Pop:Kontrollierte Karthasis

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Das neue Album "Puberty 2" der amerikanischen Indie-Rock-Sängerin Mitski Miyawaki alias Mitski und die Antwort auf die Frage, wie groß eigentlich das ewig lockende Schmerzpotenzial des Glücks sein kann.

Von Meredith Haaf

So richtig schön ist es ja nicht, Anfang zwanzig zu sein. Das fällt einem, der schon eine Weile nicht mehr Anfang zwanzig ist, sofort wieder ein, wenn man "Puberty 2" (Dead Oceans) hört, das neue Album der japanisch-amerikanischen Sängerin Mitski. Irgendwie muss man da plötzlich in die Welt finden und für sich leben, die Sache mit den Typen hinbekommen und sich hinaustrauen aus den Beschränkungen der Jugend, bevor einen schon wieder die Beschränkungen des Erwachsenenlebens einholen. Anstrengend. Haben das Wollen und das Sehnen und das Erleben und das Erleiden im Leben jemals sonst eine so irre Dringlichkeit? Gibt es eine andere Zeit, in der Selbstachtung und Selbstverachtung so nahe beieinanderliegen, in der das größte Glück sich so oft anfühlt wie der erste Schritt durch das Tor der Verzweiflung?

Hegt die Vorstellung, hinter dem Glück, das man hat, lauere schon das nächste, das man will: Mitski Miyawaki alias Mitski. (Foto: Ebru Yildiz/Dead Oceans)

Mitski, die mit vollem Namen Mitski Miyawaki heißt, ist 25 Jahre alt, sie spielt Gitarre, und weil ihre Eltern regelmäßig umziehen mussten, lebt sie erst seit etwa zehn Jahren in Amerika. Tatsächlich ist "Puberty 2" ihr viertes Album und während Mitski auch schon mit dem Vorgängeralbum in informierten Kreisen eine gewisse Bekanntheit erlangte, wird sie inzwischen auch in amerikanischen Mainstream-Medien als eine Art Indie-Rock-Zaubermeisterin gefeiert. Der Mitski-Sound ist zugleich ambivalent, zurückhaltend und extrem kraftvoll. Der Sound ist verbindlich und rau, konventionell schön und doch immer auch leicht verstörend. Mitski macht Musik, die man sehr gut alleine hören kann. Aber ob man unbedingt alleine mit ihr in einem Zimmer sitzen wollen würde, ist nicht so klar, denn unter heftig läuft hier nichts. Die Texte sind leicht zu dechiffrieren und reihen sich in die Tradition der Texte von nordamerikanischen Intensitäts-Bardinnen wie Alanis Morissette, Fiona Apple, Neko Case oder St. Vincent ein.

"Wenn du weg bist, werde ich mein Herz nicht mehr benutzen können."

Gleich der erste Song "Happy" ist ein Paradebeispiel. Ganz leise, fast wackelig geht es da los: "Happy came to visit me / he bought cookies along the way". Ein Saxofonsolo sorgt für einen kurzen Durchatmer, und dann geht es zielstrebig mit einem Crescendo hinein in das postadoleszente Gefühlschaos, dieses "Happy" wird nur noch angeschrien: Wenn du gehst, dann nimm den Zug, damit ich ihn rollen hören kann, wenn du weg bist, werde ich mein Herz nicht mehr benutzen können. Das unerträgliche Schmerzpotenzial des Glücks ist Mitskis Thema - die Suche danach, die Erwartungen daran, die Vorstellung, hinter dem Glück, das man hat, lauere schon das nächste, das man will - "Crack baby, you don't know what you want / But you know that you want it" - heißt es in einem anderen Song. Einerseits ist das genauso millennialhaft selbstbezüglich und schlecht gelaunt, wie es klingt: Selbst die tanzbarsten Songs handeln hier von einer "Liebe, die einen ganz allein lässt". Und manchmal klingt Mitski auch ganz konventionell gestresst, wie in dem runtergeschrubbten Zweiminüter "My Body Is Made Of Crushed Stars", in dem sie sich die ganze Last der ambitionierten Jugend von der Seele brüllt: "I wanna see the whole world / I don't know how I'm gonna pay the rent". Ja, das ist schwierig. Aber genau so ist es eben 25 zu sein, und eigentlich war es das vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren ja auch.

Traurigkeit ist ein Gefängnis, in dem man sich auch ganz wohnlich einrichten kann

Und so ist es dann doch ganz zauberhaft, was Mitski da macht: Mit ihrer wirklich wunderschönen Stimme, die jede Facette des Fühlbaren zum Klingen bringt, besingt sie die Traurigkeit als ein Gefängnis, in dem man es sich auch ganz wohnlich einrichten kann.

Die Single "Your Best American Girl" wiederum, die von der unglücklichen Liebe zwischen zwei Fremden handelt, fängt verzagt an und mündet in eine kontrollierte Katharsis. Auch wer seine zweite Pubertät längst hinter sich hat, wird sich dabei daran erinnern, dass es eine Zeit in seinem Leben gegeben hat, in der nichts so schwer fiel wie Resignation. Und es wird ihn daran erinnern, wie wichtig die richtige Musik sein kann.

© SZ vom 15.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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