Pop:Herr der Sinuswellen

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(Foto: N/A)

Jean-Michel Jarre - das war mal Avantgarde. Der hat einst die spröde Klangwelt der Sinuswellen in Popmusik verwandelt! Und jetzt?!?

Von Andrian Kreye

Mitte der Siebzigerjahre war das Album "Oxygène" des französischen Synthesizerspielers Jean-Michel Jarre die Elektro- Alternative für alle, denen Kraftwerk zu kalt und Tangerine Dream zu anstrengend war. Der IV. Satz des sechsteiligen Instrumentalsuitenwerkes (Synthiespieler fühlten sich damals noch als Erben Karlheinz Stockhausens) war sogar ein Hit. Es gibt also eine lange Vorgeschichte zum neuen Album, das Jarre "Electronica 1: The Time Machine" (Sony) genannt hat, was man auch mit "Wer hat's erfunden?" übersetzen könnte. Die CD besteht jedenfalls aus 16 Duetten, von denen er die meisten mit musikalischen Nachfahren wie den Landsleuten von Air und M83 eingespielt hat, oder den Besserverdienern der DJ-Generation wie Armin van Buuren und Boys Noize, die allerdings nur Effekte zuliefern dürfen.

Giorgio Moroder hatte Anfang des vergangenen Sommers ein ähnliches Album herausgebracht, auf dem er mit vielen jungen Leuten (Sia, Kiley, Britney) Musik für junge Leute spielte. Das tauchte dann erstaunlicherweise nie in den Charts auf, obwohl er im Gegensatz zu Jarre von den derzeit jungen Leuten ja wirklich als Urvater des Elektropop vergöttert wird und das streckenweise sogar ein bisschen so klang, wie Musik im Radio derzeit zu klingen hat.

Jarre sucht den Anschluss erst gar nicht. Stücke mit Titeln wie "Glory" oder "Conquistador" sind Aufwallungen jener Sorte musikalischen Pathos, mit denen man sehr gut Olympiaden eröffnen kann. Hin und wieder lässt er sich zwar auf Experimente ein. Allerdings bestätigen "Watching You" mit Massive Attack und "Rely On Me" mit Laurie Anderson eher das Vorurteil, dass die Elektronikavantgarde von einst der Datenmüll von heute ist.

Warum aber scheitern ausgerechnet die Elektronikmeister an der Gegenwart, die es einst schafften, die ungewohnte Klangwelt der Sinuswellen aus der Nische der Avantgarde zu holen und die Hörgewohnheiten des Pop für immer zu verändern? Weil nichts so schnell veraltet wie elektronische Klänge. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass auch Hörgewohnheiten zur Altersfrage werden. Moroder hat Glück - sein Sound wirkt nostalgisch. Jarre hat Pech - sein symphonischer Ansatz fällt nur unangenehm aus der Zeit.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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