Streitkultur im Netz:Warum ein israelischer Buchladen in Berlin schließen musste

Streitkultur im Netz: Ob sich die Antifa-Aktivisten der Ironie bewußt sind? Plakat mit Abwandlung des "Big Brother Is Watching You"-Zitats aus Orwells "1984" in Dachau.

Ob sich die Antifa-Aktivisten der Ironie bewußt sind? Plakat mit Abwandlung des "Big Brother Is Watching You"-Zitats aus Orwells "1984" in Dachau.

(Foto: DAH)

Angeblich haben massive Angriffe der Antifa die Betreiber in den Ruin getrieben. Stimmt das?

Von Gustav Seibt

Vor einer Woche verbreitete sich in Berlin eine schockierende Nachricht: Ein israelischer Buchladen in Neukölln muss wegen Protesten antifaschistischer Gruppen, der sogenannten Antifa, schließen. Die Aufregung über die G-20-Proteste in Hamburg war noch jung, der Anlass zur Empörung schien sinnfällig zu sein. Was war da geschehen?

Die englischsprachige Webseite Eatler.de, sonst für Restaurants zuständig, hatte eine Facebook-Ankündigung des Buchladens Topics in der Neuköllner Weserstraße aufgegriffen: Das Topics, das zwar kein israelischer Buchladen war, aber von zwei aus Israel stammenden jungen Intellektuellen geführt wurde, musste wegen Umsatzeinbrüchen zumachen, wie die beiden Inhaber Doron Hamburger und Amir Naaman mitteilten.

Wer öfter in Neukölln ist, dem war der Laden durchaus schon aufgefallen, als Ort esoterischer Veranstaltungen. Er verkaufte englischsprachige Bücher, in schicken Boxen thematisch geordnet (Topics/Themen), die auffällig häufig von Magie, Religion und Selbstfindung handelten. Bei der Themenauswahl war ein besonderer jüdischer Schwerpunkt nicht auszumachen. Warum wurde "die Antifa" dann auf ihn aufmerksam, und wer war überhaupt die Antifa, die hier tätig wurde?

Angeblich befasste sich Julius Evola mit geheimen Riten im römischen Kolosseum

Es geschah im Februar, und wer dieser Geschichte nachspürt - sie spielt sich fast ausschließlich im Netz ab -, findet bald Verbindungen nach New York und London. Am 18. Februar kündigte das Topics auf Englisch eine Veranstaltung über den italienischen Faschisten, Futuristen und Esoteriker Julius Evola (1898 - 1974) an, der als "komplexer, missverstandener und zunehmend einflussreicher Denker" vorgestellt wurde. Evola, ein Faschist der ersten Stunde, einer von der modernistischen, von Nietzsche herkommenden Seite, wird heute von der internationalen Rechten wieder öfter zitiert, so von Steve Bannon oder dem russischen Denker Alexander Dugin, einem mit Putin verbundenen Geschichtsphilosophen. Jeder, der sich mit dem rechten Denken beschäftigt, kennt den Namen. Aber es ist schwer, an Evolas Werke heranzukommen. Aufklärung über ihn könnte also hilfreich sein.

Neun Tage nach der Ankündigung des Topics, am 27. Februar, forderte die Berliner Gruppe "TOP B3rlin" auf ihrer Facebook-Seite zum Widerstand gegen die Evola-Veranstaltung auf - ihr war der Ton der Ankündigung zu einverständig: "Also trommelt alle eure Punkerfreunde und ihre Hunde zusammen", hieß es in deutscher Sprache, "und schaut am Donnerstag mal bei diesen Eso-Hipstern vorbei. Außerdem rufen wir hiermit zum Shitstorm auf. Zu irgendwas muss diese Facebookisierung der Antifa ja schließlich gut sein." Wer ist TOP3 Berlin? Laut eigener Aussage auf Facebook ein "kommunistisches Projekt gegen alles Böse". Die Seite, auf der es zuletzt tatsächlich vor allem um Hamburg und G 20 ging, hat mehr als 12 000 Abonnenten.

Der Shitstorm fand in gewisser Weise tatsächlich statt. Vom 27. Februar an wurde die Facebook-Seite des Topics mit ein paar Dutzend Kommentaren überzogen, man kann sie bis heute nachlesen. Einige davon waren heftig, ein einzelner bezog sich auch auf die Rolle des Topics im Kiez: "Erst die Mieten in die Höhe treiben und jetzt noch Werbung für Faschisten machen?! Neukölln hasst euch!!", lautete ein Kommentar. In einer persönlichen Nachricht, bei der es um die Frage der Redefreiheit ging, lautete die Ansage (auf Englisch): "Faschisten soll erlaubt werden zu sprechen, nachdem man ihnen die Zungen herausgeschnitten hat." Das sei ironisch gewesen, wurde hinterher erklärt.

