TV-Kritik: Maischberger:Schöne Grüße aus dem Labor

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Medikamente helfen - bisweilen beim schnelleren Ableben, wie die "Menschen bei Maischberger" diskutierten. Höchst interessant, wie die Pharma-Industrie arbeitet. Eine kleine Nachtkritik.

Ruth Schneeberger

Mit manchen Dingen möchte man sich gar nicht beschäftigen. Beipackzettel von Medikamenten gehören dazu. Wer möchte schon lesen, dass das Medikament womöglich genau die Beschwerde, die es zu lindern verspricht, auch verstärken kann? Oder dass man nach Einnahme des Schmerzmittels möglicherweise stirbt? Kontraproduktiv könnte man das nennen. Zumal man Beipackzettel meist in krankem Zustand liest.

Plaudern über den "betrogenen Patienten": Cornelia Yzer, Hans Weiss, Sandra Maischberger, Wolf-Dieter Ludwig und Thorsten Strohmeyer (v.l.). (Foto: Screenshot: ARD)

Sandra Maischberger hatte in der Nacht zu Mittwoch allerdings eine Runde beisammen, deren Äußerungen es nahelegten, sich eben doch mit dem Thema zu beschäftigen, und zwar dringend.

Erstaunliche Ergebnisse

Geladen waren Cornelia Yzer, die als einflussreichste Pharmalobbyistin Deutschlands vorgestellt wurde, Pharmakritiker Hans Weiss, der schon vor 25 Jahren in seinem Buch "Bittere Pille" zu starke Nebenwirkungen bei Medikamenten und die Korruption im Gesundheitswesen kritisiert hat, Thorsten Strohmeyer als Forschungsleiter eines Pharmakonzerns, Wolf-Dieter Ludwig als Krebsexperte und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Beate Tepper, die gegen den Hersteller eines Schmerzmittels klagte, das ihrer Meinung nach zu ihrem Herzinfarkt führte. Diese Runde kam zu solch erstaunlichen Ergebnissen, dass man sie einmal in aller Schärfe formulieren muss:

1.) Fünf bis zehn Prozent aller Neupatienten in Krankenhäusern werden wegen unerwünschter Wirkungen von Medikamenten eingeliefert. "Das ist die größte Krankheit, die wir haben." Dieser Einschätzung von Professor Ludwig vermochte in dieser Runde niemand zu widersprechen.

2.) Da es nur in den USA, nicht aber in Deutschland verlässliche Studien zu dem Thema gibt, geht man davon aus, dass hierzulande bis zu 48.000 Patienten im Jahr an den Nebenwirkungen von Medikamenten sterben. Diese Zahl wollte Professor Strohmeyer als Leiter der Forschung des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline so zwar nicht stehen lassen, Kritiker halten sie dagegen offenbar noch für geschönt.

Kaum Auskunft

3.) Jedes neue Medikament ist bis zu seiner Markteinführung im Auftrag und unter Federführung derjenigen getestet worden, die es verkaufen wollen. Die Pharmakonzerne bezahlen die klinischen Studien selbst. Erst nach Markteinführung beginnt der objektive Test - an den Patienten, die das Medikament von ihren Ärzten verschrieben bekommen. Dann wird von Seiten der Pharmakonzerne mit jeder neuen Meldung über Nebenwirkungen oder gar Todesfälle neu entschieden, in welchem Verhältnis der Schaden zum Nutzen des Medikamentes steht. "Das ist ein ständiges Abwägen", wie Strohmeyer betonte.

4.) Die klinischen Studien vorab werden aufgrund von Kostenerwägungen offenbar zumeist mit einer nicht repräsentativen Anzahl von Versuchspersonen durchgeführt. Über tatsächliche Häufigkeiten von Nebenwirkungen oder gar Todesfällen kann ein Medikamentenhersteller also bei Markteinführung kaum Auskunft geben.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie viele Medikamente die Deutschen jährlich kaufen.

