Buch von Schorsch Kamerun:"Konrad Adenauer, du kannst mir nichts mehr anhaben"

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Meister der Subversion: Der Sänger und Theaterregisseur Schorsch Kamerun bei einem Konzert in München 2015. (Foto: Robert Haas)

Schorsch Kamerun, der Sänger der "Goldenen Zitronen", erzählt vom verzweifelten Versuch, Punk als Lebenseinstellung durchzuziehen. Und schickt seinen Romanhelden am Ende doch in Therapie.

Buchkritik von Luise Checchin

Am Anfang steht ein Anschlag auf die lokale Kaffeehauskultur. "Bimmelsdorfer Cafés haben keine Ahnung von Kaffee" schmiert Tommi, die Hauptfigur in "Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens", an die Rathausfassade des heimatlichen Ostseebads.

Es ist dies der Beginn einer Subversionskarriere, die Tommi und seine Freunde von der Unterwanderung der heimischen Tourismusbranche zur Infiltrierung bundesrepublikanischer Konzert- und Theaterbühnen führen wird. Dazwischen probieren sie "ein paar Dinge mit Urin in zu teuren Longdrinks" aus, sorgen für innovative Klangkulissen in Supermärkten (man drehe alle ausgestellten HiFi-Anlagen auf maximale Lautstärke und verschwinde unauffällig) und entwickeln das "Dauerwurstprinzip" - die Verlangsamung aller Arbeitsschritte, die immer dann zur Anwendung kommt, wenn jemand von seinem Ausbilder ungerecht behandelt wird.

Tommi heißt eigentlich Horsti, aber wer als Punk Anfang der Achtzigerjahre auf dem Land überleben möchte, braucht eine neue Identität, und so wird Horsti zu "Tommi from Germany", wobei das "i" immer großgeschrieben gehört, als "Statement gegen erzwungene Ungleichheiten jedweder Art".

Die Geschichte, die der 1963 geborene Schorsch Kamerun in seinem ersten Roman erzählt, kommt dem informierten Leser recht bekannt vor. Schließlich haben Autor und Hauptfigur einiges gemeinsam: aufgewachsen in der norddeutschen Provinz, Sozialisation im linken Milieu, Umzug nach Hamburg, Arbeit als Sänger und Theaterregisseur. Wer mag, kann ohne Mühe die realen Orte, Weggefährten und Projekte entschlüsseln.

Die Band des Autors Schorsch Kamerun zum Beispiel ist das Hamburger Kollektiv Die Goldenen Zitronen. In den nunmehr 32 Jahren ihres Bestehens haben sie so ziemlich jeden Musikstil ausprobiert, darüber aber nie ihre Zitronen-eigene Sperrigkeit verloren. Seit der Jahrtausendwende ist Kamerun zudem ein gefragter Gast auf deutschsprachigen Stadttheaterbühnen.

Und wie in seinen Theaterarbeiten, die an der Schnittstelle von Performance und Konzert liegen, macht Kamerun in seinem Romandebüt vor allem eines: Erwartungen unterwandern. Das fängt schon mit dem Wörtchen "Roman" an. Denn eigentlich ist das Buch viel eher eine assoziative Aneinanderreihung autobiografisch angehauchter Anekdoten, durchsetzt mit gesellschaftskritischen Exkursen. Eine Handlung im engeren Sinne gibt es nicht, und die wenigen wiederkehrenden Figuren bleiben so unscharf wie ihre Umgebung.

Anhaltspunkte dafür, warum das so ist, liefert das Buch durchaus mit. Als Tommis beste Freundin Kitty ihm vorwirft, er könne keine Geschichten erzählen, rechtfertigt sich Tommi folgendermaßen: "Ein heutiges Leben besteht aus Konfettifetzen, die zu einem Flickenteppich vereint, ein für den Einzelnen kaum mehr zu überschauendes Bild ergeben. Wie soll man ein solches Dasein angemessen wiedergeben?"