Das Ende des Buchladens kam Monate später - und wurde ein Aufreger

Einen Tag später, am 28. Februar, sagten die Inhaber des Topics ihre Veranstaltung ab. Direkte Angriffe auf den Laden hatte es bis dahin (und bis heute, darauf legen sie Wert) nicht gegeben. Es gab den Shitstorm. Aber war er entscheidend? Zwei Tage vor dem Aufruf der Berliner Antifa-Gruppe war in der New York Times ein kritischer Bericht über eine Londoner Galerie namens LD 50 erschienen, die das Denken der internationalen Rechten ästhetisch aufgreift. In dieser Londoner Galerie kamen, wie zehn Tage später, am 8. März, das Magazin The Baffler berichtete, auch Autoren der extremen Rechten wie Brett Stevens zu Wort, ein weißer Ethno-Nationalist, auf den sich beispielsweise der norwegische Massenmörder Anders Breivik berufen hatte, was Stevens nicht schlimm fand.

Ein Problem für das Topics wurde, dass der Referent, der über Evola reden sollte, zum Umfeld dieser quer über den Atlantik beobachteten Londoner Galerie gehört, ein Mann namens D. C. Miller. Auf diese Verbindung wies schon am 27. Februar ein Kommentar auf der Facebook-Seite des Topics hin, und es war offenbar vor allem dieser Kommentar, der die Neuköllner Buchhändler bewog, ihre Veranstaltung abzusagen. Jedenfalls verwiesen sie in der Absage auf diesen LD 50-kritischen, englischsprachigen Kommentar.

Am 28. Februar, schon nach der Absage, stellte D. C. Miller ein paar Vortragsnotizen zu Evola auf die Seite des Topics, und ja: Da zeigte sich eine eher distanzlose Herangehensweise. Miller schildert Evolas radikalen Individualismus, seinen heidnischen Imperialismus, seine Kritik an der modernen Zivilisation, seine Verehrung für starke Führerfiguren eher behaglich. Besonders interessiert ihn dessen Nähe zu Magie und Esoterik: Angeblich befasste sich Evola mit geheimen Riten im römischen Kolosseum, welche die Rückkehr des Römischen Reichs beschleunigen sollten: "Magie und Politik waren für Evola unlöslich miteinander verknüpft."

Und diese Verbindung, das erklärten die Betreiber des Topics in allen Gesprächen, habe sie eigentlich interessiert: die Nähe von rechtem Denken zur Esoterik, dem Hauptthemenfeld ihres Ladens. Das ist ein legitimes Interesse, aber offenbar wurde ihnen, die sich selbst als eher links, aber unpolitisch verstehen, die Nähe, in die sie ihr Referent zu einer genuin rechten Szene gebracht hatte, doch unheimlich.

Antisemitismus spielte keine Rolle sagen die Betreiber

In London jedenfalls gibt es längst eine Bürgerinitiative gegen das LD 50, die auf Tumblr eine eigene Webseite unterhält. Wussten die Berliner "Antifaschisten" von dieser Londoner Parallele? Das ist wahrscheinlich. Jedenfalls ging es in dem von ihnen ausgelösten Shitstorm fast nur noch ums LD 50 und die fatale Nähe des Evola-Referenten zu dieser Galerie.

Das Ende des Topics kam erst jetzt, fünf Monate nach dem Evola-Vorfall. Und es wurde, über den Umweg des Restaurantblogs Eatler, rasch zu einem Berliner Aufreger. Welt, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, der Freitag, Zeit Online brachten große Artikel, aber erst eine Glosse in der FAZ erwähnte den Hintergrund von D. C. Miller. Die Geschichte: "Antifa macht israelischen Buchladen kaputt" wurde allerdings von den beiden Betreibern von Anfang an bestritten: Antisemitismus spielte keine Rolle, physische Übergriffe habe es nie gegeben, darauf legen sie eben ausdrücklich Wert. Doch sei seit dem Evola-Vorfall der Umsatz, der ohnehin nie groß war, sogar noch eingebrochen.

Diese Geschichte spielte sich fast ausschließlich im Netz ab, in einer Welt der Bezüge, die von New York über London nach Neukölln reichen. Hier, im Netz, waren es auf einmal nur ein paar elektronische Handschläge zwischen dem Topics und Anders Breivik, über die Zwischenschritte D. C. Miller - LD 50 - Brett Stevens. Gerüchte, positive und negative, bedeuten alles für ihr Geschäft, erklärten die Topics-Betreiber. Vielleicht wurde ihre kleine Zielgruppe durch den Evola-Vorfall dann so verschreckt, dass das wackelige Geschäftsmodell zusammenbrach.

Hätte dagegen ein breiter aufgestellter Laden - etwa mit Schulbüchern für die migrantischen Kinder des Viertels, also mit Bezug zur sozialen Realität vor der Ladentür in Neukölln - einen solchen intellektuellen Mini-Shitstorm nicht locker überlebt? Wer will solche Kausalitäten entscheiden?

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