Politische Satire in Ägypten:Tanz auf roter Linie

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Die politische Karikatur erlebt in Ägypten eine Renaissance. Lange waren dort Persiflagen stark reglementiert und Zeichner bewegten sich stets auf einer roten LInie zwischen Erlaubnis und Verbot - bis zum Sturz des Mubarak-Regimes. Eine Ausstellung in ägyptischen Fayoum zeigt nun Karikaturen, die vor und während dem Umsturz entstanden sind.

Christiane Schlötzer

Der Beruf des Zahnarzts scheint in Ägypten eine Profession zu sein, die weit über das Profane hinaus zu tiefschürfenden Erkenntnissen führt. Der Bestsellerautor und scharfzüngige Gesellschaftskritiker Alaa al-Aswani führt in Kairo immer noch eine Zahnarztpraxis, wo er erfährt, was der Volksmund spricht. Aswanis Romane galten schon vor der Revolution als eine Art aktuelle Geschichtsschreibung.

"Eine Hochzeit auf dem Tahir-Platz" in einem etwas anderem Hochzeitsauto. "Tahrir wedding" von Qndel (Foto: Fayoum Art Center)

Auch der virtuose ägyptische Karikaturist Sherif Arafa kann einen Zahnarztbohrer bedienen. Arafa und seine Künstler-Kollegen waren es lange Zeit gewohnt, Brotberufen nachzugehen, weil den kreativen Freiheiten in den 30 Jahren der Mubarak-Ära enge Grenzen gesetzt waren.

Der Herrscher war als Objekt von Satire und Kritik ebenso tabu wie die Religion. Arafa, der zu Mubarak-Zeiten für eine staatliche Zeitung zeichnete, probierte seine Spottlust zwar regelmäßig am Präsidenten aus. Doch schloss er die Blätter stets weg, unauffindbar für die Staatssicherheit. Das machte Arafa auch mit seinen persönlichen Neujahrskarten, die er gern mit "unmöglichen Wünschen" schmückte. Die Karte für 2011 war Mubarak gewidmet, darauf die Zeile: "Ich war der Präsident."

Karikatur-Ausstellung
:Großkopferte und Kiffer

Bunt, skurril und tiefgründig: Mit viel Witz persifliert der Karrikaturist Bernhard Prinz die Mediengesellschaft und ihre Protagonisten. Eine Ausstellung zeigt seine Werke.

Ein Witz war das damals noch, knapp sechs Wochen später war es Wirklichkeit. Seither ist vieles nicht mehr wie es war in Ägypten, die Schubladen mit den versteckten Karikaturen werden geöffnet, und das Internet füllt sich mit satirischen Schöpfungen, alten wie neuen. Die Revolution wirkt äußerst anregend auf die Beobachter mit dem Zeichenstift, die es schon lange gewohnt waren, ihren Witz an den Widersprüchen von Schein und Sein in ihrem Land zu schulen.

Wir sind das Volk. "Revolution" von Qndel (Foto: Fayoum Art Center)

Dabei lernten gerade die Zeichner in der Vergangenheit auf den roten Linien zu tänzeln und ihre Grenzen auszutesten. Wie weit, das lässt sich an einem stillen Ort namens Tunis in der Oase Fayoum, eine gute Autostunde von Kairo entfernt, in einem Museum erkunden, dessen schiere Existenz so erstaunlich ist wie die gesammelten Objekte.

Zu verdanken ist dieses Karikaturen-Museum der Initiative des Künstlers und Sammlers Mohammed Abla. Schon vor fast fünf Jahren gründete Abla in der Künstlerkolonie Tunis das "Fayoum Art Center", das zu einer Oase der künstlerischen Auseinandersetzung geworden ist. Stipendiaten, auch aus weit entfernten Teilen der Welt, können hier ihre Konfrontation mit der arabischen Kultur verarbeiten. In diesem Jahr war eine junge koreanische Malerin da.

