Recht und Verbrechen:Entzug der Staatsbürgerschaft: Primitiver als Folter

Für viele klingt es brutal einleuchtend: Einheimischen Terroristen sollte die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Aber kann man Menschen entsorgen wie Giftmüll?

Von Andreas Zielcke

Künftig darf, so will es die französische Regierung, einheimischen Terroristen die mit der Geburt erworbene Staatsangehörigkeit entzogen werden. Den wenigsten Politikern, die dem zustimmen, dürfte bewusst sein, welchen zivilisatorischen Schaden ihr Projekt anrichtet. Es verleugnet das Grundverständnis einer freiheitlichen Staatsbürgerschaft.

Die französische Regierung steht mit dem Bestreben ja nicht alleine da. In Deutschland nehmen ähnliche Überlegungen Gestalt an, ebenso wie in vielen Ländern von Kanada über Österreich bis Australien. Der Rauswurf aus der Staatszugehörigkeit wird als sicherheitspolitische Waffe, als Strafe und als markante symbolische Aussage erkannt.

Pass-Kontrolle am Flughafen
(Foto: Marius Becker/dpa)

Zunächst aber: Wie sieht die Rechtslage aus? Zum Vergleich bieten sich neben Frankreich und Deutschland vor allem Großbritannien und Amerika an; ihre Verschiedenheit in diesem Punkt ist eklatant.

Während die französische Verfassung bislang gar keine Regel zur Staatsangehörigkeit enthält, gebietet das deutsche Grundgesetz in Artikel 16 lakonisch: "Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden." Allerdings lautet der folgende Satz: "Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird." Das Grundgesetz unterscheidet also zwischen Entzug und Verlust der Staatsangehörigkeit.

"Verlieren" kann ein Deutscher die Staatsangehörigkeit vor allem, wenn er auf sie verzichtet oder eine fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, bei Adoption oder Eheschließung. Er verliert sie aber auch dann, wenn er in die "Streitkräfte eines ausländischen Staates eintritt". Die letztere Regel gilt in den meisten Ländern, sie soll den Konflikt zwischen militärischen Loyalitäten zu zwei Staaten verhindern. Da der sogenannte Islamische Staat kein anerkannter Staat ist, fällt ein deutscher IS-Kämpfer nicht unter diese Regel.

In Deutschland müsste man für diesen Schritt das Grundgesetz ändern - eine hohe Hürde

In Frankreich stellt sich das Problem gegenüber einheimischen Dschihadisten nicht nur wegen der Verfassungslage anders als in Deutschland. Schon bisher kann einem Franzosen mit doppelter Staatsbürgerschaft die französische entzogen werden, wenn er nicht von Geburt, sondern erst durch Einbürgerung Franzose wurde.

Voraussetzung dafür ist, dass er eine schwerwiegende Tat begangen hat und zwischen Tat und Einbürgerung nicht mehr als zehn Jahre (bei Terrorismus 15 Jahre) liegen. De facto ist es eine Einbürgerung auf Bewährung. Mit der jetzt vorgesehenen Regelung müssen aber auch "geborene" Franzosen mit dem Entzug rechnen. Neben der doppelten Staatsangehörigkeit reicht es dann hin, dass jemand eine solche Tat begeht.

In Deutschland ist ein analoger Entzug nicht möglich, ohne das Grundgesetz zu ändern. Das ist eine hohe Hürde. Daher streben Politiker an, die Ausbürgerung von Terroristen unterhalb der Verfassung zu regeln, nicht als Entzug, sondern als "Verlust" der Staatsangehörigkeit. Den schon bisher zulässigen Fall, dass der Betroffene in "Streitkräfte eines ausländischen Staats" eintritt, wollen sie durch die Variante ergänzen, dass der Betroffene in eine feindliche Kampftruppe eintritt, egal, ob staatlich oder nicht. Doch das zieht gravierende Probleme nach sich.

Indirekt würde so eine Terrorgruppe wie der IS doch zu einem staatlichen Kampfverband aufgewertet. Denn erst, wenn der Betroffene einem anderen Staat militärisch verpflichtet ist, stoßen zwei staatliche Loyalitäten aufeinander. Nur das rechtfertigt den Verlust einer der beiden kollidierenden Staatszugehörigkeiten.

