Regisseurin:Liebe logisch

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Vom Sprechtheater zur Oper: Regisseurin Christiane Pohle. (Foto: Bayerische Staatsoper)

Die erste große Premiere: Christiane Pohle inszeniert Claude Debussys Rätselwerk "Pelléas et Mélisande".

Interview von Egbert Tholl

Seit 1999 inszeniert die gebürtige Berlinerin Christiane Pohle, vor allem im Sprechtheater, in der freien Szene, an den Münchner Kammerspielen, unter anderem in Zürich, Hamburg, Stuttgart, Wien und Basel. Inzwischen unterrichtet sie auch, an der Falckenberg-Schule und der Akademie in Ludwigsburg. An der Bayerischen Staatsoper inszenierte sie bereits mit dem Opernstudio Hans Werner Henzes "Elegie für junge Liebende". Nun folgt die Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele im Prinzregententheater, Debussys "Pelléas et Melisande" (28. Juni, 18 Uhr).

SZ:Frau Pohle, war es Ihr Wunsch, diese impressionistische, symbolistisch verrätselte Oper zu inszenieren?

Christiane Pohle: Ich habe es mir tatsächlich gewünscht, sehr gewünscht, schon seit langem. Die Idee kam dann aber von der Dramaturgie und Nikolaus Bachler.

Es gibt nicht sehr viele Opern, die weniger theatral sind als "Pelléas et Melisande".

Genau.

Das war der Anreiz?

Es gibt in dieser Oper ein Zusammentreffen von Text, Musik und Thema, von dem ich nicht weiß, ob es in der Operngeschichte ein noch glücklicheres gibt. Es geht definitiv in dieser Oper nicht um eine Geschichte, sondern um eine Beschreibung von Vielheiten, sowohl in den Persönlichkeiten als auch in der Art und Weise, wie sich die Figuren begegnen, in den Konzepten, wie sie sich begegnen wollen, im Sehnen und auch im Scheitern, in Momenten, die dann so intensiv sind, dass man gleich sterben will. Und das betrifft nicht nur die, banal gesagt, Liebesgeschichte, sondern alle Charaktere, die alle etwas versuchen, sich betasten, einander umwandern.

Ist Ihnen das nah?

Ich würde schon sagen, dass das meiner Sehnsucht, Theater zu machen, entspricht. Der Sehnsucht, sich des Bühnenraums anzunehmen und sich Geschichten anzuhören. Ob das dann immer so gelingt?

Zunächst hat man es hier eher mit Zuständen, weniger mit einer Geschichte zu tun.

Genau. Es gibt nicht einmal mehr eine rationale Gesprächsebene, sondern fast nur noch die Zustände darüber.

Sehen Sie diese Zustände dann eher surreal ausgemalt oder konkret psychologisch?

Das ist eine interessante Frage, in wie weit das psychologisch ist oder eher etwas Naturhaftes. Die Zustände, die sich da ereignen, und die Bilder, die der Textdichter Maeterlinck dazu findet, haben überhaupt nichts mit einer Realitätsebene zu tun, sondern sind Versuche, das Ganze woanders hinzuheben. In gewisser Weise haben diese Zustände etwas mit Psychen zu tun, aber sie sind keine psychischen Zustände. Maeterlinck geht es um das Gefühl, wie der Mensch in der Welt ist. Ich glaube, dass alle Gefühle, Zustände in dieser Oper scheitern müssen, weil um sie herum eine Welt existiert, die eben nicht naturhaft ist, sondern ganz andere Ebenen hat, innerhalb derer man nicht selbstständig handeln kann.

Die Figuren können gar nicht mehr handeln?

Nicht im Bezug zur Welt um sie. Sie können nichts initiieren, keine Revolution machen, weil da permanent Sachen sind, die das brechen, die viel höher sind als der menschliche Wille oder die menschliche Psychologie, die jetzt meint, dass sie liebt.