Abla besitzt eine eindrucksvolle Sammlung von über 500 ägyptischen Karikaturen aus rund einhundert Jahren, etwa 200 sind ausgestellt, die meisten davon Originale. Sein Refugium nennt der 57-Jährige, der in Alexandria und Zürich studiert hat, "das einzige Karikaturen-Museum der arabischen Welt". Der Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen hatte ihn einst besonders geärgert. Auch darauf wollte er eine Antwort geben, zeigen, dass es auch im Nahen Osten die Kunst der Karikatur gibt.

Ägyptische Karikaturisten können sich auf Urväter berufen, die schon zur Zeit der Pharaonen Satirisches auf Keramiken und Papyri hinterließen. Auch im modernen Ägypten war bereits eine beachtliche Tradition der Witzzeichnung entstanden, bevor der Einfluss europäischer Karikaturenblätter seine Wirkung hinterließ. Museumsinitiator Abla kann dies an Beispielen aus verschiedenen Epochen belegen. "Karikaturen", sagt er, "waren immer ein guter Weg, Wut auszudrücken." Und die Ägypter seien "eine Nation, die die Satire liebt". Sherif Arafa hat in einem Interview erzählt, er müsse nur auf den Straßen Kairos mit dem Auto zur Arbeit fahren, um jeden Tag Dutzende von Ideen für seine Zeichnungen zu bekommen.

Alltagsunbill, Arbeitswelt, der Zusammenprall von Arm und Reich: Komik ist ein Spiegel der Zeit - und vieles konnte karikiert werden, auch sexuelle Anspielungen waren keineswegs tabu. Da jammert eine Strichfigur über die Öffnungszeiten von Apotheken, weil sie - "und das Land" - ohne neues Viagra keine Zukunft hätten. Das konnte, wer wollte, auch als politische Anspielung auf die alternden Herrscher in der arabischen Welt lesen. Erlaubte politische Karikaturen nahmen gern Amerika aufs Korn, auch Israel war als Zielscheibe der Kritik freigegeben. Gute Karikaturen kommen nicht selten ganz ohne Worte aus. Das macht sie in Zeiten der Diktatur nicht weniger subversiv.

Nach dem Sturz Mubaraks hat Abla gleich weiter gesammelt, begeistert von der neuen Fülle, und als rühriger Organisator in Kairo sofort eine Ausstellung zur "Karikatur der Revolution" auf die Beine gestellt. Dort waren dann auch Werke von Karikaturisten und Cartoonisten aus den USA, Brasilien und anderen Ländern zu sehen, die sich von dem Umbruch beflügeln ließen und Abla ihre Werke schickten.

In den Bildern entlud sich auch noch mal die ganze aufgestaute Wut auf den Autokraten. Ein Zeichner porträtierte Mubarak in einem See aus Blut, ein anderer sperrte ihn in einen Molotow-Cocktail ein. Auch die berühmte Sphinx vor den Toren Kairos trägt Mubaraks Antlitz, während unter ihren Fundamenten das Volk hervorquillt, das sich nicht länger klein machen will.

Das Museum nahe dem Qarun-See in der grünen Idylle von Fayoum ließ sein Gründer zwischen Tomaten- und Gurkengärten im traditionellen Oasen-Stil errichten, die Lehmwände sorgen auch im glühend heißen Sommer noch für angenehme Kühle im Innern. Im Hof sitzen Studenten und zeichnen, am Wochenende kommen mehr Besucher als sonst aus dem stickigen Kairo. Wer ganz sicher gehen will, dass die Ausstellung geöffnet ist, der könne vorher anrufen, sagt Ablas Frau Christine, eine Schweizerin.

Unweit des Museums hat jemand an eine lange weiße Mauer gekrizzelt: Schweig Mubarak! Auch Revolutions-Graffiti werden in Ägypten schon gesammelt.

© SZ vom 13.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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