Pop:Im Zweifel für die Schönheit

Lesezeit: 2 min

"Painted Ruins": Das neue Album der US-Indie-Band "Grizzly Bear".

Von Martin Pfnür

Knapp zwei Wochen nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten machte Ed Droste seinem Zorn und seinen Zukunftsängsten als schwuler Mann in den USA mit gewaltigem Furor Luft . "Freut ihr euch auch schon so auf Thanksgiving?", fragte er in einem offenen Brief, den er auf der Facebook-Seite seiner Band Grizzly Bear veröffentlichte. "So viel leckeres Essen! Yay! Yummmmm!", fügte er an, um dann einen Bogen zu spannen von der Enteignung und Ermordung der indianischen Ureinwohner Amerikas zum Status Quo eines "fucked up racist country". Einem Land, in dem rechtsradikale Gruppen wieder offen die Überlegenheit der Weißen gegenüber anderen Bürgern propagieren.

"Ich komme einfach nicht mit Weißen klar, die sich 'marginalisiert' fühlen und deshalb einen Reality-TV-Star wählen, der vom Ku-Klux-Klan unterstützt wird und offen Hass und Misstrauen schürt", schrieb Droste. "Dieses Land ist auf Blut gebaut, und ihr ganzen Make-America-Great-Again-Idioten träumt euch in eine alte Fiktion zurück, die einen riesigen Rückschritt für unsere Entwicklung bedeutet!"

Gut neun Monate ist dieser Brandbrief des glühenden Bernie-Sanders-Verehrers jetzt alt. Er entstammt damit einer Zeit, in der sich Grizzly Bear mitten in den Aufnahmen zu ihrem neuen Album befanden, was natürlich die Frage aufwirft, wie viel von dieser Wut sich nun darauf wiederfindet. Die simple Antwort: rein gar nichts. Vielmehr geriet "Painted Ruins" (RCA Records/Sony Music), der Nachfolger des feinen "Shields" von 2012, zu einem Album, auf dem sich Grizzly Bear textlich von ihrer gewohnt kryptischen Seite zeigen. Die Klangsprache der Songs ist allerdings nun von einer Wärme geprägt, die man in dieser Konsequenz noch nicht von ihnen kannte.

Gewohnt kryptisch, aber diesmal mit mehr Wärme: Grizzly Bear. (Foto: Tom Hines)

Was jedoch nicht heißt, dass das in Brooklyn gegründete Indie-Rock-Quartett auch nur einen Deut seiner Versponnenheit, seiner Produktionsverliebtheit und seines experimentellen Ansatzes zwischen jazzigen, folkigen und kammerpoppigen Anteilen eingebüßt hätte. So drängen die ebenso fordernden wie großartigen Stücke der beiden Hauptsongschreiber Ed Droste und Daniel Rossen nach wie vor fern jeder Strophe-Refrain-Strophe-Struktur ins Offene, ohne dabei ins Jammige zu kippen. Stets vermitteln sie einem in ihrer Songwriting-Akrobatik zwischen sphärischer Anbahnung und kraftvoller Entladung das Gefühl, dass hier zu jeder Zeit alles passieren kann. "It's chaos / but it works", singt Rossen einmal - das Chaos funktioniert reibungslos.

Und doch ist da eben auch diese geschmeidige, ja eskapistische Grundstimmung, die sich auf eine Weise durch "Painted Ruins" zieht, dass man - wären es nicht Grizzly Bear, die hier am Werk sind - fast schon von "Zugänglichkeit" sprechen könnte. Der Eröffnungssong "Wasted Acres" schwebt auf zirpenden Synthies und süßen Klarinettenklängen heran, mutiert dann jedoch zu einer Art Trip-Hop 2.0; "Four Cypresses" bezirzt mit verhallten Surfgitarren und gebrochenen Schachtel-Rhythmen, während im wuchtigen "Three Rings" und in der fein gepickten Melancholie von "Neighbors" der herrliche Schmelz in Drostes Stimme voll zur Geltung kommt, und ein Stück wie "Mourning Sound" in seiner relativen Griffigkeit Erinnerungen an das längst in den Indie-Kanon eingegangene Album "Veckatimest" weckt.

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Angesprochen auf den apolitischen Charakter des Albums, gab das Bandmitglied Chris Taylor in einem Interview übrigens folgende Auskunft: "Man muss dem ganzen Wahnsinn irgendeine Form von positiver Energie entgegensetzen. Wenn du all das Schreckliche einfach nur absorbierst, wirst du davon aufgefressen." Wo andere, wie zuletzt etwa Roger Waters, den Windmühlenkampf gegen Donald Trump im Vorschlaghammermodus ausfechten, suchen Grizzly Bear also Erlösung in der Schönheit, trennen dabei das Künstlerische vom Politischen und bewahren sich so auch ihre Subtilität. Gesagt war ja ohnehin schon alles.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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