Aus der Außenwelt, insofern sie hier überhaupt konkret wird, lässt sich schwer ein Argument wofür auch immer ableiten?

Ich habe immer mehr das Gefühl, da ist überhaupt keine Außenwelt. Wenn Golaud zu Beginn eine Beziehung zu Melisande glaubt einzugehen, ist diese sofort bedroht. Diese Bedrohung kommt aber nicht von außen, die kommt aber auch nicht daher, dass er vielleicht ein Paranoiker ist. Die kommt aus dem viel tieferen Wissen, dass etwas vielleicht nicht sein wird, dass es das nicht gibt, eine Idee kontinuierlich durchzusetzen in der Welt, die dann eine Entwicklung hat und vielleicht auch ein Glück, das dann irgendwann total ist.

Meinen Sie, Pelléas und Melisande glaubten an so etwas?

Wünschen tun sie sich es schon. Weil: Der Schluss könnte ja sein, wir werden jetzt alle depressiv. Erstaunlicherweise aber gibt es einerseits dieses Wissen, oder zumindest diese Ahnung, andererseits aber gibt es den permanenten Versuch, das Hochflackern, den Genuss der Sekunde, die die einzige oder letzte sein könnte. Das ist keine Gruppe von Menschen, die depressiv oder abgelöscht sind. Die Disposition, die Debussy ihnen durch die Musik mitgibt, ist so etwas von irrlichternd und springt permanent auf Zustandsebene, die viel zu groß sind, um die überhaupt auszuhalten, ganz zu schweigen davon, dass man daraus einen Lebensplan entwickeln könnte.

Und wie setzt man das um? Um die konkrete Präsenz der Menschen auf der Bühne kommt man ja nicht herum und wohl auch nicht darum, eine für den Zuschauer irgendwie befriedigende Beziehung zwischen den Figuren zu erschaffen.

Das Thema Abtasten, Nichtsynchronität ist da eine Hilfe. In dieser Oper gibt es nicht den Moment, an dem man glauben könnte, dass etwas stimmt. Sobald sich hier etwas berührt, ist es eigentlich vorbei.

Die Musik hat ja auch nie einen festen Grund.

Genau. Es gibt auch kaum ein Ende von etwas oder einen klaren Anfang. Wenn es so etwas gibt, dann ist es fast zitathaft. Das heißt, eine Annäherung für eine Inszenierung kann etwas damit zu tun haben, dass man sich um diese Asynchronitäten kümmert. Dass man eben nicht versucht, es zu einer psychologischen Kleinfamiliengeschichte erklärbar zu machen, sondern eigentlich das Gegenteil: Dass das Unerklärliche die wichtigste Rolle spielt und man beobachten kann, wie die Charaktere auf verschiedensten Ebenen auf der Suche sind.

In Ihren Theaterinszenierungen bemühen sie sich oft um das performative Aufbrechen einer Entität von Darsteller und Figur. Wie setzt man das mit Opernsängern um?

Es braucht eine Bereitschaft, sich von der direkten Psychologie wegzubewegen, auf jeden Fall.

Geben Sie denen dann etwas Formales zur Hand?

Es wäre einfach zu sagen, okay, wir lösen das ganz formal, machen es total künstlich. Aber ich finde ja, dass das Zentrum das Menschliche ist, das menschliche Scheitern, die menschliche Sehnsucht. Es geht bei aller Absenz von Logik in dieser Oper dennoch auch darum, eine Spielebene zu finden, die direkt ist, die den Text kommuniziert. Da gibt es ja etwas zu sagen, auch wenn es keine direkten Dialoge sind. Ständig wird in Metaphern gesprochen, um sich innere Zustände selbst erklärbar zu machen. Und dafür versuchen wir, eine Form zu finden.

Sie bewegen sich auf einem dünnen Grat zwischen Artifiziellem und Konkretem?

Ja.

Pelléas et Melisande , Eröffnungspremiere der Festspiele, So., 28. Juni, 18 Uhr, Prinzregententheater

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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