TV-Kritik: "Super Nanny" und "Raus aus den Schulden":"Bevor ich schlage, schrei' ich"

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Ob prügelnde Söhne oder blanke Konten: Super Nanny und Schuldnerberater helfen dem Prekariat aus der Misere. Der wahre Erkenntnisgewinn liegt bei Null.

Tomasz Kurianowicz

Würde man die Symbole in der Wohnung von Mandy S. semiologisch entschlüsseln wollen, wäre der Grundtenor schnell zusammengefasst: Soziale Verwahrlosung. Zur Begrüßung saß die Hausherrin in einem knallengen XXL-T-Shirt und Kippe im Mund auf der Fernseh-Couch, starrte in den johlenden Flimmerkasten, während sich die drei Söhne Justin, Anouar und Ilias in einem erbitterten Faustkampf um das Refugium Wohnzimmer schlugen.

Teil des RTL-Rundum-Sorglospakets: die "Super Nanny" (Foto: Screenshot RTL)

Dabei wurde geschrieen, gepöbelt und getreten. Und natürlich wusste die Mutter in ihrer lethargischen Haltung nichts anderes zu unternehmen, als mit desinteressierten und vollkommen wirkungslosen Verwarnungen die eigenen Zöglinge in Schach zu halten. Spazierte der Älteste mit einem Butterbrot durch das Wohnzimmer, säuselte Mandy ihm apathisch entgegen: "Geh' in die Küsche." Nahm sich der aggressivste der drei Jungs ein Eis zum Frühstück, gab die überforderte Mutter schulterzuckend nach.

Zweifel

Dass RTL die Super Nanny erfunden hat, um solche hoffnungslosen Fälle aus der Schlinge des pathologischen Zirkels zu retten, sollte sich herumgesprochen haben. Mit welchen banalen und zu kurz greifenden Methoden Katharina Saalfrank operiert, wurde in der letzten Folge vor der Sommerpause abermals deutlich.

Saalfrank zeigte der allein erziehenden Mutter anhand paradigmatischer Beispiele, was in ihrer Familie eigentlich falsch läuft. Wird Mandy nicht gewusst haben, dass es bedenklich ist, wenn ihr Sohn Illias seine schulischen und privaten Auseinandersetzungen durch brutale Gewalt zu lösen versucht? Wird sie nicht geahnt haben, dass Chaos und Vernachlässigung emotionale Unzufriedenheit schüren?

Anscheinend nicht. Die Allzweckwaffe gegen infantilen Ungehorsam brachte Mutter Mandy präzise auf den Punkt: "Bevor ich schlage, schrei' ich." Es lässt sich leicht imaginieren, mit welchen Formeln das Anti-Konflikt-Team "Super Nanny" aufzutrumpfen wusste: Gelassenheit, Disziplin und Verständnis. Am Ende bezahlte RTL eine Reitstunde für die gestresste Hausfrau und inszenierte im Abspann den abgehaltenen Einführungskurs im Erziehen von renitenten Kindern als wirkungsmächtigen Erfolg.

Zweifel sind angebracht, ob eine so schnell abgespulte Kur fundamentale Probleme beheben kann. Wie soll eine marode Struktur innerhalb weniger Wochen durchbrochen werden, die sich nach Jahren und Jahrzehnten eingeschlichen hat? Und vor allem: Wie soll ein Mensch vernünftig seine Kinder erziehen, wenn er selbst auf Erziehung angewiesen ist?

Erkenntnisgewinn: Null

Das von der RTL konzipierte und wenig reflexive Rundum-Sorglospaket ging nach der "Super Nanny" in die zweite Runde: Der prominenteste aller deutschen Schuldnerberater, Peter Zwegat, beriet eine Familie aus Süddeutschland, die durch eine verhängnisvolle Serie von Pleiten, Pech und Pannen in die Schuldenfalle tappte.

Veli und Yesim eröffneten 2004 eine gut prosperierende Gastronomie, bevor sie nach einem Arztbesuch erfuhren, dass ihr Sohn Emre an Leukämie erkrankt sei. Die anschließende Behandlung kostete Geld, Zeit und Nerven, was die Eltern vom Arbeiten in der Kneipe abhielt. Mit 85.000 Euro Schulden rief die junge Familie den RTL-Berater schließlich um Hilfe.

Auch in diesem Fall war Zwegats grundsätzlicher Rat keine Sendeminute wert: Sparen, Sparen, Sparen. Mit ein paar wenigen Tipps und dem Bonus, den ein Medienvertreter bei Verhandlungen einzusetzen vermag, schrumpfte die abzutragende Schuldenlast auf ca. 60.000 Euro. Erkenntnisgewinn für den Zuschauer: Null.

In den nächsten Wochen wird Deutschland ohne Schuldnerberater und Super Nanny haushalten und Kinder erziehen müssen. Vielleicht ist das auch besser so. Schließlich ließ sich Mutter Mandy auf der Couch durch eine kuriose Paradoxie von ihren Pflichten ablenken: Im Hintergrund lief der Fernseher, links in der Ecke das Logo des Senders. RTL.

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