TV-Kritik: "Ausgesetzt in der Wildnis":Salmonellen im Robinson Club

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Ein Hoch auf Eigenurin und Schafsaugen: Überlebenskünstler Bear Grylls schlägt sich in "Ausgesetzt in der Wildnis" alleine durch Wüsten, Eis und Dschungel und liefert beste Fernsehunterhaltung.

Christian Kortmann

Mit 23 Jahren auf dem Mount Everest, Elitesoldat, Grundausbildung bei der Fremdenlegion, drei Sprachen fließend, Schwarzer Gürtel in Karate, Schlauchboot-Atlantiküberquerer, Motorschirm-Himalajaüberflieger, Wohltätigkeitsbotschafter, Fernsehstar... Der 34-jährige Edward Michael Grylls, genannt Bear, hat keinen Lebenslauf, bei dem ein Personalchef zu fragen wagte: "Und was haben Sie in dem Jahr nach dem Abi gemacht?"

So hart trifft es einen alleine in der Wildnis nicht: Bear Grylls wird bei der Fremdenlegion bestraft. (Foto: Foto: beargrylls.com)

Momentan hätte der Brite eh keine Zeit, denn er arbeitet hauptberuflich als Überlebenskünstlerdarsteller für den Discovery Channel. Kabel 1 zeigt in diesem Sommer vier Folgen der Reihe "Ausgesetzt in der Wildnis", in der Grylls sich alleine an unwirtlichen Orten aussetzen lässt, um aus eigener Kraft in die Zivilisation zurückzukehren. Am Dienstagabend verließ er den Helikopter mittels Seilwinde über der Moab-Wüste in Utah. Messer, Wasserflasche und Feuerstein sollten als Ausrüstung reichen, um wie ein verirrter Tourist den Weg heim zu eisgekühlter Coke und Hamburgern zu finden.

Hitzschlag, Verdursten oder Kollaps

Bear sieht aus wie der junge Lance Armstrong und bedient sich zur Erlangung seiner Ziele unkonventioneller Methoden: Hübsch verpixelt pinkelt er auf sein T-Shirt, um daraus einen so schmuckvollen wie kühlenden Turban zu wickeln. In seinen Monologen spricht Bear mit dem einzigen Menschen, der ihm ebenbürtig ist. Gerne referiert er die in seiner Situation möglichen Todesarten: Hitzschlag, Verdursten oder Kollaps durch vergiftetes Wasser.

Dazu verdeutlicht die sachliche Off-Stimme den Ernst der Lage: "Es ist das Beste, im Schatten auf Hilfe zu warten. Doch die kommt nicht immer." Da ahnt selbst der zivilisationsmüde Zuschauer, dass eine Wohnung, eine Couch und ein Fernseher nicht ganz falsch sein können.

Bear ist ein Kind der Informationsgesellschaft: Zu jedem Tier und jeder Pflanze googelt er im Kopf Geschichten zusammen und erzählt, was man mit ihnen anstellen kann. Das eine Raben-Ei in der Wüste wird gebraten - Salmonellen-Gefahr! -, das andere roh gegessen, scheint also doch nicht so gefährlich zu sein. Und wenn Bear zum ersten Mal ein Segel bauen muss, gelingt ihm, ganz Robinson-Crusoe-haft, auch das.

Herrlich umständlich werden Ressourcen verbraucht, um Können zu demonstrieren: So baute Grylls mal eine Fackel aus T-Shirt-Stoff und Schaffett, um in einer Höhle nach ein paar Tropfen Trinkwasser zu suchen, weil der Schnee draußen bakteriell verseucht sein könnte. Solche Probleme hätte man nach einem Flugzeugabsturz auch gerne. Findet Bear ein totes Schaf, wird es nicht etwa einfach gegessen. Zunächst werden die spektakulärsten Delikatessen ausgeweidet und à la Jamie Oliver zubereitet: Schafsaugapfel am Schnürsenkel in isländischer Heißquelle gegart, etwas zäh, aber proteinhaltig und superlecker.

Die Fiktion des Einsam-Ausgesetztseins

Nun filmt sich Bear bei all dem nicht selbst, und da er angeblich "allein in der Wildnis" ist, besteht hier ein gewisser Widerspruch, den der Zuschauer jedoch gerne übersieht. Denn neben James Bond spielt ihm niemand schöner vor, wie ein Profi sich in jeder Lage zurechtfindet. Man überlegt die ganze Zeit, wie man selbst scheitern würde: an den 12 Meter hoch hängenden Kokosnüssen, beim Fangen des Schneehuhns mittels Schlingfalle oder beim Durchschwimmen des Colorado Rivers?

Auch dass Grylls nach Tagen auf einem Floß im Pazifik immer noch glatt rasiert ist, stört nicht weiter. Die Dokumentation spielt offensiv mit ihrer Inszenierung und hält doch die Fiktion des Einsam-Ausgesetztseins aufrecht: Von der Klapperschlange, die Bear in der Wüste gerne verspeisen würde, muss er die Finger lassen, weil sie unter Artenschutz steht. Egal, er kann ja eben mit dem Hubschrauber des Filmteams in den nächsten Mormonengrill fliegen.

Derart aufgeklärtes Fernsehen müsste eigentlich auf Arte laufen, macht es doch eindrucksvoll den Doppelcharakter des Mediums transparent: Obwohl das Fernsehen scheinbar Leben zeigt, handelt es sich immer um ein ästhetisches Konstrukt. Diese ästhetische Erfahrungsmöglichkeit jedoch kann das Leben des Zuschauers bereichern.

Enthüllungsgeschichten, Bear Grylls schliefe während der Dreharbeiten in Hotelbetten und diniere fürstlich, finden nur die empörend, die das Prinzip der Doku-Show nicht verstehen. Denn die wahre Entdeckung dieser Discovery-Channel-Expedition besteht in der Kluft zwischen Wirklichkeit und Darstellung. So geschickt wie Bear den tiefen Canyon in der Moab-Wüste durchklettert, lernt der Zuschauer, sich darin zu bewegen.

"Ausgesetzt in der Wildnis: Allein im Dschungel", Kabel 1, Dienstag, 22. Juli, 23.50 Uhr

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