Pop:Schwarze Magie

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Eleganter, mitreißender und präziser lassen sich Pop und Politik nicht versöhnen: Sängerin Beyoncé im Video zu ihrem neuen Song "Formation". (Foto: Beyoncé/YouTube)

Wie es Pop-Superstar Beyoncé gelingt, einen politischen Avantgarde-Popsong mal eben zum Massenereignis zu machen.

Von Jens-Christian Rabe

Über Architektur zu tanzen, ist nicht halb so problematisch, wie über ein Musikvideo zu schreiben. Manchmal muss es aber natürlich trotzdem sein. Der amerikanische Pop-Superstar Beyoncé hat also ein neuen Song samt Video veröffentlicht: "Formation". Keine 24 Stunden übrigens vor ihrem Auftritt in der traditionell gigantomanischen Halbzeit-Show des Endspiels um die amerikanische Football-Meisterschaft im kalifornischen Santa Clara, dem in den USA wahrscheinlich meistbeachteten Pop-Ereignis des Jahres für das weit über 100 Millionen Menschen den Fernseher einschalten. Wirksamer lässt sich ein neuer Song heute kaum lancieren. Vollkommen aus dem Häuschen sind insbesondere die amerikanischen Beobachter aber natürlich nicht allein deshalb.

Es ist vielmehr so, dass Song und Video ungefähr das Gegenteil des Bubblegum-Pops sind, der einem Publikum dieser Größenordnung normalerweise zugemutet werden darf. Die vielen Leute sollen ja nicht vergrault werden von Ansichten, die womöglich nicht ihre eigenen sind, sondern dranbleiben und die Werbung gucken und so weiter. Weshalb eine klassische Grundregel zum Beispiel lautet: lieber mehr Sex als Politik! Am liebsten aber gar keine Politik bei diesem Ereignis, das als eines der letzten fast eine ganze Nation vor dem Fernseher vereint. Eine Nation, deren Diskriminierungsprobleme nach den jüngsten Skandalen um die tödliche Gewalt von weißen Polizisten gegenüber schwarzen Amerikanern, zuletzt so groß wie eh und je erschienen.

Spätestens seit Beyoncé 2014 bei ihrem Auftritt bei den MTV Video Music Awards plötzlich vor dem haushoch leuchtenden Wort "Feminist" auf der Bühne stand, ist allerdings klar, dass ihr die Showbiz-Regeln auch mal ganz egal sein können, weshalb man nun nicht unbedingt völlig überrascht ist. Der Mut und die Konsequenz mit der sie Pop und Politik nun wieder auf der ganz großen Bühne zusammenführt, ist trotzdem ein echtes Ereignis.

Als Song ist "Formation" dabei - mal expliziter, mal impliziter, aber immer fantastisch detailverliebt - nicht nur voller selbstbewusster Statements zum Frau-Sein, Schwarz-Sein, Eine-schwarze-Frau-Sein und Eine-schwarze-Frau-aus dem-Süden-der-USA-Sein: "I like my baby hair / with baby hair and afros / I like my negro nose / with Jackson Five nostrils". Mit Samples der aus New Orleans stammenden queeren Underground-Rapperin Big Freedia ist der Track zudem auch ein eindrucksvoll unmissverständliches Statement gegen genormte Sexualität und die allgemeine Homophobie, nicht zuletzt übrigens auch die der schwarzen Musik. Ganz abgesehen davon, dass "Formation" dem ebenfalls aus New Orleans stammenden rohen Bounce viel verdankt, der wahrscheinlich queersten Variante des Hip-Hop. Die Stimmen, die ganz am Schluss zu hören sind, stammen im Übrigen aus dem gefeierten Doku "Trouble the Water" von Tia Lessin and Carl Deal über New Orleans und die desaströsen Folgen des Hurrikans Katrina für die armen schwarzen Bewohner der Stadt.

Das nicht weniger famose Video, das die griechisch-amerikanische Regisseurin Melina Matsoukas gedreht hat, setzt den politischen Anspielungsreichtum der Musik thematisch dann nahtlos fort. Schauplatz ist selbstverständlich New Orleans, die Stadt, die seit dem Hurrikan das Symbol ist für die systematische Vernachlässigung der schwarzen Bevölkerung durch die amerikanische Politik.

Gezeigt werden Ausschnitte aus der 2013 erschienenen Bounce-Doku "That B.E.A.T." von Abteen Bagheri and Chris Black. Man sieht Aufnahmen des überschwemmten New Orleans. Sämtliche Tänzerinnen tragen ostentativ Afro, also typisch schwarze Frisuren. Und in der zentralen Situation des Videos steht, liegt und sitzt Beyoncé auf einem Auto der New Orleans Police, das mitten in der Überschwemmung feststeckt. Sie sieht der schwarzen Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison ähnlicher als einem Pop-Superstar, wenn sie am Ende mit dem Auto untergeht. Wow. Verstanden?! Und jetzt bitte noch ein bisschen weiter bouncen.

© SZ vom 09.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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