Pop:Pst!

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Bestens gelauntes Biest: Thom Yorke beim Primavera Sound Festival am vergangenen Freitag in Barcelona. (Foto: Primavera Sound Festival/Eric Pamies)

Radiohead spielen in Barcelona ganz gelöst auf. Bliebe nur die Frage: Sind die einst so spröden Briten jetzt auf dem Weg, eine ganz normale Überband zu werden?

Von Torsten Groß

Es passiert ganz zum Schluss. Eben verhallen die letzten Töne von "There There", da legt Thom Yorke die Gitarre weg, tritt ans Mikrofon, nuschelt etwas Unverständliches - und verzieht die Lippen einen ganz kurzen Moment lang zu einem sehr wissenden, deutlich selbstironischen Grinsen. Daraufhin stimmt Jonny Greenwood eine der bekanntesten Akkordfolgen der Neunzigerjahre an, ikonisch für diese Zeit wie sonst nur "Smells Like Teen Spirit" oder "Don't Look Back In Anger". Der Sänger tritt an den Bühnenrand und singt also die Zeilen "When you where here before / Couldn't look you in the eye" aus, genau: "Creep". Jenem Song, der mehr als jeder andere für den frühen Mainstream-Erfolg der Band steht, der insbesondere Thom Yorke später so unangenehm zu sein schien, dass er ihn jahrelang fast verleugnete und konsequent aus den Auftritten seiner Band verbannte. Nun aber animiert der Sänger das Publikum beim Refrain mit ausladender Geste, die Bühne wird in gleißendes Licht getaucht, aus der Ferne sieht man nur noch LED-Blitze zucken.

Es geschahen also seltsame, jedenfalls unerwartete Dinge beim Auftritt der britischen Band Radiohead auf dem Primavera-Sound-Festival in Barcelona am vergangenen Freitagabend, und das nicht nur der letzten Zugabe wegen. Grundsätzlich kann man Radiohead gar nicht genug loben dafür, auf ihren Konzerten immer vor allem das jeweils aktuelle Album in den Mittelpunkt zu rücken. Aber als 2011 das eher sperrige "The King Of Limbs" erschienen war, strapazierten sie ihren Dauer-Feldversuch der stetigen Ausdehnung der Grenzen der Leidensfähigkeit ihres Publikums womöglich allzu arg. Die Band spielte damals auch vor 18 000 Menschen in der Berliner Wuhlheide, wo sie unter Zuhilfenahme von Dubstep- und Jazz-Elementen jeden Ansatz einer Melodie konsequent dekonstruierten. Und Thom Yorke legte später am Abend noch im Berliner Techno-Club Berghain auf.

Das Publikum ist an diesem Abend verkrampfter als die Band selbst

Nun aber ist vor einigen Wochen "A Moon Shaped Pool" erschienen. Das bislang neunte Studioalbum könnte für Radiohead den Beginn einer neuen musikalischen Phase sein. Es ist ein bisschen schade, dass Thom Yorke ausgerechnet zu diesem Werk keine Interviews gibt, aber eigentlich ist es auch egal: Das Grinsen von Barcelona sagt mehr als tausend Worte.

Radiohead sind 2016 wieder ein musikalisches Kollektiv, in dem jedes Mitglied seinen Platz hat, nachdem man sich in früheren Jahren bisweilen fragte, worin genau der Beitrag etwa von Gitarrist Ed O'Brien oder Schlagzeuger Philip Selway überhaupt noch bestand. Folgerichtig beginnt der Primavera-Auftritt mit nicht weniger als fünf Songs aus "A Moon Shaped Pool", die die 50 000 selbstverständlich alle bereits Wort für Wort mitsingen können.

Die Veteranen unter den Fans sind aus Griechenland und England gekommen, aus Dänemark und Deutschland und sogar aus Australien. Sie begleiten die Tournee dieser Band. In den nächsten Wochen werden sie in Lissabon sein, in New York und in St. Gallen, Tokio und Mexiko City. Denn so ist das inzwischen bei Festivals: Eine einzige Band wie Radiohead kann den Erfolg der gesamten Veranstaltung sichern. Das gilt erst recht für das seit 2001 in Barcelona ausgetragene Primavera Sound Festival, eine Großveranstaltung, wie es sie kein zweites Mal gibt in Europa. Von Venom bis John Carpenter, von Brian Wilson bis zu der afrikanischen Gruppe Mbonwana Star, von Kamasi Washington bis PJ Harvey reicht das Programm. Und hinter der Bühne ist das Meer, und die Sonne scheint fast immer.

Das Radiohead-Publikum ist hier heute nur zu Gast, ein mit Tagestickets ausgestatteter Fremdkörper und so besonders wie die Band, die es verehrt. Zwar gibt es Festival-Rituale wie stetiges Klatschen knapp neben dem Takt und eifriges Mitsingen aufgeführt, aber wer auf die Toilette muss oder sich erdreistet, zu sprechen, wird mit mahnenden Blicken und einem lautem Pst! aus Dutzenden Mündern bestraft. Man traut sich nicht mal zu husten, was allerdings auch daran liegt, dass Radiohead aus unerfindlichen Gründen leiser sind als alle anderen Bands des Wochenendes.

Und so ist das Publikum also verkrampfter als die Band selbst an diesem Abend. Thom Yorke - ganz in schwarz, Rassel in der Hand - tanzt befreit wie ein Derwisch über die Bühne, für den Klang-Alchemisten Jonny Greenwood bräuchte man eigentlich immer eine eigene Kamera, die zeigt, wie er mit manischem Blick und wirrem Haar von einer technischen Apparatur zur anderen springt, von einem Instrument zum nächsten. Die Band lacht, wirkt gelöst, und spielt neben "Creep" noch "Karma Police", "No Surprises", "Everything In It's Right Place", "There There", "Paranoid Android" - für Radiohead-Verhältnisse war es also eine Greatest-Hits-Show.

Was natürlich zu der Frage führt, ob Radiohead nun eine ganz normale Band geworden sind. Eine, die wie alle anderen den eigenen Katalog verwaltet, den einfachen Weg geht, in die Musealisierungs- und Backkatalog-Verwaltungsphase der Karriere eingetreten ist. Natürlich nicht. Auch das neue Album wurde ohne große Ankündigung von einem Tag auf den anderen im Internet veröffentlicht, eine Strategie, derer sich Radiohead bedienen, seit ihr Vertrag mit dem ehemaligen Branchenmulti EMI ausgelaufen ist.

Eine Korrektur aber haben sie vorgenommen. Die mangelnde Souveränität im Umgang mit dem eigenen Katalog wirkte bei dieser Band oft biestig, denn natürlich sind die großen Erfolge der Neunziger die Basis für alles, was danach kam. Insofern ist es ein schönes Gefühl, Thom Yorke dabei zu beobachten, wie er sich in Barcelona einfach nur freut, die Menschen glücklich gemacht zu haben, die ihm seit über zwanzig Jahren folgen.

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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