Neues Album "Hamburg Demonstrations":Pete Doherty, hin- und hergerissen zwischen Freiheit und Sucht

Neues Album "Hamburg Demonstrations": Ein hochsensibler, rausch-affiner Freigeist. Pete Doherty, der seit Jahren auf dem Vornamen Peter besteht.

Ein hochsensibler, rausch-affiner Freigeist. Pete Doherty, der seit Jahren auf dem Vornamen Peter besteht.

(Foto: Clouds Hill Records/PR)

Der talentierteste Junkie des britischen Indie-Pop hat ein neues Soloalbum aufgenommen - mit Hilfe eines Hamburger Produzenten.

Albumkritik von Martin Pfnür

In der aktuellen Ausgabe des deutschen Musikexpress lässt sich Pete Doherty, der übrigens bereits seit Jahren auf dem Vornamen Peter besteht, mit einer Aussage vernehmen, die das ganze Drama seiner Karriere recht gut zusammenfasst. Doherty spricht dort unter anderem über die Aufnahmen zu seinem neuen Soloalbum "Hamburg Demonstrations" (Clouds Hill), das in der Rohfassung bereits 2014 in Zusammenarbeit mit dem Produzenten, Musiker und Label-Betreiber Johann Scheerer in dessen Hamburger Studio entstand. Scheerer und sein Team, so Doherty, hätten ihm zwar große Sympathien entgegengebracht, sich gleichzeitig jedoch derart besorgt um ihn gezeigt, dass er große Mühe gehabt habe, seine Ideen für das Album frei heraus vorzutragen: "Ich wurde quasi an den Busen seiner wohlmeinenden Familie gedrückt, während ich einfach nur mein Leben leben wollte."

Durch diese Zeile schimmert das ewige Dilemma zwischen maximalem Freiheitsdrang und suchtbedingter Unfreiheit, zwischen einem Musiker, dessen Genius wie bei wenigen anderen lebenden Künstlern mit dem eigenen Exzess und seinen Folgen verquickt ist, und einem Musikbetrieb, der im aseptischen digitalen Zeitalter zunehmend auf Professionalisierung setzt. Doherty wurde durch den frühen und gewaltigen Erfolg seiner Band The Libertines, durch eine Liaison mit Kate Moss, durch Einbrüche, Haftstrafen, Konzertabsagen und volltrunkene Auftritte zum immer noch schriller schillernden Superstar. Und wirkt in seiner verlässlich unberechenbaren Art zugleich wie ein letzter Mohikaner; wie ein hochsensibler, rausch-affiner Freigeist, der auf den Schlangenlinien seines Junkietums immer wieder mit der Realität kollidiert, und dabei doch große Songs erschafft.

Zur großen Enttäuschung des Boulevards ist es ruhiger um Doherty geworden

Gelungen ist das zweite Soloalbum des 37-Jährigen trotz aller schiefen Nebengeräusche nämlich ganz unbedingt. Es ist ebenso gelungen wie das bislang letzte Album seiner zweiten Band Babyshambles, für das der Bassist Drew McConnell die kaum mehr existente Formation noch einmal zusammengeführt hatte, oder wie "Anthems For Doomed Youth", die Reunion-Platte der Libertines, für deren Aufnahmen die Band nach Thailand gereist war, weil sich Doherty dort zum Entzug aufhielt.

Seit jenem Entzug ist der Brite offenbar nicht mehr heroinsüchtig, es ist zur großen Enttäuschung des Boulevards tatsächlich deutlich ruhiger um ihn geworden, und so wirkt auch "Hamburg Demonstrations" wie ein Blick zurück in eine dunklere Zeit, in der Doherty seine Laune als "sehr ambivalent" beschreibt: große Abenteuerlust in den Nächten, mentale Finsternis tagsüber im Studio. Doherty hinterließ nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in einer Musikerwohnung unterhalb von Johann Scheerers Studio fragile Demos, Scheerer setzte sie behutsam und fein ziseliert in Szene, das Resultat sind elf Stücke, die eben jenen angekaterten Songwriting-Charme verströmen, der bereits Dohertys Solodebüt "Grace/Wastelands" auszeichnete.

Er gibt auch hier den verträumt-poetischen Bohemien, verweist mit dem beschwingten Klavier-Schunkler "Kolly Kibber" auf Graham Greenes Roman "Brighton Rock", tippt in "A Spy In The House Of Love" reichlich plakativ auf der Schreibmaschine herum, nimmt mit "Flags From The Old Regime" auf berückend zarte Weise Abschied von der 2011 an den Folgen ihrer Süchte gestorbenen Neo-Soul-Sängerin Amy Winehouse, mit der er gut befreundet war, und verarbeitet mit "Hell To Pay At The Gates Of Heaven" die Terroranschläge in Paris mittels eines zynisch-besoffenen Honky-Tonks.

Am Ende ist es neben der Vielzahl an Schattierungen zwischen Hell und Dunkel, zwischen melancholischer Süße und waidwunder Bitternis vor allem auch die Spannung zwischen der verlebten Brüchigkeit in Dohertys Stimme und dem Wohlklang der Arrangements, die diese wirklich eindrucksvollen, mitunter bereits vor Jahren geschriebenen Songs auszeichnet. Die Furcht vor dem Busen einer wohlmeinenden Familie mag alsbald in Vergessenheit geraten, diese Songs jedoch, sie werden bleiben.

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