Pop:Zähne putzen, Bart kämmen

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Betrunken? Thundercat will die eigene Identität erforschen. (Foto: Brainfeeder Records)

Der amerikanische Musiker Thundercat vereint auf seinem neuen Album "Drunk" Hip-Hop, Jazz und Funk - eine aufregende Platte.

Von Juliane Liebert

Thundercat glaubte eine ganze Weile, der Brexit sei ein Sandwich. Etwas, was man bei McDonald's bestellt. Umgekehrt hielt die Welt Thundercat (bürgerlich Stephen Bruner) lange lediglich für den begabten Typen auf den Alben seiner berühmten Kumpel Flying Lotus, Kendrick Lamar et al. Thundercat lag falsch.

Die Welt auch. Das dürfte mit seinem Album "Drunk" (Brainfeeder) vorbei sein. Es braucht nicht alle 23 Tracks, um zu wissen: "Drunk" ist als Albumtitel klar untertrieben, "Pretty damn high" wäre akkurater. Der Vorgänger, "The Beyond / Where the Giants Roam", war 16 Minuten lang, 16 Minuten, in denen so viel passierte wie sonst auf fünf Alben. "Drunk" kommt auf 52 Minuten, die Folgen kann man sich ausrechnen. Track zwei, "Captain Stupido" ist ein überdrehter Ratgebersong. Frank Ocean lehrte uns auf "Blonde" letztes Jahr, wir sollen bitte kein Gras rauchen und keine Drogen nehmen, Thundercat lehrt uns jetzt: Zähneputzen, Bart kämmen. Außerdem: ein Schnarchen und ein Furz, bevor er im Fast-Instrumental "Uh Uh", hyperaktiv pervertiertem Bebop, die Regler hochdreht. Wenn zwischendurch mal Zeit wäre, würde man nachdenken, wie man diese Mischung aus Hip-Hop, R'n'b, Jazz und Funk jetzt nennen will, elektrischer Zappelloungejazz? Easy-Listening-Avantgarde?

Der Tiefbass von "Lava Lamp" ist sexy, der Track überhaupt ziemlich guter Soul. Spannend ist auch, wie die Musik mit der Räumlichkeit umgeht. Manchmal ist der Sound völlig trocken, extrem verengt, als würde man in dem kleinen Computer sitzen, in dem solche Musik im 21. Jahrhundert üblicherweise entsteht. Zugleich hat das Album eine Homerecording-Naivität, eine beschwingte, wohlkalkulierte Albernheit. Dann öffnet es sich durch Halleffekte und Mehrstimmigkeit in einen akustisch schmeichelnden und zugleich musikgeschichtlichen Raum. Auch das ist Konzept. Nicht nur der Sound, auch die Songtitel und das Cover zitieren die Siebziger. Oben links auf dem Cover prangt "STEREO". Die größtenteils sehr kurzen Tracks erinnern nicht von ungefähr an Flying Lotus. Während dessen Musik aber oft fragmentarisch ist, sind hier schon Songstrukturen erkennbar. Thundercats größtes Talent, der Bass, steht dem Album aber auch oft im Weg. Weil er so gut wie in jedem Song so dominant und gut gespielt vorkommt, macht er die Tracks einander sehr ähnlich.

Es steht wohl außer Frage, dass diese Musik die Musik der Gegenwart ist. Das ist auch deshalb interessant, weil es die Mainstreamposition ist, was einige Fragen aufwirft, die Black Music und ihre Rezeption betreffen. Gerade als langjähriger Hip-Hop-Hörer könnte man zu Recht fragen: Warum entscheiden jetzt arrivierte Popisten, die größtenteils weiße Männer sind, dass das Zeitalter der Black Music ausgebrochen und weißer Rock over ist? Warum soll eigentlich der R'n'B-Sound, der sich auch nicht grundlegend von dem unterscheidet, was sich seit den Neunzigern entwickelt hat, plötzlich politisch tiefsinnig und ästhetisch vielschichtig sein, obwohl er von den Feuilletons lange Jahre weitgehend links liegen gelassen wurde? Mit welchem Argument muss Folk jetzt auch nach R'n'B klingen, damit er zeitgemäß ist? Als wären alle nur Spielfiguren des Zeitgeists, der durch die Geschichte wabert.

Die Fusion der einzelnen Stilelemente gelingt auch auf "Drunk" nicht immer. Kendrick Lamars Gastauftritt hätte Bruner auch über Vivaldi oder Harsh Noise legen können, es hätte nicht besser oder schlechter gepasst. An manchen Stellen klingt das Album schlicht, als hätte Thundercat die verschiedenen Genres gegeneinander aufgehetzt, um zu schauen, wer gewinnt. Gerade das macht, auch wenn es stellenweise nervig ist, "Drunk" aber auch gut. Rein auf den Sound bezogen ist in den letzten Jahren ein elektronischer Einheitssound entstanden, nuanciert je nach Genrebedürfnissen, der eigentlich längst einer Avantgarde bedürfte, die ihn verschrottet.

Ein gewisser Widerwille dagegen eint die letzten Alben dieser Szene, das herzerwärmende, aber auch zerhackte, ungeduldige, streckenweise schlichtweg irre "Drunk", oder eben Frank Oceans "Blonde". Sind sie Auftakt oder schon Zersetzungserscheinung? Während sich viele Musikerinnen und Musikhörer offenbar noch wünschen, einmal Beyoncés Babybauch zu küssen, entsteht hier bereits etwas Neues. "Drunk" ist ein aufregendes Album, weil es dazu auffordert, eben das zu tun: Selbstbewusst die eigene Identität zu erforschen und zu gestalten, anstatt sich in bequemer Schwärmerei zu ergehen. Das ist die Grundlage für musikalische Relevanz, und nein, der Brexit ist kein Sandwich, und selbst wenn er eins wäre: Mit vollem Munde isst man nicht.

© SZ vom 27.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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