Terroristen als gewöhnliche Schwerverbrecher?

Will man dieser Falle der indirekten Anerkennung des "Islamischen Staats" entgehen, müsste man klarstellen, dass Terroristen nur gewöhnliche Schwerverbrecher sind. Doch damit wäre ihre Sonderstellung im Staatsbürgerschaftsrecht kaum zu legitimieren, zumal im Vergleich zu anderen Kriminellen, die dem Staat direkt die Loyalität aufkündigen wie etwa Hochverräter.

Abgesehen davon missachtet die Ausbürgerung von Terroristen auch völkerrechtliche Regeln wie die UN-Resolution vom Herbst 2001. Diese verpflichtet alle Staaten zur Strafverfolgung von Terroristen. Darf ein ausgebürgerter Terrorist nicht mehr einreisen, kann man ihm hier auch nicht den Prozess machen. Also dürfte man ihn erst nach Verurteilung und Haftverbüßung ausbürgern - was heißt das bei lebenslänglicher Strafe?

Immerhin, bei dem Problem stehen sich Frankreich und Deutschland nicht nach, ganz anders als Großbritannien und die USA. Tatsächlich ist von der sonst so engen Verwandtschaft des britischen und amerikanischen Rechtsdenkens beim Entzug der Staatsbürgerschaft wenig zu sehen.

In Großbritannien darf man einer Person mit doppelter Staatsbürgerschaft die britische schon dann entziehen, wenn "dies dem Gemeinwohl dienlich ist". Und eingebürgerte Personen, deren Tat eine "ernste Schädigung nationaler Interessen" darstellt wie etwa Terrorismus, Spionage oder "inakzeptables Verhalten", können die Staatsangehörigkeit sogar dann verlieren, wenn sie staatenlos werden. Ausgerechnet das Land, das die bürgerschaftliche Teilhabe so exemplarisch entwickelt hat wie kein zweites, senkt die Schwelle zur Zwangsausbürgerung extrem ab.

USA: Nicht gegen den eigenen Willen

Umgekehrt in den USA. Der 14. Verfassungszusatz definiert, wer Bürger der Vereinigten Staaten ist, und er wird vom Supreme Court so verstanden, dass keinem Amerikaner die Staatsangehörigkeit ohne seinen Willen entzogen werden darf. Jede Aktion wie Eheschließung, Adoption oder Eintritt in eine fremde Armee muss sich, damit es zum Verlust der Staatsbürgerschaft kommt, als freiwilliger Verzicht interpretieren lassen. Selbst schweren Verbrechen unterstellt man auch nicht implizit einen solchen Verzicht. Eine Nation, die rechtsfreie Zonen unterhält wie Guantanamo, achtet hier auf unbedingte rechtliche Zusammengehörigkeit.

Dass die nationalen Gesetzgeber so stark voneinander abweichen können, zeigt den großen Spielraum, den das Völkerrecht gewährt. Nur den Schutz vor Staatenlosigkeit gibt es einheitlich vor. Doch auch den fordert die maßgebliche Konvention von 1961 nicht lückenlos. Schon die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 untersagt einzig den "willkürlichen" Entzug der Staatsangehörigkeit. Auch der EU-Vertrag überlässt die wesentliche Regelung den Mitgliedsstaaten.

Dennoch, auch wenn die Nationen ihre Staatsbürgerschaften so vielfältig entfalten können, ist eine normative Indifferenz hier fehl am Platz, aus zwei Gründen. Zum einen schon deshalb, weil das Ausbürgern von Terroristen ein skandalöser Akt zu Lasten Dritter ist. Man entlädt den Terroristen, der ja oft - wie die Charlie Hebdo-Attentäter - im Lande sozialisiert wurde, wie Giftmüll in der Welt der übrigen Staaten.

Auch wenn er in den Staat ausgewiesen wird, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt, wälzt man die terroristische Gefahr politisch unanständig ab. Warum ist auf die zweite Staatsangehörigkeit weniger Rücksicht zu nehmen als auf die, die man entzieht? Hinzu kommt, dass der andere Staat seinerseits den Terroristen nicht ausbürgern darf, weil dieser sonst staatenlos würde. Den letzten Staat beißen die Hunde. Dass immer mehr Länder gewillt sind, derart rücksichtslos ihr Problem anderen aufzubürden, passt in das Bild der unerfreulichen Renationalisierung.

