Pop:Hinds machen Schluss mit den Männern

Lesezeit: 3 min

Erst Madrid, dann die Welt: Hinds sind (v.l.n.r.) Ade Martín, Amber Grimbergen, Ana García Perrote und Carlotta Cosials. (Foto: Salva Lopez)

Wie vier junge Frauen aus Madrid den Indie-Rock retten.

Von Julian Dörr

Es dauert bis kurz vor Schluss, aber dann ist er da, dieser eine Moment. In dem alles Sinn ergibt und der doch gleich wieder in sich zusammenfällt. Carlotta Cosials und Ade Martín stehen am Bühnenrand, Gitarre und Bass wiegen sich gleichförmig hin und her - in dieser dämlichen Rocker-Buddy-Geste. Dann springt die Sängerin und Gitarristin plötzlich davon, das Tempo zieht an und Cosials wirft sich in ein Solo, das als wunderbarer Düdel-Pop beginnt und sich hinten raus mit viel Staub durch den Indie-Rock der Neunziger sägt.

Carlotta Cosials und ihre Band Hinds schaukeln, grinsen und schreien sich an diesem Abend durch ein Dutzend holprig-verschrammelter Songs. Zwei Stimmen, zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug - eigentlich die klassische Rock-Besetzung. Und doch werfen die vier jungen Frauen aus Madrid etwas von der Bühne in die Welt, das aus mehr besteht als vernuscheltem Gesang und lässig runtergeschrubbten Gitarrenakkorden.

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Anfang Januar haben Hinds ihr Debütalbum "Leave Me Alone" veröffentlicht und touren nun um die Welt. Abend für Abend feiern Carlotta Cosials, Ana García Perrote, Ade Martín und Amber Grimbergen scheppernde Garagenpartys aus Rotz und Pop. In Clubs, in denen sonst meist weiße junge Männer auf der Bühne stehen.

Indie-Rock ist in eine Spirale der Langeweile gestürzt

Und weil weiße junge Männer die Musik von weißen jungen Männern und manchmal auch die Musik von weißen mittelalten bis alten Männern spielen, ist vor allem der Indie-Rock in den vergangenen Jahren in eine Spirale der Langeweile gestürzt. Wirklich spannend, zeitgeistig und relevant waren die anderen - im Hiphop, im R'n'B, in der elektronischen Musik.

Ein guter Zeitpunkt also für eine Band wie Hinds. Ja, Hinds sind eine All-Girl-Band. Und das ist Lösung und Problem zugleich. Kein Text, auch dieser nicht, kommt aus, ohne das Geschlecht der Bandmitglieder zu betonen. Die Musik geht in der Reduktion auf den Exotenstatus oft verloren. Eine Girl-Band im Jahr 2016 - immer noch ein Kuriosum. Liest man über Hinds, liest man auch immer von ihrem herrlichen Dilettantismus. Dass sie angeblich keinen Song zweimal gleich spielen könnten. Nun ist die Sache mit dem Dilettantismus in diesem Fall ja auch nur eine Fußfessel des Patriarchats. Schau dir die süßen Mädchen an, wie sie versuchen, Gitarre zu spielen.

Doch welche Tricks können vier junge Frauen dem alten Affen Rock'n'Roll noch beibringen? "I want you to call me by my name when I am lying on your bed", singt das Songwriter-Duo Cosials/Perrote in "Bamboo" und das muss man sich musikalisch und lyrisch als Emanzipation von "Under My Thumb" vorstellen, der alten Wer-hat-hier-die-Hosen-an-Nummer der Stones. Savages, die andere wichtige Frauenband dieses Winters, haben gerade ein bretthartes Album über die Liebe geschrieben. Und die düstere, laute und grüblerisch-brodelnde Platte "Adore Life" genannt. "Leave Me Alone" von Hinds funktioniert ohne ironische Brechung. Sein Herz auf der Zunge tragen nennt man das in bestem Floskel-Deutsch. Belanglos, sagen die einen. Wirklich frei, sagen die anderen.

Die Band hat ein Motto: unser Scheiß, unsere Regeln

Frauen-Ikonen von Taylor Swift bis Beyoncé fehle der Mut zum Unperfekten, sagt Gitarristin Perrote. "Manchmal fühlen wir uns wie die ersten echten Mädchen des 21. Jahrhunderts. Wir essen, trinken, schreien, fühlen uns frei." Anfang der Neunziger gab es Frauen, die aßen, tranken, schrien und sich frei fühlten. Die Riot grrrls waren Hardcore-Punks und sie waren Feministinnen. Kathleen Hanna und ihre Band Bikini Kill feuerten damals ihre Probleme mit dem Patriarchat und der Rolle der Frau hinaus in die Welt - in rohen, wütenden Drei-Minuten-Gewittern. Hinds sind poppige Wiedergängerinnen dieser Bewegung, wenn auch wider Willen. "Es war nicht unser Ziel, für die Rolle der Frau zu kämpfen. Aber wir wussten auch nicht, wie hart es werden würde. Jede von uns wurde in unserer kurzen Karriere schon persönlich angegriffen."

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Hinds haben mit den Idioten da draußen nicht gerechnet - aber sie wehren sich. In Turin ließen sie ein paar pöbelnde Jungs nach sexistischen Witzchen aus dem Club werfen. Mädchen mucken nicht auf - mit diesem Klischee muss Schluss sein. Auch weil es Hinds deshalb beinahe nicht gegeben hätte: Cosials und Perrote trafen sich zum ersten Mal im Band-Proberaum ihrer damaligen Freunde. Sie schauten ihren Männern zu. Selbst nach den Gitarren zu greifen, auf diese Idee kamen sie erst später.

Inzwischen hat sich die Band ein Motto gegeben: Nuestras mierdas, nuestras reglas - unser Scheiß, unsere Regeln. "Wir sind Mädchen, die so spielen, wie sie es wollen", sagt Perrote. "Das ist verrückt. Und das sollte es nicht sein. Wir ändern die Regeln, einfach indem wir weitermachen." Das mag naiv klingen. Aber was für eine anti-rockistische und angenehm testosteronarme Idee ist das bitte?

Dieser eine Moment kurz vor Schluss: Carlotta Cosials sägt durch ihr Solo - zuckersüß zerhackt. Alles scheppert, klappert und zerfällt. Die Gitarristin grinst. Das hat nichts mit Authentizität zu tun, dieser grausligen und inhaltsleeren Pop-Diskurs-Vokabel. In diesen runtergeschrubbten Gitarrenakkorden, in diesem vernuschelten Gesang, in diesen windschiefen Songs, da ist nichts als Leidenschaft. Eine Leidenschaft und Dringlichkeit, die nur jemand entwickeln kann, den man lange nicht beachtet hat. Als junger Mensch in Spanien. Als junge Frau im Pop. Bassistin Ade Martín sagt: "Dem männlichen Rock'n'Roll haben wir lange genug zugehört."

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