Pop:Retrokolumne

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Die interessantesten Wiederveröffentlichungen der Woche. Diesmal mit dem Debütalbum "Supa Dupa Fly" der Rapperin und Produzentin Missy Elliott und einem Sampler mit der Ashram-Musik, die Alice Coltrane zwischen 1982 und 1995 aufnahm.

Von Jan Kedves

Wie so viele große amerikanische Pop-Geschichten begann auch die Geschichte von Melissa Elliott alias Missy Elliott im Gospelchor in der Kirche um die Ecke. Womit sich wohl erklärt, warum die Rapperin aus Virginia, als sie 1997 mit 25 Jahren auf die Pop-Bühne trat, eben nicht nur rappen, sondern auch mit wärmster Soul-Stimme singen konnte. Heute ist es nichts Besonderes mehr, wenn Rapper singen, die Software Auto-Tune macht's möglich. In fast allen Rap-Hits der jüngeren Vergangenheit, ob nun von Drake oder Future, wurden die gesprochenen Reime via Auto-Tune in Richtung Gesang verschoben. 1997 war es aber eben noch etwas Besonderes, wenn aus dem Mund ein und derselben Person abwechselnd Raps und Melodien kamen. Lauryn Hill von den Fugees, als Kind ebenfalls in Gospel geschult, fing quasi zeitgleich damit an. Wobei Missy Elliott schon damals den eigensinnigeren, umfassenderen Ansatz verfolgte. Ihr Debütalbum "Supa Dupa Fly" steht als Monolith im Regal jener Musik, die sich nicht an einem bestimmten Stil festmachen lässt, dafür aber an einem übergeordneten Konzept: Afrofuturismus. Der Space-Jazz von Sun Ra, der astrale Groove der Platten von Parliament-Funkadelic: Hier wie dort ging es darum, eine neue afroamerikanische Identität zu definieren, die nicht mehr irdisch, also: historisch gebunden ist. So auch bei Missy Elliott, die zwar durchaus alte Song sampelte (wie etwa den Ann-Peebles-Hit "I Can't Stand The Rain"), ansonsten aber via Kleidungsauswahl (Space-Age-Ballons) und Tanzbewegungen (auf gelenkige Weise ungelenk) signalisierte: alles ziemlich alienhaft und ganz schön weit draußen hier. Dazu die synkopisch hochvertrackten Stolper-Beats des Produzenten-Genies Timothy Mosley alias Timbaland, der sich zu Beginn der Stücke meist auch mit seiner merkwürdig onomatopoetischen Trademark "Ficki-ficki" zu Wort meldet. Wie gut dieses Album gealtert ist! Nichts an ihm klingt gestrig. Außer dass es im Song "Beep Me 911" neben Mobiltelefonie (die 1997 ja wirklich noch eine aufregende neue Sache war) auch um die Möglichkeit geht, sich gegenseitig per digitalem Personenrufempfänger, sprich: Pager, anzupiepen. Das macht heute nun wirklich niemand mehr. Das ist aber auch das Einzige. Wunderbar, dass sich dieses Album jetzt noch einmal in Form einer frischen Vinyl-Pressung anhören lässt.

Zum ersten Mal hören kann man indes, dank David Byrnes verdienstvollem Label Luaka Bop, die hochspirituelle Ashram-Musik, die Alice Coltrane zwischen 1982 und 1995 aufnahm. Die Witwe des legendären Jazz-Saxofonisten John Coltrane und Großtante des in Hip-Hop- und Electronica-Kreisen heute sehr gefeierten Produzenten Steven Ellison alias Flying Lotus war - am Klavier und an der Harfe - selbst begnadete Jazz-Musikerin. Geboren als Alice McLeod in Detroit, war sie Ende der Fünfzigerjahre nach Paris gegangen und hatte dort mit Jazz-Größen wie Bud Powell und Kenny Clarke gespielt. In New York lernte sie 1962 im Birdland Club John Coltrane kennen, mit dem sie drei Kinder bekam und ein Interesse an hinduistischer Philosophie teilte. Letzteres intensivierte sich nach Coltranes Tod 1967 und nach weiteren Schicksalsschlägen wie dem tödlichen Autounfall ihres ältesten Sohnes im Jahr 1982. Alice Coltrane nahm den Sanskrit-Namen Turiyasangitatnanda an und leitete nördlich von Los Angeles ihr eigenes hinduistisches Zentrum, das Shanti Anantam Ashram. Dort herrschte, nach allem was man hört, kein problematischer Glückseligkeitszwang. Für die Mitglieder nahm Alice Coltrane, gedacht für interne Zwecke, Audiokassetten mit Eigenkompositionen auf, und diese Ashram-Musik hat es, wie nun auf dem Kompilation-Album "The Ecstatic Music of Alice Coltrane Turiyasangitatnanda" zu hören ist, in sich: Es sind nämlich keine typischen Om- und Shanti-Chöre, wie man sich das vorstellt, sondern Coltrane entwickelte eine hochfaszinierende, eigenwillige Mischung aus schwarzem Gospel, hinduistischen Texten und spacigen Synthesizer-Sounds. Abgedreht, aber auf gute Weise. Coltrane war hörbar fasziniert von den futuristischen Swisch- und Wusch-Klängen des analogen Synthesizers Oberheim OB8, mit dem sie Kompositionen wie "Journey to Satchidananda" gen Himmel schickte. Letztere hätte mit ihrem Gewitterwolkendräuen allerdings auch auf Vangelis' "Blade Runner"-Soundtrack gepasst. Derart musikalisch unterlegt waren auch die wöchentlichen Sendungen, die Coltranes Ashram für das kalifornische Privatkabelnetz KTTV produzierte. Sucht man heute auf Youtube nach Mitschnitten dieser Sendung, "Eternity's Pillar", landet man indes im Kanal "UFO Cult VHS", der auch Videos von Chemtrail-Freaks und allerlei anderen dubiosen New-Age-Quatsch empfiehlt. Gut also, dass die musikalisch so produktiven wie findungsreichen Ashram-Jahre von Alice Coltrane, die 2007 starb, nun als reine Audio-Beglückung verfügbar sind.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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