Pop:Wie hört sich die Zukunft an?

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Früher nannte man sowas Supergroup: "Future Brown" sind (von links) Daniel Pineda und Asma Maroof alias "Nguzunguzu", Fatima Al Qadiri und J-Cush. (Foto: Benjamin Alexander Huseby)

Die Erwartungen an das DJ- und Produzententeam "Future Brown" waren schier unermesslich. Nun ist das erste Album erschienen, und man versteht an manchen Stellen auch, warum.

Von Jan Kedves

Hochgejubelt, verrissen, verteidigt, verpufft? Das Debütalbum von Future Brown hat in den letzten Wochen die klassische Dramaturgie des geplatzten Hypes durchlaufen. Die einzelnen Stationen müssen hier nicht en détail wiederholt werden. Doch die Erwartungen der Musikpresse an ein Album, an dem nicht nur das beliebte DJ- und Produzentenduo Nguzunguzu aus Los Angeles beteiligt ist, sondern auch die zuletzt berechtigt in den Himmel gelobte kuwaitisch-amerikanische Produzentin Fatima Al Qadiri, waren unermesslich.

Als die Rezensionen, die dann erschienen, eher mau ausfielen, beklagte Al Qadiri auf Facebook sehr grundsätzlich und deutlich den Stand der Musikkritik. Das Publikum hat das Gezerre eher gelangweilt: Über einen Monat nach Veröffentlichung ihres Albums kommen Future Brown bei Facebook gerade mal auf 11 000 Follower, bei Soundcloud auf nur knapp 14 000. Ernüchternde Zahlen für den Hype der Saison.

Dabei braucht man das betreffende Album "Future Brown" nur noch einmal mit einigen Wochen Abstand zu hören und dabei zu versuchen, sich vom giftigen Diskurs darum nicht kirre machen zu lassen, um festzustellen - es ist gar nicht schlecht, stellenweise sogar grandios, genauer: zu Beginn, in der Mitte und am Ende. Nur dazwischen hängt das Album durch (dazu gleich mehr).

Grob gesprochen versuchen Future Brown hier, Hip-Hop und R&B für Einflüsse aus Territorien zu öffnen, die außerhalb des Stammgebiets der USA liegen. Das Quartett, zu dem außerdem der New Yorker Produzent J-Cush gehört, verwendet Klischeesounds aus der Peking-Oper genauso wie bombastische Bässe, wie sie aus den britischen Grime- und Dubstep-Genres bekannt sind, Reggae-Einflüsse oder Kirchenglocken. All diese Elemente verarbeitet Future Brown auf Grundlage dessen, was man in letzter Zeit häufig als "post-internet state of mind" bezeichnet, womit die Haltung gemeint ist, dass man es nicht immer gleich so problematisieren muss, wenn jeder Sound nur einen Klick entfernt liegt und sich im Rechner alles beliebig kombinieren lässt.

"Weltmusikalische" Einflüsse im Hip-Hop und R&B sind allerdings auch nicht ganz neu. Der Hit "Addictive" (2002) der Sängerin Truth Hurts basierte auf einem Sample der indischen Sängerin Lata Mangeshkar, gefunden von DJ Quik auf dem Soundtrack eines Bollywood-Films. M.I.A.s erster Hit "Sunshowers" (2004) sampelte den gleichnamigen Song von Dr. Buzzard's Original Savannah Band, die mit ihrem Swing-Disco-Dschungel-Sound schon in den Siebzigerjahren einen multikulturalistischen Ansatz verfolgte. Und Beyoncé tanzte 2013 in einem Pepsi-Werbespot zu "Grown Woman", einem vom Timbaland produzierten Song, dessen Perkussions-Spuren eindeutig von Afrobeat à la Fela Kuti und Tony Allen inspiriert waren.

Der Unterschied ist, dass in den genannten Beispielen die jeweiligen Samples beziehungsweise Zitate noch mehr oder weniger exponiert blieben, sozusagen als exotisches "Plus" ausgestellt wurden, während Future Brown die Hierarchien zwischen den Stilen und Kulturen vollständig einzuebnen versuchen. Jeder musikalische Kontext wird da ganz bewusst ignoriert, wenn nicht sogar geleugnet. Besonders deutlich wird das im zentralen Song des Albums, "Vernáculo", in dem über einem jamaikanischen Dancehall-Beat, der aus Technosounds zusammengebaut ist, eine kleine Harfenmelodie gezupft wird und die Gastvokalistin Maluca aus New York im Hispano-Slang rappt, gefolgt von einer Passage auf Japanisch. Oder im Track "MVP" mit Rapperin 3D Na'Tee aus New Orleans, in dessen Refrain sich nicht mehr sagen lässt, ob die eleganten Autotune-Melismen nun orientalisch klingen oder an südamerikanische Formen anschließen.

Man hätte zwei Alben daraus machen können, auf das eine hätte man gut verzichten können

Die Dominanz der Frauen auf dem Album ist auch seine Stärke, denn die überzeugen fast durchgehend: Die transparente Laszivität von "Dangerzone" mit Kelela erinnert ein wenig an Michael Jacksons Song "Liberian Girl", akzentuiert durch metallisches Warcraft-Donnern und feines Fingerschnipsen. Einstieg und Abschluss des Albums bilden "Room 302" und "Wanna Party", jeweils mit Tink, eine von Timbaland protegierte Rapperin aus Illinois. Beide Tracks sind Meisterstücke des Sex-Rap, befeuert von Hochgeschwindigkeits-Hi-Hats und Tinks charakteristischem Stakkato, bei dem sie auf die ersten beiden Sechzehntel eines Beats jeweils eine Silbe rattern lässt.

Dahingegen fallen allerdings die Stücke mit den männlichen Gastrappern aus Großbritannien - etwa "Asbestos" mit Roachee, Prince Rapid & Dirty Danger oder "Speng" mit Riko Dan - deutlich ab. Gar nicht mal, weil das aggressive MC-Gebell über düsteren Bässen in krassem Gegensatz zu den weiblichen Beiträgen stehen würde. Sondern, weil es Stücke sind, in denen Future Brown keinen unerwarteten Stil addieren, in denen nichts ungewohnt verschmolzen wird. Es sind mehr oder weniger Eins-zu-eins-Nachbauten britischer Grime-Musik, wie man sie vor zehn Jahren schon beispielsweise von Wiley oder aus dem Roll Deep-Kollektiv hörte. Kurz: Hier fehlt eindeutig das utopische Moment, das die übrigen Stücke verbindet und das nicht zuletzt Albumtitel und Name des Projekts versprechen.

Den Künstlern hätte selbst auffallen können, dass dieser Retro-Grime nicht auf ihr Album passt. Es hätte vor allem aber auch ihrem Label auffallen können. Nicht zuletzt begann das große Geraune um Future Brown und ihren zukunftsweisenden Sound im letzten Jahr mit der Nachricht, dass Warp - nach wie vor das Renommierlabel für elektronische Musik - angebissen hatte und das Debüt herausbringen würde. Bei Warp arbeiten Profis, man hätte erwarten können, dass es dort einen klarsichtigen A&R-Manager gibt, der sagt: "Ihr arbeitet hier im Grunde an zwei verschiedenen Alben gleichzeitig. Machen wir doch erst mal das mit den Frauen - danach schauen wir weiter." So hätte aus einem Album, das großartige Momente hat, insgesamt aber unentschieden klingt, ein fantastisches Debüt werden können.

© SZ vom 20.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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