"Song Reader" von Beck:Die Zitatmaschine läuft

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Ätherisches Plätschern: Beck bei einem Konzert im Juni in Detroit. (Foto: Chris Schwegler/Retna Ltd./C.Corbis)

Ein großes Folkpop-Panoptikum, bombastisch, vielstimmig, eklektisch: Der Musiker Beck lädt in seinem neuen Album zu einer ernsten Rückschau ein. War das klug?

Von Annett Scheffel

Wenn Popmusiker wie der Amerikaner Bek David Campbell Beck alias Beck Hansen alias Beck ein neues Album ankündigen, erwartet man aus seltsamer Gewohnheit viel, hofft eigentlich sogar auf wirklich Großes.

Nur sechs Monate nach seinem zwölften Studioalbum "Morning Phase" gibt es schon eine neue Platte namens "Song Reader" - ein großes Folkpop-Panoptikum, bombastisch, vielstimmig, eklektisch, zu dem außer Beck auch im Jahr 2014, zwanzig Jahre nach seinem Debüt "Mellow Gold", nur sehr wenige in der Lage sind, eigentlich niemand.

Wobei es, streng genommen, gar kein richtiges Beck-Album ist. Es ist vielmehr eine von ihm produzierte Sammlung von Aufnahmen jener 20 Stücke, die er 2012 unter dem Titel "Song Reader" als nackte Notenblätter veröffentlichte.

Interpretiert werden die Songs von 20 Musikern (einen einzigen Song übernimmt er selbst), die eine fabelhafte Supergroup wären. Der Neo-Rumpelblues-König Jack White ist dabei, der Britpop-Veteran Jarvis Cocker, der Musik-Comedian Jack Black, der 64-jährige Mitgründer der New-Yorker-Urpunk-Band New York Dolls, David Johansen, der Kuscheljazz-Darling Norah Jones und der Neo-Folkrock-Fürst Jeff Tweedy.

Einerseits. Andererseits zeigt die Auswahl auch den Indie-Auskenner und ewigen Pop-Hipster Beck. Den ersten Song des Albums etwa - das ätherisch dahinplätschernde Stück "Title Of This Song", das im Namen auch gleich eine hübsche Meta-Schleife dreht - überließ er dem kalifornischen Folk-Soul-Newcomer Moses Sumney.

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Die Lieder erzählen vom alten Amerika

Aber auch ansonsten ist großes popkulturelles Feingefühl am Werk. Die Zitatmaschine läuft, die Bezüge schlagen Haken und bilden überraschende Klammern.

Da ist zum Beispiel David Johansen mit einer ganz wunderbar schrulligen, von heiseren Saxofon-Jaulen begleiteten Version von "Rough On Rats", die Tom Waits' Schrottplatz-Jazz herbeizitiert. Oder Norah Jones, die in "Just Noise", einer sonnigen, an die Beach Boys erinnernden Sixties-Pop-Komposition mit liebreizend wohltemperierter Stimme singt, genau: "It's just Noise, it's just Noise".

Gemeint ist zwar weniger das nervenzerfetzende Musik-Genre, als das metaphorische Geräusch eines brechenden Herzens, trotzdem flimmern im Kopf für einen Moment seltsam abwegige Bilder auf, um sofort wieder in der erbarmungslos flauschigen Melodie zu versinken.

Und Jarvis Cocker nimmt sich "Eyes That Say I Love You", einer Ballade, die ebenso gut eine dramatische James-Bond-Hymne sein könnte, in seinem typisch schelmischen, halb gesprochenen, halb schwelgerischem Theater-Gestus an.

In ihren Texten erzählen die Lieder vom alten Amerika, von Liebe und Schuld, Sehnsucht und Angst, Geld und Krieg. Weshalb es keine typischen Beck-Songs sind, also nicht ironisch gebrochen. Der Meister versucht eher ernste Rückschau auf die Ursprünge der Popmusik.

Und so ist es schöne, stimmungsvolle amerikanische Musik in allen denkbaren Facetten geworden - von Country- und Blues-Rock-Idyllen bis Avantgarde-Jazz und kauzigem Kammerpop. Abenteuerlich in ihren Referenzen und Genrespielereien, grundsolide und fachmännisch in ihrer Ausführung, uramerikanisch in ihrer Erzählweise.

Popsongs als Vorschläge

Womit wir beim großen Widerspruch dieses Albums wären, den man leider doch nicht ganz übergehen kann. Denn wirklich grandios, also zum Niederknien fantastisch, wie so vieles im Werk dieses großen amerikanischen Pop-Zauberers, ist das Album dennoch nicht. Seine bloße Existenz verrät schließlich schon die ursprüngliche Idee des Projekts: Nämlich Popsongs als Vorschläge, als Einladung zu individueller Interpretation in die Welt zu entlassen.

Das Album, dass Beck jetzt doch selbst kuratiert und aufgenommen hat, gab es also längst: Im Internet, 20 Songs in Hunderten Versionen der Youtube-Community. Anders gesagt: Der Popmacher Beck hinkt dem listenreichen Poptheoretiker Beck dieses Mal ausnahmsweise vielleicht drei, vier Meter hinterher.

© SZ vom 14.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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