TV-Kritik: Maischberger:Ist Merkels Mann ein "Schönschwätzer"?

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CDU-Politiker Röttgen lässt Opel fahren, und Ex-Minister Clement findet alles "langsam, langweilig": großer Krisengipfel bei Maischberger.

Hans-Jürgen Jakobs

Wolfgang Clement hatte es eilig, zu eilig für die Moderatorin. Da zog Sandra Maischberger ihren Gast, der schon aufgestanden war, einfach wieder herunter - so dass der ehemalige Bundeswirtschaftsminister bloß nicht das schöne Abschiedsbild zum Schluss der Sendung verdarb. Ordnung muss sein.

Sandra Maischbergers Show "Menschen bei Maischberger": ein Stelldichein von Weltverbessern von Weltverbesserern, Politikern und Alleinerziehenden. (Foto: Foto: dpa)

Vielleicht waren dem Ex-Sozialdemokraten einfach die vielen Anwürfe seines Nachbarn Günter Wallraff zu viel gewesen, der sich über die seiner Meinung nach zutiefst unsoziale Politik Clements ereiferte und den Freund der Zeitarbeit einen "Lobbyisten" genannt hatte. Genüsslich mokierte sich Sozialreporter Wallraff, der kürzlich als Obdachloser unterwegs war, über die Vokabel "extraordinär", die der an diesem Abend zuweilen eitel wirkende Clement in seiner Rede vorführte.

Es war der Abend der sozialen Konfrontation in der TV-Show "Menschen bei Maischberger", ein Stelldichein von Weltverbesserern (Wallraff und der einstige Opel-Betriebsrat Peter Jasczyk), Politikern (ausgedient: Clement; aktiv: CDU-Mann Norbert Röttgen) sowie der ostdeutschen Alleinerziehenden und Tagesmutter Susanne Wiest, die per Petition an den Bundestag ein Grundeinkommen von 1500 Euro für jeden fordert.

Wider den "Helfer-Gestus"

Besonders gespannt war man auf die Wortmeldungen des Kanzlerin-Vertrauten Röttgen zum Sendungsthema: "Panik um den Job: Muss der Staat uns alle retten?" Schließlich ist Angela Merkel selbst angesichts dieser systemischen Frage bekanntlich abgeduckt. Da wollte ihr parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion lieber ganz vorn mit breiter Brust stehen und wandte sich gegen den "Helfer-Gestus im Fernsehen" à la Gerhard Schröder - der Sozialdemokrat hatte sich als Retter des später doch pleite gegangenen Baukonzerns Holzmann im Kameralicht gesuhlt.

Die Politik dürfe sich nicht Zeit erkaufen, sondern müsse ehrlich vorgehen, dozierte Röttgen und pries "Pragmatismus, nicht Beliebigkeit". Anders als bei Banken, wo ein Ruin eine Systemkrise bewirken könne, hätten Wirtschaftsunternehmen eine "Bringschuld": Sie müssten beweisen, dass sie im Kern gesund seien und nur zeitweise unter der Finanzkrise leiden würden. Damit seien aber nicht Managementfehler wie bei Schaeffler gemeint und auch nicht Absatzprobleme wie bei Opel, so der wirtschaftspolitische Sprecher Röttgen. Sonst komme es leicht zu einem "Fass ohne Boden".

So denkt die Kanzlerin.

Bloß kein "Helfer-Gestus", bloß keine Schrödereien - hier sprach Merkels Mann und distanzierte sich von den allzeit bereiten Staatskapitalisten der SPD. Dem anwesenden alten Opelaner war es ein Graus. "Schönschwätzerei", polterte es aus Jasczyk heraus, man wolle wohl abwarten, wie der Opel-Mutterkonzern General Motors in die Pleite gehe.

Angela Merkel habe zwar vollmundig Hilfe angekündigt, aber davon sei nichts zu sehen. Es werde nur geredet, und dem Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg könne man beim Laufen die Schuhe besohlen. Das gehe so weit, bis am Ende 25.000 Opelaner in den Bundestag kämen, "als Gast". Der Ex-Betriebsrat verwies auf die hohen Folgekosten, wenn der Rüsselsheimer Autobauer wirklich dichtmachen würde.

Ein Handlanger der Konzerne?

Es stand bei Maischbergers aufgekratztem Vor-Mitternacht-Plausch nicht nur diese Drohung im Raum. Vor allem Buchautor Wallraff arbeitete sich - mundwinkelzuckend - an Clement und dem Clement-Kapitalismus ab. Er polterte gegen gierige Bonusmanager wie bei der Postbank, gegen Lohndumping via Leiharbeit, Augenwischerei in der Arbeitslosenstatistik und soziale Verwahrlosung, die auch Menschen aus der Mitte treffen könnten - und immer wieder gegen Studionachbarn Clement, den "Handlanger der Konzerninteressen".

Der Attackierte verbreitete, keine Lust auf Rechtfertigung zu haben. Niederreden aber lasse er sich auch nicht. Er sei ja seit vier Jahren kein aktiver Politiker mehr und könne tun, was er wolle. Mit Zeitarbeit sei schnell etwas in Bewegung zu bringen, sozialpolitisch stehe Deutschland gut da und im Übrigen fahre er jetzt gleich nach der Sendung nach China, für sein Zeitarbeits-Institut. Da gehe es in einem Projekt um den Übergang von der Schule ins Berufsleben. Eine Staatsbeteiligung bei Opel auf Zeit und einen Mindestlohn konnte sich Clement wiederum vorstellen.

Den Anfang der ARD-Talkshow hatte der gelernte Journalist unbehelligt von Wallraffs Tiraden und Einspielfilmen aus der Realität noch alleine bestreiten dürfen. Der langjährige Genosse, vor einigen Wochen aus der Partei ausgetreten, wetterte wieder einmal gegen den machtgierigen SPD-Chef Franz Müntefering und geißelte die Parteien, die sich immer weiter vom Volk entfernten ("sie sind nicht allein"). Einmal forderte Clement die Ämterrotation von Politikern und sprach von einer "ziemlich langsamen, langweiligen Gesellschaft". Da war er wieder in seinem Element, der manische Kurzweilige, der hier sein neues Buch "Klartext" vermarkten konnte.

Da gestand Gastgeberin Maischberger dem aktuell ungleich wichtigeren Politiker Röttgen auffallend weniger Buch-Promotionszeit zu. "Deutschlands beste Jahre kommen noch", lautet der Titel des auf Optimismus gebürsteten Besinnungswerks. Es hat zur These, dass wir den Mächten der Globalisierung nicht ausgeliefert sind, sondern politisch mitgestalten können - am besten als "europäische Stimme der sozialen Markwirtschaft". Wenn das keine Vision ist!

So viel Mut braucht es in der aktuellen Krise, da können die Opelaner noch so jammern. Nur Susanne Wiest, die Frau mit dem Grundeinkommen, wollte nicht aufhören mit ihren Wirklichkeitsberichten aus Ostdeutschland und ihrer Theorie, der Staat sei doch für die Bürger da. Da musste Norbert Röttgen schon tief in die Kiste greifen, die christliche Soziallehre bemühen und die These von der Verantwortung des Menschen herausstellen, der durch Geld nicht glücklich werde.

"Wir leben in unterschiedlichen Welten", bilanzierte Merkels Mann. Ja, diese Erkenntnis lieferte die resolute Krisenerforscherin Maischberger an diesem Abend. Und dann durfte auch Wolfgang Clement schließlich aufstehen und nach China fahren. Alles ganz extraordinär.

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