Popkolumne:Am Exzess geschraubt

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Jessie Ware gelingt der Spagat zwischen Chart-Songwriting und alter Soul-Schule. Und das Berliner Duo "Zugezogen Maskulin" hat wieder viel Hass angestaut.

Von Jan Kedves

Entweder man sieht im Spagat sehr angestrengt aus. Oder man bekommt ihn so elegant hin, als wäre nichts. Auf ihrem neuen Album "Glasshouse" (Island) zeigt die Soulsängerin Jessie Ware mal wieder, dass sie in letztere Gruppe gehört. Gemeint ist der Spagat zwischen Chart-Songwriting und alter Soul-Schule, zwischen wogendem Mainstream-Appeal und intimem Geflüster, zwischen Hit-Anbiederung und kreativem Anspruch. All diese scheinbaren Widersprüche vereint die 33-jährige Londonerin. Zwar sind auf "Glasshouse" in einigen Stücken auch diese "Uh-uh-oh-oh"-Refrains zu hören, die man heute in den Pop-Charts nun mal gern hat und die doch immer dumm klingen. Jessie Ware singt sie mit ihrer luziden Soul-Stimme so, dass sie doch erträglich werden. Und da ist zum Beispiel die verträumte Power-Ballade "First Time", in der die Echos so weit hallen wie im Kirchenschiff und in der Jessie Ware mit dieser Mischung aus Verletzlichkeit und Dringlichkeit, die es so eigentlich nur im Soul gibt, fragt: "Wie können wir uns gleichzeitig so nah und so fremd sein?" "Glasshouse", am Freitag erschienen, ist ein Album, das allen gefallen kann, dabei nicht wischiwaschi klingt. Eine Kunst für sich.

Viel Hass haben Zugezogen Maskulin wieder angestaut. Das Berliner Duo, das aus den Rappern Moritz Wilken alias Grim 104 und Hendrik Bolz alias Testo besteht, hat seine eigene Nische im deutschen Rap bezogen: nicht so sarkastisch wie K.I.Z., nicht so verkrampft gangstermäßig wie Sido oder Kool Savas, und auch nicht so desinteressiert wie die sogenannten Cloud-Rapper. Eigentlich sind die beiden linke Punks, die aber lieber Rap als Punk-Musik machen. "Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, doch wir haben vorgeblättert. Auf den nächsten Seiten wird das Scheißbuch leider auch nicht besser", rappen sie zu Beginn ihres neuen Albums "Alle Gegen Alle" (Four Music). Es geht um den Rechtsruck, um Politikverdrossenheit, um Konsumrausch - wichtige Themen, die häufig zu sehr langweiliger Musik führen. Hier ist aber allein der Track "Nachtbus" schon toll. In ihm geht es zu tief brummelnden Bässen und Kindergarten-Geträller darum, dass man ja irgendwann mal aus der Provinz nach Berlin kam, um in einer Großstadt zu leben. Aber wenn die Provinz nach Berlin geht, dann wird Berlin ja noch mehr zur Provinz. Zugezogen Maskulin sind darüber sehr sauer!

Techno aus Berlin ist häufig ein Klischee: Ummz-Ummz-Ummz und dazu Stroboblitze im Kunstnebel. Wer wissen will, wie weit sich Techno aus der Stadt auch vom Klischee entfernen kann, der höre "Superlative Fatigue" (PAN), das neue Album von Errorsmith. Erik Wiegang, so heißt der Produzent bürgerlich, holt aus minimalsten Mitteln das Maximale raus. Als Spezialist würde man sagen: keine Überraschung, der 48-Jährige ist in Produzenten-Kreisen bekannt als Entwickler der Software "Razor", die per additiver Synthese die krassesten Sounds errechnet. Als Nicht-Spezialist kann man schlicht beeindruckt sein davon, wie Wiegand drei oder vier Sounds nimmt - Bassdrum, Hi-Hat, Claps und etwas, das als Melodie taugt -, und diese Elemente durch die Mangel dreht, auf einerseits völlig vorhersehbare, aber doch immer wieder überraschende Art. Im ersten Track "Lightspeed" wird etwa ein männliches Vocal-Sample hoch und runter transponiert und an verschiedenen Stellen zerschnitten: "a-a-a-a-a", "d-d-d-d-d", und so weiter. Die Effizienz, mit der Errorsmith am Exzess schraubt, ist sensationell.

Ebenfalls in Berlin lebt inzwischen die Produzentin Fatima Al Qadiri, die in den vergangenen Jahren durch ihre kristalline wummernde Bassmusik bekannt wurde. Ihre neue "Shaneera EP" (Hyperdub) spielt in Kuwait, wo Al Qadiri geboren wurde, und sie macht ein Stück des dortigen queeren Undergrounds hörbar. Über den weiß man ja sehr wenig, und Al Qadiri ist in Interviews zu ihrer EP auch zögerlich, das Wort "queer" in den Mund zu nehmen. Weil es ein westlich geprägter Begriff ist, der die Komplexität des sexuell abweichenden Lebens dort eher nicht zu fassen bekommt, und weil sie die Protagonisten ihrer EP nicht gefährden will. Al Qadiri nahm kuwaitische Drag-Performer auf, wie sie spitze Schreie und böse Flüche ausstießen. Diese durchziehen nun die fünf Tracks der EP. Es ist Musik für eine ultraharte und ultraglamouröse Drag-Queen-Party. Musik, die unterstreicht, dass überzeichnete, furienhafte Weiblichkeit immer eine Performance ist und eine Waffe. Die Person auf dem Cover ist jedenfalls Fatima Al Qadiri selbst. Als ihre eigene innere Furie.

© SZ vom 25.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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