5.) Die Schulungen für Ärzte in Bezug auf das neue Medikament finden ebenfalls unter Federführung der Pharmakonzerne statt. Auf Nachfrage der Moderatorin, ob denn ein Hersteller in der Lage sei, das eigene Produkt in diesen Schulungen so fair zu verkaufen, dass er realistisch über Nebenwirkungen und Konkurrenzprodukte informiere, antwortete Strohmeyer: "Wir streben das an."

6.) Viele neue Medikamente kommen nur deshalb auf den Markt, um die alten, wirksamen Produkte durch neue, genauso wirksame Produkte, zu ersetzen und zu verteuern. "Me too"-Produkte werden sie genannt, Ich-auch-Produkte, wobei der Name verdeutlichen soll, dass viele Hersteller auf dasselbe Pferd setzen, um die Produktpalette zu erweitern und mehr Gewinn zu erzielen.

7.) Von 31 neuen Produkten im vergangenen Jahr wurden nur 17 im Nachhinein als "Innovationen" beurteilt, sieben davon hatten allerdings keine Vorteile gegenüber den Medikamenten, die schon auf dem Markt waren. "Sie waren nur teurer", so Ludwig.

8.) 24 Prozent der Gesamtausgaben für Medikamente gehen ins Marketing, nur 13 Prozent in die Forschung und Entwicklung eines Medikamentes. Es wird also mehr Geld dafür ausgegeben, ein Medikament an den Mann zu bringen, als es zu verbessern. "Wir bekommen so viel inhaltslosen Müll zugeschickt ohne jegliche Information, das müssen wir alles über die Medikamente bezahlen", ärgerte sich Ludwig über angebliche Produktinformationen, mit denen Ärzte eingedeckt würden.

Große Ungeheuerlichkeiten

Als ob das alles noch nicht genug wäre, hatte Pharmakritiker Hans Weiss noch viel darüber zu erzählen, wie Ärzte sich seinen Recherchen nach von Pharmakonzernen korrumpieren lassen. Die einflussreiche Pharmalobbyistin Yser diskreditierte sich in dieser Runde selbst durch stets beleidigtes Kopfschütteln, sobald Kritiker Weiss den Mund aufmachte, dessen Buch sie nach eigenen Angaben "nicht bis zur letzten Seite" gelesen habe, aber dem, was sie so höre, zufolge, seien das doch alles Pauschalverurteilungen. Mehrfach betonte sie, es sei schließlich niemand ohne Fehler, und die Pharmaindustrie habe aus ihren gelernt.

Der Pharma-Forschungsleiter Strohmeyer schließlich gefiel sich in der Rolle des jovialen Flugsicherheits-Kontrolleurs, mit dem er sich selbst verglich. Sandra Maischberger musste dann doch an einer Stelle einhaken, dass es hier nicht um Maschinen, sondern um Menschenleben gehe. Was das Beispiel von Beate Tepper, die die Klage gegen den Hersteller des Schmerzmittels "Vioxx" in Deutschland verlor, während in USA Sammelklagen gegen dasselbe Medikament Erfolg hatten, eindringlich verdeutlichte.

Von Maischberger selbst ist die Angriffslust, die sie einst auszeichnete, abgefallen - und einer weicheren Form der Gesprächsführung gewichen, die sie die Sendung souverän meistern lässt. Was dazu führte, dass hier große Ungeheuerlichkeiten gelassen ausgesprochen wurden. Allein, dem Zuschauer nützt es nichts: Er kann gegen die Gefahr, die offenbar von einer nicht ausreichend kontrollierten Pharmaindustrie ausgeht, nur durch ein stark erhöhtes Maß an Information angehen.

Ludwigs abschließende Forderung an den "betrogenen Patienten", mit dem Hausarzt jedes neue Medikament zu diskutieren und sich nach den klinischen Studien zu erkundigen, hat allerdings eine unrealistische Komponente: Eine neue Studie hat gerade erst erwiesen, dass sich in keinem anderen Land Europas Ärzte weniger Zeit für ihre Patienten nehmen als in Deutschland. Demgegenüber steht eine andere beeindruckende Zahl: Die Deutschen kaufen jährlich 1,5 Milliarden Medikamentenpackungen - so viel wie kaum ein anderes Land.

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