Pop:Vertrackt im Takt

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Daniel Bachmann und Sevi Landolt sind Klaus Johann Grobe. (Foto: Cargo Records)

Kann im Jahr 2016 ein Retro-Pop-Album eigentlich ein gutes Pop-Album sein? Selbstverständlich! Man höre nur das neue Album der Band "Klaus Johann Grobe".

Von Annett Scheffel

Immer wieder taucht es auf, wenn in unserer Post-Millennium-Welt über Popmusik gesprochen wird: dieses kleine, immer ein bisschen miesepetrig gemeinte Wort "retro". Retro ist der endlose Kreislauf popkultureller Vergangenheitsbewältigung, das ewige Nostalgiespektakel, modernes Biedermeier. Schuld daran ist nicht zuletzt Simon Reynolds, der 2011 in seinem Buch "Retromania" die Faszination für die Sounds der vergangenen Pop-Jahrzehnte als fragwürdige, ja beschämende Rückwärtsgewandtheit auslegte. Das Problem ist nur, dass gegen alle Langeweile-Vorwürfe eben auch ein Retro-Album grandiose, mitreißende Musik beinhalten kann. Das galt im vergangenen Jahr etwa für die neue Platte der australischen Neo-Psychedelic-Band Tame Impala. Und es gilt besonders für das zweite Album des Duos mit dem seltsamen Namen: Klaus Johann Grobe. Man denkt dabei an Kaffeeklatsch und Blockflöte und bekommt Krautrock und Disco. Mit guten deutschen Texten.

Man fühlt sich sofort wohl in diesen Songs, als hätte sie jemand auf Körpertemperatur vorgeheizt

Was ihr Retro-Material angeht, gehen die beiden Schweizer Sevi Landolt und Daniel Bachmann auf "Spagat der Liebe" (Cargo Records) aufs Ganze. Alles an dieser Musik verweist auf die Sechziger und Siebziger, auf die Zeit von Spacerock, Funk und Schmuse-Disco. Angefangen beim Sound der analogen Instrumente. Der funkig-jazzige Bass schnurrt weich im Untergeschoss, dazu ein stoischer Beat, Synthesizer-Ornamente, mächtig verhallter Gesang und eine heitere Farfisa-Orgel, deren wundersam wohlig-warmen Klang man von Kraftwerks "Autobahn" oder Jean Michel Jarres "Oxygène" kennt. Alles pulsiert in dieser Musik, und leiert und zirpt und blubbert und dudelt, und zwar immer ganz sachte und geschmeidig.

Man fühlt sich sofort wohl in diesen Liedern, als hätte sie jemand auf Körpertemperatur vorgeheizt. Das liegt aber keineswegs nur am Nostalgieeffekt. Denn nichts an dieser Musik wirkt altbacken: Die Gedanken bleiben immer frei und die Gefühle in Bewegung. Erprobt haben Klaus Johann Grobe das bereits 2014 auf ihrem Debüt "Im Sinne der Zeit", das in ihrer Heimat zwar so gut wie keinen interessierte, in Großbritannien (wo BBC-Legende John Peel besonders gewissenhafte Missionierungsarbeit in Sachen Krautrock leistete) und den USA dafür aber umso mehr.

Mit dem neuen Album gelingt ihnen nun wieder das Kunststück, einen einwandfreien, eskapistischen Seventies-Groove hinzuzaubern und trotzdem frisch und locker zu klingen. Nur noch besser. Und das hat vor allem zwei Gründe: Einerseits besinnen sie sich konsequent auf das alte Krautrock-Prinzip, dass nicht der perfekte Song zählt, sondern das Abheben, das Herumspinnen, der Trip.

Andererseits versteht es die Band aber auch, den nostalgisch-feierlichen Ernst zu brechen mit wunderbar ironisch-schrulligen Texten, die wie ein dadaistisches-postmodernes Gedankenpuzzle irgendwo zwischen Klamauk, zarter Befindlichkeitsdiagnostik und saftiger Schlagerhaftigkeit herumflimmern: "Dann lass uns doch ein Fleisch drauftun. Ein schönes Schnitzel, das wär' doch was. Und dazu all die Bäuche sehen und komische Frisurenpracht", heißt es da zum Beispiel. Oder: "Du willst zurück in deine Welt, doch hinten brennt noch Licht." Oder einfach: "Man taumelt dazu im Takt. Das scheint mir doch gar vertrackt." Wie aus einer anderen Zeit weht diese Sprache in die Gegenwart herüber. Von "Affenzahn" ist da die Rede und von "frohlocken". Und Sänger Sevi Landolt säuselt das unvergleichlich charmant dahin: sehnsüchtig, verschlafen, selbstvergessen näselnd.

Natürlich wäre es ein Leichtes, das alles als aufgeblasene Chanson-Posiererei abzutun, aber dafür ist die Fabulierwut der beiden Schweizer leider viel zu ansteckend. Man merkt dieser ganzen bunten, blumigen, bierseligen Fantasiewelt von "Spagat der Liebe" an, dass hier zwei Menschen wirklich großen, großen Spaß gehabt haben müssen.

"Wir sind durch die Gegend gelaufen im großen Stil. Ohne Wenn und Aber, das war unser Deal", heißt es einmal, und es klingt wie eine Bedienungsanleitung für das ganze Album. Man sieht die beiden Herren geradezu vor sich, wie sie sich ins Fäustchen lachen vor Freude darüber, mit diesem heimeligen Retro-Pop, dieser vermeintlich bloß rückwärts gewandten Musik, den Hörer auf eine kleine irre Entdeckungsreise zu locken.

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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