hans Joachim Mallach heimlich bei seiner Obduktion gemacht. Von diesen liegt ein Satz im Archiv des Haus für die Geschichte Baden-Württembergs in Stuttgart. Ein weiterer Satz, den die Polizeiakademie Freiburg früher in ihrem Museum ausgestellt hatte, wurde "aus Gründen der Pietät", wie ihr Sprecher erklärt, schon vor Jahren zerstört. Mallachs eigene Exemplare sind verschollen.

Dass die Ausstellung der Exponate trotz Bild-Empörung sich nicht zum echten Skandal aufblasen lässt, wie es zuletzt um die RAF-Ausstellung in den Berliner Kunstwerken 2005 geschehen ist, liegt nicht nur an der differenziert kuratierten Ausstellung, sondern auch an der Besonnenheit von Esslingens Kulturbürgermeister Markus Raab (CDU). Die Kampagne "ignoriere den Kontext" und sei der "nüchternen Diskussion über die jüngere Zeitgeschichte" nicht dienlich, erklärte Raab.

Auch die alten ideologischen Gespenster sind offensichtlich reif für eine Totenmaske.

© SZ vom 31.3.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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