Pop:Retrokolumne

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Die Wiederveröffentlichungen der Woche. Diesmal mit einer Hommage an Grateful Dead und der Antwort auf die Frage, warum die ewige Retromania ein gutes Zeichen ist.

Von Thomas Bärnthaler

Die kalifornische Hippierockband The Grateful Dead hat sich immer als Generationenprojekt verstanden, als Teil einer Aufbruchsbewegung, die nicht endet, wenn das letzte Solo gespielt, der letzte Refrain gesungen ist. Das Motiv der Vorwärtsbewegung, des Rastlosen zeigt sich nicht nur in ihrer Freude an der ausufernden Improvisation, nicht nur in den vielen, vielen Konzerten - über 3000 sollen es gewesen sein in 30 Jahren - sondern auch in der Fetischisierung der Droge LSD, die in der Geschichte dieser Band und der ganzen kalifornischen Gegenkultur so wirkungsmächtig war. Der LSD-Rausch hieß nicht umsonst Trip, weil er eine Reise war, die das Bewusstsein voranbringen sollte. Weiter, immer weiter. Und sei es das Bewusstsein zukünftiger Zeiten. Jetzt erscheint zum 50. Bandjubiläum mit "Days Of The Dead" eine Tribut-Box, auf der Künstler aus diversen Ecken und Nischen des zeitgenössischen Musikgeschehens auf nicht weniger als fünf CDs Songs der Grateful Dead covern. Initiiert und kuratiert wurde das Unterfangen von Bryce und Aaron Dessen von The National für die New Yorker Red Hot Organisation, die mit solchen Tribute-Alben den Kampf gegen AIDS finanziell unterstützt. Ein gute Sache also, und ein Glücksfall, weil hier Altruismus und große Kunst tatsächlich Hand in Hand gehen. Das fängt schon bei der Umsicht an, nicht nur Hits und Klassiker aneinanderzureihen, sondern auch Abseitiges und weniger Bekanntes zu berücksichtigen. Und dem Ganzen einen roten Faden zu verpassen, der es zusammenhält: Gut die Hälfte der 59 Songs wurden von einer Rumpfband um Mitglieder von The National eingespielt mit wechselnden Gastinterpreten (etwa Lucinda Williams, Bonnie Prince Billy, Jenny Lewis). Was konzeptuell nicht ganz zufällig an "The Last Waltz" erinnert, das berühmte 1976 auf Album und Scorsese-Film gebannte, ebenfalls mit Gaststars gespickte Abschiedskonzert von The Band, den anderen Übervätern der Generation Woodstock. Dazwischen haben so illustre Künstler wie die Transgender-Künstlerin Anohni, Courtney Barnett oder Stephen Malkmus and the Jicks (und viele andere) ihre ganz persönlichen Interpretationen in Eigenregie zugeliefert. Man kann sich also einen schönen sechsstündigen Abend machen, ohne in Nostalgie zu erstarren, denn "Days of the Dead" schafft es mehr zu sein als bloße Hommage. Es enthält natürlich diverse originalgetreue Huldigungen wie Kurt Viles und J. Mascis' Version von "Box of Rain", aber eben auch freie Annäherungen an die wild wuchernden Progrock-Sonaten Jerry Garcias ("Terrapin Station" von Grizzly Bear und The National) sowie kühne Experimente, bei denen kaum ein Baustein des Originals auf dem anderen bleibt ("Clementine Jam" als Afrobeat-Meditation von Orchestra Baobab). Ziemlich erwartbar, aber nicht weniger gelungen, nehmen sich die Beiträge von Bands wie den Flaming Lips, Wilco oder Bill Callahan aus, die hier noch einmal zeigen, dass sie sehr stolz darauf sind, Hippiekinder zu sein. Überraschender ist, dass sich Postpunk-Veteranen wie Lee Ranaldo von Sonic Youth oder Electro-Acts wie Tim Hecker sich als alte Deadheads, wie die Fans der Band traditionell genannt werden, outen. Oder wenn Charles Bradley der Bluegrass-Nummer "Cumberland Blues" von 1972 ein erdiges Neosoul-Kleid verpasst. So ist diese Box zugleich Vermächtnis und Revision. Sie zeigt, 20 Jahre nach dem Tod des Bandgründers Jerry Garcia, dass die Reise der Grateful Dead weitergeht. Wie ein Flashback, das ewig weiterhallt.

Man kann es sich leicht machen und bei jedem weiteren Revival der Sechzigerjahre müder mit den Schultern zucken. Ja, ja, es ist alles schon mal da gewesen. Dabei formuliert die Faszination an der Gründerzeit der Rockmusik nur eine Sehnsucht nach Unschuld und Unbekümmertheit, die jede Generation mit den gleichen Recht für sich neu entdeckt. So wird es womöglich immer sein und so war es auch Ende der Achtzigerjahre als ein gewisser Nick Saloman in London seine Band The Bevis Frond gründete, um fast im Alleingang (er spielte die meisten Instrumente selbst) dem Sound seiner Jugend (er war schon Mitte 30) nachzuspüren, der da war: Starkstromgitarre wie bei Jimi Hendrix und Black Sabbath, der süße Folk der Byrds (und der englischen Canterbury-Szene) und diverse anderen Spielarten progressiver Drogenmusik. Was ihm auch ganz gut gelang. Er hat seitdem mit dem Mut des Überzeugungstäters, dem die Weltenläufte ziemlich egal sind,16 wenig bis kaum beachtete Alben auf seinem eigenen Label herausgebracht. Sein bestes, "New River Head" aus dem Jahre 1991, erschien kürzlich als Neuauflage mit Demo-Versionen und Extrasongs und erfreut auch heute noch dank seines großartigen Songwritings ("He'd Be A Diamond"!) und der Fülle an Zutaten (Celtic Folk, Grunge, Freakrock, Powerpop) mit einem schönen Blick in einen wirklich wunderbaren Privatgarten.

© SZ vom 05.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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