Pop:Strahlende Maschinen

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Das neue Album des Neo-R'n'B-Tüftlers Christopher Taylor alias "Sohn" stimmt ernsthaft nachdenklich.

Von Martin Pfnür

Man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man dem Protestsong einen zarten Aufwärtstrend bescheinigt. Waren es zuletzt vor allem schwarze amerikanische Musiker wie Kendrick Lamar oder Beyoncé, die im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung für schwarze Belange und somit vor allem gegen Polizeigewalt und soziale Ungleichheit eintraten, so hat sich mit der ersten Veröffentlichungswelle dieses Jahres eine Stimme zur zunehmenden politischen und gesellschaftlichen Spaltung in Europa erhoben, die man eher nicht auf der Rechnung hatte.

Es ist die Stimme des Briten Christopher Taylor alias Sohn, dessen Karriere erst spät durch einen Umzug an Fahrt aufgenommen hat. Taylors Fall ist auch ein Beispiel dafür, wie man der Musikindustrie ein Schnippchen schlägt, indem man einfach den Zahlen folgt. Als sein erstes Soloprojekt "Trouble Over Tokyo" über Jahre in England erfolglos bleibt, zieht Taylor 2010 nach Österreich. Dort hatte er nach einer Tour drei Jahre zuvor ein kleines Label gefunden, dessen Veröffentlichungen auch beim Wiener Alternativ-Radiosender FM 4 gespielt werden. "Wenn du in England nicht sofort Wind unter die Flügel bekommst und zum Hype wirst, kannst du deine Karriere vergessen. Österreich hingegen verfügt über eine sehr gute Infrastruktur für aufstrebende Bands, und man hat auch viel mehr Zeit, sich zu entwickeln", sagte Taylor dem Sender einmal.

Über den Umweg Österreich zum internationalen Erfolg: Christopher Taylor alias "Sohn". (Foto: Phil Knott)

In Wien findet der Brite am Synthesizer auch zu jenem elektronisch geprägten Indie-R 'n' B-Sound, der 2014 sein Debüt "Tremors" zu einem internationalen Erfolg macht, der nicht alle begeistert. Das wichtigste Online-Musikmagazin Pitchfork wirft ihm vor, Musik zu produzieren, die derart schablonenhaft durchgestylt und gefällig sei, dass sie "keine andere Emotion hervorrufe als eine vage Lust darauf, sich mal wieder ein paar richtig teure Schuhe zu kaufen".

Harsche Worte, die allerdings nicht ganz unberechtigt sind. Fehlt der Musik auf "Tremors" doch gerade jener Grad an Abstraktion und Unberechenbarkeit, für den die Kritik etwa James Blake seit jeher rühmt.

Das Album verkauft sich trotzdem - oder gerade deshalb - bestens. Taylor tourt mehrmals um die Welt, nimmt jeden nur erdenklichen Auftrag an, produziert junge Musiker wie die Sängerin Banks oder den Londoner Neo-Soul-Artist Kwabs, remixt Lana Del Rey und zieht nach all dem Rummel schließlich von Wien nach Kalifornien, wo er in einer entlegenen Gegend auch sein neues Album "Rennen" (4 AD) aufnimmt.

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Nun ist die Geschichte, dass ein erfolgreicher Musiker die Abgeschiedenheit sucht, um neue Inspiration zu schöpfen, zwar etwas abgegriffen - im Hinblick auf Taylors Schaffen hat sich der Rückzug dennoch gelohnt. Während sein Songwriting nun auch explizit auf alte Quellen wie den Blues und den Gospel verweist, den er mit dem eröffnenden "Hard Liquor" als strahlende Maschinenmusik zu neuen Ufern führt, will er den Albumtitel nicht nur auf diverse Formen der Lebensbeschleunigung bezogen wissen. "Rennen", das sei hier auch als Fluchtbewegung und als Warnung an jene zu verstehen, die sich offenbar in etwas verrannt haben. In ihre Angst vor dem Fremden zum Beispiel.

"I can feel it coming / we can never go back", singt Taylor also als eine Art Mantra im Stück "Conrad", mit dem er sich in Form apokalyptischer Naturszenarien auf die politische Polarisierung und den offenbar gewordenen Rechtsruck Österreichs im Verlauf der zähen Präsidentschaftswahl zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer bezieht. Das mag nach simpel verdichtetem Fatalismus klingen, und doch lädt sich der Satz über die schiere Perfektion des Stücks mit einer Bedeutung auf, die, wenn schon nicht aufrüttelt, so doch zumindest ernsthaft nachdenklich stimmt. Lust auf neue Schuhe bekommt man dabei jedenfalls nicht.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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