Die "Nation" ist ein rückwärtsgewandtes, vorrechtliches Gebilde

Und der zweite Grund: Die "Nation", auf die diese Renationalisierung zusteuert, ist ein rückwärtsgewandtes, vorrechtliches Gebilde. Vielleicht ein "Volk", jedenfalls kein Rechtsstaat. Staatsangehörigkeit heißt im Französischen "nationalité". Doch nicht von Frankreich, sondern von den USA, wo sie "citizenship" heißt, kann Europa den Gehalt der Staatsbürgerschaft wieder begreifen lernen. Und nirgends lässt sich damit besser beginnen als mit dem wegweisenden Urteil des Supreme Court im Fall Trop v. Dulles von 1958.

Das Gericht beschrieb damals zwar, welche Katastrophe es bedeutet, staatenlos zu werden. Doch daraus erschließt sich zugleich die unerlässliche Errungenschaft der Staatszugehörigkeit: Der Verlust der Staatsbürgerschaft "zerstört den Status eines Individuums in organisierter Gesellschaft total. Es ist eine noch primitivere Form der Bestrafung als Folter, weil sie dem Individuum die politische Existenz entzieht, für deren Entwicklung Jahrhunderte nötig waren . . . Kurz, der Ausgebürgerte verliert das Recht, Rechte zu haben." Der letzte Satz greift nahezu wörtlich Hannah Arendts berühmtes Diktum auf.

Erzwungene Ausbürgerung ist eine Praxis von Diktaturen. Das sollte uns zu denken geben

In der Tat zielt der Staat, der eine Person ausbürgert, auf ihre maximale Entrechtung, jedenfalls auf seinem Territorium. Doch damit sägt er am eigenen Ast. Der Gesellschaftsvertrag, den jeder Rechtsstaat für seine Konstitution unterstellt, gilt nur auf der Basis unverfügbarer Staatsbürgerschaft. Dafür ist Amerika das Vorbild.

Nicht Ethnie, nicht Religion begründet das Gemeinwesen, sondern die über alle Partikularitäten hinwegsehende freie und gleichberechtigte Teilhabe seiner Bürger. Sie gründen als Rechtssubjekte den Staat, und sie gründen mit ihm zugleich ihre eigene politische Existenz.

Der Letzte, der berechtigt wäre, diese ihn selbst erst hervorbringende Existenzform seiner Mitglieder zu vernichten, ist der Staat. Jeder Staatsbürger ist wie ein Gründungsmitglied zu behandeln. Der Staat kann nicht seinen rechtlichen Gründern kündigen. Allein die Tatsache, dass die erzwungene Ausbürgerung eine Praxis von Diktaturen ist, sollte zu denken geben.

Auf einen Rechtsbruch kann nur die Wiederherstellung des Rechts folgen

Natürlich begründet der Gesellschaftsvertrag nicht nur wechselseitige Rechte, sondern auch wechselseitige Pflichten. Die verletzt der Terrorist zweifellos - aber die verletzt jeder, der sich rechtswidrig verhält. Auf einen Rechtsbruch aber kann, so gravierend er sein mag, im Rechtsstaat stets nur die Wiederherstellung des Rechts folgen, nicht der Entzug des Rechts, an dem Gemeinwesen überhaupt teilzuhaben. Gutartigkeit ist, wie jeder seit Hobbes wissen müsste, keine Bedingung für die Zugehörigkeit zum Gemeinwesen.

Wehrlos ist der Staat gegenüber einheimischen Terroristen deshalb nicht. Alle Rechtssysteme lassen neben Strafe und Inhaftierung den Entzug der Bürgerrechte, (also der politischen Wahlrechte) zu, und auch das Recht, Aus- und Einreise durch Einbehalten des Passes zu regulieren.

Musste nicht jeder europäische Staat, und ganz besonders Deutschland, lernen, dass in seinen Reihen monströse Verbrechen begangen wurden, ohne dass man auch nur im Traum daran denken konnte, sich der Täter durch Ausbürgerung zu entledigen? Ein Staat muss die Verantwortung für seine Staatsbürger tragen, nach innen und nach außen. Tut er es nicht, wird er verantwortungslos.

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