Pop:Ausweglos

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Jack White beginnt hier mit den Songs zu sprechen, die er selbst geschrieben hat. (Foto: Mary Ellen Matthews/Third Man)

Im Dialog mit den Geistern seiner musikalischen Vorfahren: Jack White, der Pate des modernen Indie-Bluesrock, hat seine Akustik-Songs neu zusammengestellt. Als rede er alleine mit sich selbst im Dunkeln - das ist Blues.

Von Joachim Hentschel

Als der rothaarige amerikanische Talkmaster Conan O'Brien seine Late-Night-Show noch beim Sender NBC moderierte - da gab es im Studio eine Musikbühne, die wie das Innere einer alten Jukebox aussah. Viele grandiose Künstler traten hier auf, ebenso viele grässliche, und im Frühjahr 2003 war das Duo The White Stripes dran. Jack und Meg White aus Detroit, damals das hochheilige Paar des Neo-Garagenrock. Sie waren jung, auf ganz vorbildliche Art zerstrubbelt, bunt und cool. Also ließ die Redaktion sie eine Fernsehwoche lang jeden Abend spielen.

Und während die Musik in O'Briens Late-Night-Jukebox sonst oft mit der tödlichen Präzision eines CD-Laufwerks rotierte: Die White Stripes schlingerten stark. Natürlich war das einkalkuliert, als Einbruch des Authentischen in den perfekten Plan - aber trotzdem: Noch heute hat man beim Anschauen der Mitschnitte das Gefühl, dass die Aufführungspraxis näher am ernsthaften technischen Scheitern vorbeischrammte, als es dem furchtlosesten Produktionsassistenten lieb sein konnte.

Zuletzt war der Mann eher der Typ, der sich mit Satans Schweif den Rotz abwischt

In einer Folge der Show spielen die White Stripes "Let's Build A Home", eine eitrig entzündete Heavy-Rock-Etüde. Jack als roter Kobold mit Gitarre, Meg als bösartige Schokoladentante am Schlagzeug. Es ist wahnsinnig laut, die zwei halten Blickkontakt, als wäre gar kein Publikum da. Plötzlich schreitet Jack White von der Bühne herunter. Brettert die Gitarre auf O'Briens Moderationstisch, spielt sie wie eine Zither. Verheddert sich dann mit dem Fuß im Kabel, reißt es dabei aus dem Instrument, killt den Song. Und brüllt trotzdem einfach weiter, denn das Schlagzeug bumpert ja noch wie ein Holzfällerinnenherz: "John The Revelator", ein paar Zeilen aus dem alten Gospelsong, den die Bluessänger Blind Willie Johnson und Son House mit ihren Versionen bekannt gemacht haben. Dann wirft Jack White auch das Mikrofon weg, und erst dann ist die Musik wirklich vorbei.

Wobei man eher das Gefühl hat: Sie ist noch immer da. Man kann sie bloß nicht mehr auf konventionelle Art hören.

Heute, 13 Jahre später, weiß niemand, was aus der Schlagzeugerin Meg White geworden ist. Jack, inzwischen 41, hat sich vom Babyspeck-Kasper zum leicht schaurigen Gutsbesitzertypen gewandelt - und die popkulturelle Außenseitermission, mit der er damals allein und irre losgelaufen war, hat er zu großen Teilen erfüllt. Seine demonstrative Liebe zur ganz alten Mode der amerikanischen Musik - zum Delta Blues und zur Mountain Music, zum analogen Tonbandmitschnitt, zu Originalbau-Instrumenten und dem Prinzip der selbstauferlegten Beschränkung - verhalf ihm zu elf Grammy-Auszeichnungen. Er baute in Nashville ein kleines Studio- und Firmenimperium namens Third Man Records auf, wird als Mäzen geschätzt, der historische Musikdokumente und verschollene, aber noch lebendige Altkünstler aufspürt. Außerdem hält er seltsame Rekorde: Sein Soloalbum "Lazaretto" war 2014 mit 87 000 allein in den USA verkauften Vinylexemplaren die erfolgreichste Schallplatte seit, ähem: 1991.

Woher das alles so genau kommt, ob vom populären Eskapismus, von den Universalien der sogenannten Hipsterkultur oder am Ende halt doch wieder nur vom 11. September, bleibt soziologische Spekulation, zumindest bis zur nächststeileren These. Als eine Art Meilenstein hat Jack White nun jedenfalls das Doppelalbum "Acoustic Recordings 1998 - 2016" (Third Man/Beggars) herausgebracht, eine Zusammenstellung von 26 Stücken aus seiner gesamten Karriere als Bandmitglied und Solokünstler. Auswahlprinzip: nur Lieder, die mit rein akustischen Instrumenten aufgenommen wurden.

