TV-Kritik: RTL-Dschungelcamp:Tranige Tropen

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Die erste Lieferung Känguruhoden ist eingetroffen, die Dschungelcamp-Staffel kann starten. Über Fassbinder-Akteure im Fischtran und die Ähnlichkeiten zwischen Giulia Siegel und Katharina Wagner.

Franziska Seng

Es ist wieder soweit: Le Känguru'oden nouveau est arrivé! Naja, zumindest fast. Gestern lief die erste Folge der neuen Dschungelcampstaffel, und für den Zuschauer ist es noch nicht ganz klar, wer denn wann in das saure Geschlechtsteil beißen muss. Aber eines steht fest: Früher oder später wird es passieren! Dabei ist es mit Dschungelcamp und Känguruhoden ein bisschen wie mit Beaujolais nouveau: Es gibt sie nur einmal im Jahr, und wenn sie kommen, sind Übelkeit und Kopfschmerzen vom Vorjahr vergessen. Man vergisst auch in Windeseile seine gute Erziehung, schaltet um auf RTL und zieht sich das Zeug rein.

Nüchtern betrachtet jedoch, zumindest nach dem gestrigen Eindruck, erscheint das alles nicht mehr so furchtbar abstoßend, wie in der Vergangenheit oft beklagt. Denn worin unterscheidet sich die Camp-Existenz zum Beispiel von der Situation herkömmlicher Urlauber? Auch als Tourist schwitzt man. Lässt sich kulinarische Ekelkreationen als landestypische Köstlichkeiten auftischen. Zwischendurch wird in trüben, von tückischen Organismen belebten Kloaken gestrampelt, weil Aquagymnastik angeblich entschlackt. Auch wenn die Gratis-Schlammpackungen übermäßig vergammelt sind, die Billig-Papayas am Büffet nach Erbrochenem riechen und das von den Einheimischen als Bier bezeichnete Gebräu einfach nicht betrunken machen will - auf dem Video für die Liebsten daheim wird man sein All-Inclusive-Dasein hartnäckig als "traumhaft" preisen.

Das Paradebeispiel für den guten, leidensbereiten Touristen lieferte gleich am ersten Abend die cineastische Perle unter den Kandidaten, der ehemalige Fassbinder-Darsteller Günther Kaufmann, der von seinen Gefährten für die erste Dschungelprüfung nominiert worden war. Obwohl es eher eine Domäne von Peter Bond gewesen wäre, absolvierte der auf das "Un-Glücksrad" geschnallte Kaufmann diese Tortur, ohne nach Maren Gilzer (was macht die eigentlich gerade?) zu schreien und um "Umdrehen" zu bitten oder in jammernde Vokallaute zu verfallen.

Vielmehr begrüßte er ohne erkennbare Anzeichen von Zynismus einen mit Tran und Fischinnereien gefüllten Bottich, durch den er sogleich geschleust werden würde, mit dem Jauchzer: "Oh, interessant!" Die kindliche Freude eines Almsenners, der zum ersten Mal in seinem Leben am Meeresfrüchtebüffet steht und sich den Teller voll mit Krabbencocktail schaufelt, könnte nicht größer sein. Nachdem der geölte und tranige Kaufmann noch durch einen Bottich mit Federn und grünen Ameisen gedreht worden war, glich er endgültig einem Cluburlaub-Novizen, der gerade die kathartische Wirkung von semi-erniedrigenden Animationsspielchen kennen lernen durfte: "Traumhaft", war das einzige, was er da noch stammeln konnte.

Doch nur weil wir in der Wildnis sind, heißt das noch lange nicht, dass wir unsere deutsche Kultur vergessen müssen. Zu wilden Feuilleton-Spekulationen wird etwa in den nächsten Wochen die unheimliche Entdeckung anregen, dass Giulia Siegel in ungeschminktem Zustand aussieht wie Katharina Wagner. Sich die Folgen auszumalen, falls sich bewahrheitete, dass die Tochter von Schlagerproduzent Ralph Siegel (der mysteriöserweise auch noch mit einer Sopranistin namens Kriemhild liiert ist) und die Ur-Enkelin des Ring-Komponisten in Wahrheit ein und dieselbe Person sind, übersteigt momentan jede Vorstellungskraft. Götterdämmerung am dritten Tag im Dschungelcamp? Die Meistersinger als Boygroup beim nächsten Schlager-Grand-Prix? Unser König Ludwig, nun auch noch von Wagner schamlos betrogen und ausgenutzt? Heiliges Bayreuth, in Wirklichkeit alles nur eine Farce? Jetzt doch leichtes Ekelgefühl, Übelkeit.

Aber zum Glück gibt es noch Lichtgestalten im Camp, an die kann man, muss man sich jetzt klammern. An Gundis Zambó zum Beispiel, die ehemalige bim-bam-bino-Moderatorin, der so viele junge Erwachsene die gute Erziehung verdanken, und die so frisch und doch so mama-mäßig wirkt wie damals, ein ruhiger, gütiger Pol in der hungrigen Meute, in der es mit Ingrid van Bergen oder Mausi Lugner sicherlich härter und zickiger zugehen wird als beim harmoniesüchtigen Pack der letzten Staffel. Oder Lorielle London, das Geschöpf von Schönheitschirurgen und DSDS, das mal fröhlich die Hair-Extensions durch die Luft wirbelt, sich im nächsten Moment über die Angst vor den fiesen Prüfungen und Mit-KandidatInnen hinwegtrösten lässt und keinen Hehl daraus macht, wofür der Erlös aus dem Camp-Aufenthalt gut sein soll: "Mein Po ist noch nicht ganz fertig!"

Egal, ob und wo sich die Frontlinien im Camp in den nächsten Tagen bilden werden, die Clubchefkugel Dirk Bach, die mit lockeren Sprüchen und notorisch psychedelischen Outfits (unzählige Schmetterlinge nicht im, aber auf dem pinken Seidenbauch) wie ein gestauchter, dafür unverbrauchter Thomas Gottschalk daher rollt, wird für die nötige Würze im telemedialen Reis-Bohnen-Mampf sorgen: "Sie haben nur sich selbst. Und das ist, ehrlich gesagt, nur sehr wenig!", resümiert er die Situation seiner Kandidaten. Ließen sich die mitunter drögen Gäste im ZDF nicht auch mal etwas beherzter anpacken?

Für die zweite Prüfung haben die Zuschauer das Nervenbündel Lorielle gewählt. Sie muss sich am Samstagabend zur "Cocktail-Happy-Hour" einfinden. Man kennt das: lustige Trinkspielchen, wilde Mixturen aus geheimen Zutaten, Papierschirmchen. Sieht alles sehr giftig und krankheitserregend aus, ist aber wirklich ganz harmlos. "Ew'ger Trauer / einz'ger Trost / Vergessens güt'ger Trank, / dich trink ich sonder Wank!"

Wir haben ja fürs nächste Jahr auch wieder gebucht.

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