Die Wiedergabe eines solchen Daseins wird natürlich nicht leichter, wenn man sich kaum daran erinnern kann. So geht es Tommi aber, der, wie der Erzähler schon ziemlich früh offenlegt, seine Jugend im Nachhinein nur noch als eine "Aneinanderreihung verschleierter Traumsequenzen" empfindet. Und so erzählt das Buch auch weniger das Schicksal eines Einzelnen als das einer Generation.

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Einer Generation, welche die gemähten Rasen ihrer spießbürgerlichen Elternhäuser für die Verheißungen der Anarchie eintauschen will, doch nach ein paar Jahren feststellen muss, was Tommis Freundin Kitty schon zu Anfang weiß: "Alles noch so Abseitige würde mit der Zeit zwangsläufig wie ein aufgewärmtes Süppchen schmecken." Ernüchtert erkennen Tommi und sein Freunde, wie die eigene Gegenkultur vom Mainstream vereinnahmt wird und wie sie selber - in Anlehnung an ein Lied der Goldenen Zitronen - die Bullen auch nicht mehr so hassen können wie früher.

Zu theoretisch, zu Standpaukenhaft

Dieser Ernüchterungsprozess wäre um einiges eindrücklicher ausgefallen, hätte Kamerun sich nicht entschieden, das Allgemeine über das Individuelle zu stellen. Es ist nun einmal etwas anderes, ob die patriarchalen Strukturen der Musikbranche pauschal kritisiert werden oder ob man von ihnen erzählt. Zu viele theoretisierende Exkurse durchziehen das Buch, und allzu häufig haftet ihnen etwas Standpaukenhaftes an. Richtig platt wird das, wenn der Erzähler es auf die nachfolgenden Generationen abgesehen hat: "Steht ein Krieg bevor?", fragt er suggestiv. "Weil die jetzige Generation Y-Z endlich auch mal eine authentische Knute spüren will? Nach wirklichen, echten Grenzerfahrungen lechzt? Weil alles andere zu komplex ist?"

Solche kulturpessimistischen Anwandlungen überdecken mitunter, was aufregend ist an "Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens". Schließlich gelingt es Kamerun, das Versprechen des Punk nachvollziehbar zu machen, die Befreiung, die es trotz aller Fallstricke bedeuten kann, sich für eine Existenz als Störfaktor zu entscheiden.

Klug und von melancholischem Witz ist der Text vor allem da, wo er diese Verweigerungsgeste - oder ihr Scheitern - konkret erfahrbar macht. Etwa, wenn eine Inszenierung, die Tommi plant, in der routinierten Stadttheatermaschinerie von einem radikalen Formexperiment zu einem "ganz schönen Liederabend" zusammenschrumpft. Oder, wenn er den Kampf gegen die Autoritätsstrukturen ins Innere verlagert. Denn irgendwann muss Tommi feststellen: "Er traut sich auf große Bühnen und fürchtet sich davor, allein ins Bett zu gehen." Also integriert sich der Punk gesellschaftlich ein Stück, indem er tut, was alle tun: Er begibt sich in Therapie.

Allerdings wird auch die persönliche Dämonenaustreibung auf die ganz eigene Tommi-from-Germany-Art betrieben. "Adenauer-Therapie" heißt die Methode, benannt nach dem Kanzler, der für Tommi den Inbegriff unumstößlicher Machtaura darstellt. Immer, wenn er sich von Menschen oder gesellschaftlichen Normen eingeengt fühlt, "schließt er die Augen, hebt theatralisch die Arme und beginnt sehr laut zu klagen: "Konrad Adenauer, du kannst mir nichts mehr anhaben." Bei allem, was sich seit den Achtzigern verändert haben mag, ist das ein Spruch, der es immer noch wert wäre, die ein oder andere Rathausfassade zu verschönern.

Schorsch Kamerun: Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens. Roman. Ullstein Verlag, Berlin 2016. 256 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro. (Foto: verlag)
© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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