Wie immer ist das ein schönes Artefakt mit Begleitbuch und nachdenklichen Schwarzweißfotos - als Schallplatte in so geruchsstarker Dickpappe, dass man beim Hören von Whites oft altertümlichen Kompositionen herrlich den Muff der Jahrzehnte inhalieren kann. Und sich dabei die Frage stellen darf, wie abgrundtief sinnlos eine solche Jack-White-Compilation möglicherweise ist, wenn sie wohlfeil das Elektrische weglässt.

Denn bei allem Gerede von Blues, Wurzelpflege und Zivilisationskritik, bei aller Selbstverankerung in der unzeitgemäßen Tradition verrät Jack Whites Persona ja immer auch einen anderen, genau so dringlichen Antrieb: ein absolut zeitgemäßer, diesseitiger Popstar zu sein. Ein bis zum Anschlag aufgedrehter Typ, der die Vision aus dem Jungszimmerspiegel lebt, der sich die Selbstbestätigung von außen holt, sich mit Satans Schweif den Rotz abwischt und zum Schluss das Model kriegt. Der auf einer brennenden E-Gitarre das Riff erfindet, das später die Fankurven nachsingen, in den Weiten der WM-Stadien.

Natürlich ist auch diese Motivation völlig redlich, eine zentrale Schlagader des Pop. Sie ist allerdings auch der Grund, warum Jack White - der oft so eitel und ironieunfähig wirkt - von vielen verachtet wird. Außerdem liegt der besagte Popstar-Antrieb ausgerechnet den Charakteren völlig fern, die Jack White immer wieder als seine größten Vorbilder angibt, den oft bemühten Bluessängern, Son House, Blind Willie McTell oder Leadbelly.

Deshalb ist genau die am Anfang beschriebene TV-Szene so aufschlussreich: weil wir hier Zeugen des Übergangs werden. Weil plötzlich das Kabel aus der Gitarre reißt und der Popstar Jack White gewissermaßen in die viel transzendentere Sphäre des Blues hinübergleitet.

Und das "Acoustic Recordings"-Album, so unnötig und unmotiviert es auf den ersten Blick erscheint, ist das Pendant dazu. Es eröffnet einen Raum, zirkelt ein Feld ab, das in Whites Werk bislang nur theoretisch existierte. Wenn der Rockaffe mal nicht dazwischenspringt, wenn man die flach geatmete Fingerpicking-Ballade "As Ugly As I Seem", das vom Barpiano tranig vorangetretene Klagelied "Honey, We Can't Afford To Look This Cheap" und den blutigen Bluegrass "Carolina Drama" (gefiedelt von Whites Zweitband The Raconteurs) in Reihe hört - dann fällt einem zum ersten Mal auf, wie Jack White hier plötzlich in Dialog mit den Geistern tritt. Den Geistern der musikalischen Vorfahren, seinen eigenen Geistern. Wie er beginnt, mit den Songs zu sprechen, die er selbst geschrieben hat. Und dann glaubt man plötzlich, aus dem Rauschen der Plattenrillen die Antworten zu hören, die vermutlich gar nicht da sind.

In seinem Aufsatz "Richard Wright's Blues" von 1945 erklärt der afroamerikanische Schriftsteller Ralph Ellison die Funktionsweise des Blues ungefähr so: Wer die passende, tragikomische Stimme für ihn findet und sich damit die eigene Schmerzerfahrung präsent hält - der kann sich durch diesen performativen Akt der eigenen Existenz vergewissern. Um diese Definition praktisch aufzubrechen, muss man eigentlich nur "You've Got Her In Your Pocket" hören, technisch ein Stück der White Stripes, auf dem man allerdings nur Jack White hört. Er begleitet sich auf der Gitarre, singt mit sonderbar bröckelnder Stimme, Strophen über eine ausweglos zerfahrene Liebe, zu wem auch immer. Er ist offenbar weit vom Mikrofon entfernt, wird immer leiser. Er klingt, als habe er Angst. Doch er macht weiter.

Und irgendwann kapiert man dann beim Zuhören, dass Jack White dieses Lied ausschließlich sich selbst zusingt. Wie einer, der allein im Dunkeln redet, um sich weniger zu fürchten. Hier ist er. Das ist der Blues.

© SZ vom 17.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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