Soziale Netzwerke:Wahr, schön, gut

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Früher reichte es, für ein Like gut aussehend am Strand zu stehen. Die soziale Plattform "Vero" aber handelt mit, huch, Kunstempfindungen.

Von Philipp Bovermann

Gelikt zu werden war schon mal einfacher. Gut aussehend am Strand zu stehen und "clean" zu essen, reicht nicht mehr. Das zumindest will uns "Vero" weismachen, eine soziale Plattform, die regen Zulauf hat. Ihr geht es erklärtermaßen um nichts weniger als die Wahrheit, und nach der Logik von Vero ist dies nichts anderes als die Kultur, die die Menschen so konsumieren.

Jeder Post von Vero muss also zwingend mit einem Inhalt verknüpft sein. Das können Bücher, Filme und Musik sein, aber auch selbstgemachte Fotos, Links, Orte und sogar Menschen. Alles frei von Werbung und von garstigen Algorithmen, versprechen die Entwickler in einem Werbevideo, also, genau: "clean".

Man habe die negativen Aspekte der üblichen sozialen Medien aushebeln wollen, heißt es in der Eigenbeschreibung weiter. Zur Illustration sieht man dann einen jungen Mann, der vor dem Badezimmerspiegel seinen Bizeps knipst. In der Vero-Welt hingegen, ein paar Schnitte später, düsen junge Menschen leistungs- und natürlich umweltbewusst auf dem Rennrad durch die Straßen New Yorks, hämmern auf Schlagzeugbecken ein, drücken auf Farbtuben.

Kultur als soziale Distinktion also, ganz neu ist die Idee nicht. Aber was passiert, wenn man nicht mehr nur zu Hause stolz die Potenz seines Bücherregals im bürgerlichen Wohnzimmer präsentiert, sondern dieses Bücherregal sozusagen ständig mit sich herumträgt? Wenn man dessen Inhalte neben der gewöhnlichen Alltagskommunikation herlaufen lässt?

Das stille Lesen, die verträumte Betrachtung war früher Ausdruck von Seelenadel. Das ist vorbei

Beim ersten Start teilt einem die App mit, ein Haufen (natürlich vorher ausgewählter) berühmter Leute sei schon auf Vero. Ob man sich ihnen nicht anschließen wolle? Ein paar Klicks später scrollt man sich durch die Kulturwelt von Zack Snyder, des Regisseurs fürchterlich martialischer Superheldenfilme. Man sieht ihn beim Malen, beim Klettern, beim "Holiday Workout". Auf der Seite eines Romans hat er Zeilen mit einem blauen Textmarker angestrichen und den Seitenrand mit Anmerkungen vollgekritzelt. "Working" steht unter dem Bild.

Der Extrem-Bergsteiger Mark Twight empfiehlt "Get your shit together", also sinngemäß: reiß dich zusammen, zur Röntgenaufnahme eines geflickten Gelenks. Der Fotograf Clay Enos lobt eine Burgerbude in New York für ihre "fantastische Arbeit" beim Burgerbraten. Jedes soziale Netzwerk schafft sich seine digitalen Persönlichkeitstypen, ungefähr so wie früher Kleider und Vereine Leute gemacht haben. Der Vero-Typ ist vermutlich das, was herauskäme, würde man Christian Lindner mit einem Bob-Ross-Gemälde kreuzen.

Aber unterstellt, es ginge den Nutzern nicht nur um öffentliches Zurschaustellen von Bildung und darum, zum Club zu gehören, sondern tatsächlich auch um gemeinsame künstlerische Selbsterfahrungen. So abwegig ist der Gedanke nicht, dass die Menschen, an die Vero sich richtet, ihr Selbstgefühl stärker über die Filme, Bücher und die Musik beziehen, die sie konsumieren, als über die Fotos ihres Hinterteils beim letzten Strandurlaub auf Barbados. Wogegen prinzipiell erst einmal wenig einzuwenden ist.

Nur wird Kultur auf Vero zu einer Erweiterung sozialer Aktivität. Sie steht in einer Reihe mit Burgerbratkunst - was sich noch verkraften ließe -, aber vor allem mit Fotos der Nutzer selbst, auf denen diese ihren Alltag dokumentieren und mit Hashtags versehen, genau wie bei Instagram. Auch diese Bilder sind künstlerisch bearbeitet und arrangiert, doch sie sollen nicht um ihrer selbst willen betrachtet werden, sondern Aussagen über den jeweiligen Künstler, sein Werk und seine Werte in die Welt bringen.

Kunsterfahrung ist spätestens seit der Epoche der Empfindsamkeit, mit dem Aufkommen des Bürgertums, eine private Angelegenheit. Das stille Lesen eines Romans, die verträumte Betrachtung eines Gemäldes galten als Ausweis und zugleich als Vollzug eines selbsterworbenen Seelenadels. Die Romantik entwickelte daraus die Idee, dass auch die Werke für sich stünden und den niederen Streitigkeiten des Alltags enthoben seien. Auf Vero ist damit nun endgültig Schluss.

© SZ vom 06.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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