Pop:Süßer Ekel

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Das Stolpern ist dem Tanzen näher als das Gleiten. Besonders gut lässt sich das am Debüt-Album des britischen Psychedelic-Pop-Duos "Soft Hair" zeigen. Es ist eine ausgeruhte Hommage an die Lächerlichkeit des Schönen.

Von Juliane Liebert

Das Stolpern ist dem Tanzen näher als das Gleiten. Besonders gut lässt sich das am unbetitelten Debüt-Album des britischen Psychedelic-Pop-Duos Soft Hair demonstrieren. Eigentlich braucht man nicht mal das Album, die erste Single, "Lying Has To Stop" und das Video dazu genügen.

In einem ganz mit Alufolie ausgekleideten Raum stehen Sam Eastgate (auch bekannt als Teil von LA Priest und Late Of The Pier) und Connan Mockasin (von Connan Mockasin). Connan in beigen Schlaghosen und einem lilafarbenen bauchfreien Oberteil, Sam in einer ebenfalls verdächtig nach Alufolie aussehenden Hose und einer Art Bademantel. Zu einem Geräusch, halb Synthie, halb Radiergummi, tanzen sie. Wobei man das, was Sam Eastgate tut, wohl nur mit sehr, sehr viel gutem Willen noch als tanzen durchgehen lassen kann. Connans Bewegungen wiederum sehen aus, als knete er einen nicht vorhandenen Kuchenteig. Töpfert er ohne Topf? Oder klatscht er, ohne die leiseste Absicht, die andere Hand zu treffen? Beide sehen dabei lasziv in die Kamera, und Sam Eastgate singt: "You find - there is never any time for babes and wine" und lässt etwas, das aussieht wie ein Mischung aus Birne und Kiwi, fallen. Dann beißt jemand, der aussieht wie der Lichttechniker, in ein Stück Pizza. Über all dem entfaltet sich ein psychedelischer, superweichgewaschener Pop-Song, samt Falsettgesang und einer herzerwärmend eiernden Gitarre. Sogar die Ecken des Video-Bildausschnitts sind abgerundet, damit sich keiner an ihnen stößt.

Was tut der Mann? Klatscht er ohne die leiseste Absicht, die andere Hand zu treffen?

Davon abgesehen, dass sie wirken, als hätten sie einen Heidenspaß gehabt, ist das Gesamtergebnis wirklich erstaunlich irritierend, irgendwie charmant und ziemlich eklig, aber wie alle Dinge, die süß und eigentlich eklig sind, süchtigmachend. Das Artifizielle an Soft Hair erinnert an den französischen Indiepop-Chansonnier Sébastien Tellier. Wobei Soft Hair noch ein bisschen steriler daherkommen, elektronischer. Fast unkörperlich lasziv. Einerseits obertuntig, zugleich völlig asexuell. Auch die Produktion klingt merkwürdig aseptisch, der Gesang zum Teil wie computergeneriert. Und dann gibt's doch wieder eine Gitarre, die eiert wie ein altes Tape.

Aufgenommen haben Soft Air das Album über einen Zeitraum von fünf Jahren, unter anderen in einem alten Fabrikgebäude, in dem es kein fließendes Wasser gab. Das einzige Badezimmer gehörte einer Heavy-Metal-Band, die gegenüber residierte. Deren Banner waren zwei schafköpfige Männer, die sich würgten. Blutüberströmt. Immer wenn Sam sich herüberschlich, um die Toilette zu benutzen, hoffte er, dass sie ihn nicht erwischen würden. Gott sei Dank erwischten sie ihn nie. Nicht, dass sie ihm etwas getan hätten, aber vielleicht hätte die Kollision von Soft Hair und Heavy Metal das Ende von Heavy Metal bedeutet. Wer könnte angesichts solcher Samtigkeit noch länger wütend bleiben?

Soft Hair rühren sich aus all den Fragmenten des androgynen und queeren Stilrepertoires ihre ganz eigene Bonbonpopmasse zusammen. Androgynität ist schon lange ein wichtiges Stilmittel im Pop. Und nicht ungefährlich für den Androgynen: Man denke an Tiny Tim, der auf der Bühne eine Herzattacke erlitt, als er gegen den Willen seiner Ärzte auftrat, oder an Sœur Sourire, die singende Nonne, die sich mit ihrer Geliebten umbrachte, als sie - von der Kirche verstoßen - ihre Schulden nicht bezahlen konnte. In der Welt von Soft Hair ist dagegen alles sicher, es ist eine in sich geschlossene Welt. Und das Album eine ausgeruhte Hommage an die Lächerlichkeit des Schönen. Vor ein paar Wochen wurde in New York ein menschliches Herz in einem Mülleimer gefunden - in einer pinken Box. Soft Hair könnten so ein Herz sein, ein Anachronismus, der vor Kitschigkeit trieft, bezaubernd widerlich. Kein großer Wurf, aber eigenständig und ein bisschen irritierend. Das ist mehr, als man über die meiste Musik zurzeit sagen kann und also ziemlich viel.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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