Popkolumne:Krieg und Freizeit

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Die Popereignisse der Woche. Diesmal mit neuer Musik von R'n'B-Sänger Miguel, Elektro-Produzent Pantha Du Prince, Neo-Folk-Held Sufjan Stevens und der Antwort auf die Frage, wie man in unruhigen Zeiten flirtet.

Von Annett Scheffel

Etwas Entscheidendes über das Popjahr 2017 scheint der amerikanische R'n'B-Sänger Miguel verstanden zu haben. Zumindest deutet es der Titel seines vierten Albums an: "War & Leisure" (ByStrom/RCA) - Krieg und Muße - ist ein wunderbar verdichteter Arbeitstitel für die Popmusik und ihren großen, neuen Konflikt: Welche Aufgabe hat die Popmusik im Jahr eins unter Trump? Soll sie Durchhalte-Sound sein oder politischer Kommentar? Miguel schafft es in ungeheuer lässiger Manier, beides miteinander zu verbinden. Wenn er wie in "Told You So" von Kontrolle und Befreiung singt, ist sowohl das Sexuelle als auch das Politische impliziert. Jeder einzelne Song ist dabei eine tolle R'n'B-Single: mit viel luftigem Digital-Funk, verzerrten Gitarren und Hip-Hop-Beats. Und zwischen dahingeschmachtetem Liebesgezwitscher und erotischen Avancen lässt Miguel immer auch Raum für ein bisschen schmerzliche Realität. In "Come Through And Chill" textet er mit der Geliebten, die er, wie er singt, genauso wenig aus dem Kopf bekommt wie den knieenden Football-Spieler Kaepernick, Polizeigewalt oder den "routinierten Mist", den Trump von sich gibt. Falls Sie sich schon gefragt haben, wie das geht: So flirtet man in unsicheren Zeiten.

Sufjan Stevens hat den Song der Woche geschrieben: Der Singer-Songwriter aus Detroit besingt mit zarten Falsettharmonien und melancholischen Streichern seine große amerikanische Heldin: "Tonya Harding" (Asthmatic Kitty). Wen? Genau, die Eiskunstläuferin! Wir erinnern uns dunkel: Anfang der Neunziger war sie als vielversprechendes Sporttalent in ein brutales Attentat auf ihre Olympia-Konkurrentin Nancy Kerrigan verwickelt und machte später Schlagzeilen als Promi-Boxerin und mit einem Sex-Tape. Einerseits ist das natürlich eine reichlich skurrile Protagonistin für einen modernen Folk-Song, der alles andere als parodistisch gemeint ist. Das zumindest legt ein begleitender Essay von Stevens nahe, in dem er Hardings Aufstieg aus einer Arbeiterfamilie in die elegante Welt des Eiskunstlaufs beschreibt ("Amerikas Sweetheart mit einem dunklen Twist"). Andererseits passt diese komplizierte Heldengeschichte zu der mitfühlenden, auf Details versessenen Komplizenschaft mit den Verkorksten und Unverstandenen, die wir von Stevens kennen: "Tonya Harding, my friend / This world is a bitch, girl."

Apropos: Gefährlich ist diese gemeine Welt besonders für diejenigen, die zur falschen Zeit am falschen Ort die falschen Dinge tun - was auch und vor allem für das Minenfeld der Popmusik gilt. Lernen musste diese Lektion auch James Murphy, Kopf des New Yorker Bandprojekts LCD Soundsystem. In der Beats-1-Radioshow von Metallica-Drummer Lars Ulrich erzählte er gerade die schöne Anekdote, wie er einmal "fast umgebracht" wurde, weil er es für eine gute Idee hielt, in einem Technoclub um drei Uhr nachts "Loose" aufzulegen, eines dieser krachigen Protopunk-Stücke von den Stooges, die mehr verbale Attacke als Song sind. In Murphys Musik ging das ja immer zusammen: Dance und Punk. Und so entgegnete er einem wütenden Typen, der versuchte, das DJ-Pult zu stürmen: "Du musst dir das einfach mal anhören. Das ist fantastisch."

Eine schöne Abwechslung in Zeiten der von Algorithmen kalkulierten Spotify-Playlisten ist der Beitrag von Minimal-Elektroniker Pantha du Prince zur Compilation-Reihe "Coming Home" (Stereo Deluxe). Das Anliegen, das der Hamburger Produzent bei seinem letzten Album "The Triad" poetisch als das "Durchdringen des digitalen Staubs, der uns umgibt" beschrieben hat, setzt er hier als musikalische Autobiografie fort. Er zerlegt sein Leben in 26 ausgewählte Tracks: Ikonen, unterschätzte Lieblinge, Geheimtipps. Meistens sind es ruhige, konzeptuelle Stücke - analoger Ambient von Cluster oder verschrobene Elektro-Träumereien von Arthur Russell. Verwoben wird das mit Marvin Gayes "What's Going On", mit Hip-Hop von Wu-Tang Clan, Krautrock von La Düsseldorf und vielen anderen großen und kleinen Entdeckungen. Alles schwebt, pluckert und flirrt so elegant am Ohr vorbei, wie das die Musik von Pantha du Prince oft selbst tut.

Für das Interview-Magazin hat sich Rapper Eminem von Elton John interviewen lassen. Tatsächlich kennen und mögen sich die beiden schon lange (2001 traten sie gemeinsam bei der Grammy-Verleihung auf). Immerhin gibt es auch paar Wahrheiten: "Ich war ganz sicher auf Drogen, als wir uns kennenlernten", sagt Eminem. Für die schönste Stelle sorgt aber Elton John, als Eminem über die Ratschläge seines Mentors und Freunds Dr. Dre spricht: "Er ist ein bisschen wie Obi-Wan Kenobi, habe ich recht?"

© SZ vom 13.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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