Plattenkabinett:Moby macht müde

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Moby (Foto: EMI Music)

Moby bringt sein elftes Album heraus und klingt seltsam retro, Pink Martini vereinen türkisches und japanisches Liedgut - und Sarah Jarosz bringt uns allen Bluegrass näher. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Gökalp Babayigit

Da haben wir's jetzt: Nach der R'n'B-isierung der Chartmusik, nach den Heerscharen an Holzfällerhemd tragenden und wahlweise Gitarre oder Banjo spielenden Folk-Interpreten bringt sich der Künstler Moby in eine Situation, die er selbst wohl nicht vorausgesehen hat. Er klingt so ... retro.

"Innocents", sein mittlerweile elftes Studioalbum, stellt den Hörer über 30 unweigerlich vor die Frage: Habe ich das nicht schon mal gehört? Doch, hast Du, lieber Hörer, zumindest was ganz ganz Ähnliches. Womit wir auch schon beim wichtigsten Charakteristikum dieser Platte wären.

Klar hat sich Moby in Damien Jurado, Mark Lanegan (Screaming Trees) und Wayne Coyne (Flaming Lips) Interpreten ins Studio geholt, die ihren Teil zur düsteren Grundstimmung des Albums beitragen. Klar hat er in Al Spx von der Band Cold Specks eine sagenhafte "Doom Soul"-Sängerin (Moby selbst bezeichnet ihren Stil als Gothic Blues) engagiert, deren eigene Sachen man sich einmal anhören sollte.

Aber dieses traumverlorene, irgendwie sphärisch und dunkel klingende Ambient-Gefühl, das "Innocents" mit viel Aufwand und immer wiederkehrendem Streichereinsatz aufbauen will, das können andere besser. Der Mann, der vom Techno kam, aus der Szene aber hochkant rausgeworfen wurde, schickt uns nochmal ans Ende der Neunziger. Denn wer sich "Play", sein bislang erfolgreichstes und 1999 erschienenes Album in Erinnerung ruft, mag zuerst an "Honey", "Porcelain" und "Why Does My Heart Feel So Bad" denken. Doch er muss zugeben: Der überwältigend große Rest der Platte aus dem Jahr 1999 klingt der Platte aus dem Jahr 2013 dann doch sehr ähnlich.

Klar wird sich wieder die eine oder andere Düsseldorfer "Szene-Bar" finden, die "Innocents" spielen wird. Aber modern klingt Moby (derzeit) nicht (mehr).

  • Wer das Album hört, geht auch in Düsseldorfer Szene-Bars.
  • Wo man das Album am besten hört: in einer Düsseldorfer Szene-Bar.
  • Wenn das Album der Soundtrack zu einem Film wäre, dann wäre der Film die maue Fortsetzung eines Films, der mal cool war.

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Paul McCartney sang vor 45 Jahren: "Take a sad song and make it better." Er sang nicht: "Take a sad song and make it somehow different and boring."

Pink Martini war es offensichtlich einerlei, wie genau Pauls Zeile nun lautete. Im Prinzip haben sie ja auch recht - McCartney riet Jude ja auch nicht wirklich dazu, traurige Lieder nachzubearbeiten. Genau das hat die zwölfköpfige Band aus Portland mit "Get Happy" aber gemacht: 16 gecoverte Stücke sind auf dem Album, und das so wunderschöne Sprachen wie Japanisch und Türkisch vereint. Es gibt nicht viele Platten, auf denen sich japanische und türkische Lieder zu französischen und deutschen gesellen. Ja, Pink Martini ist hier einzigartig, ihre Sängerinnen Storm Large und China Forbes stimmlich überragende Frontfrauen. Aber Pink Martini schafft es nur ganz selten auf diesem Album, Pauls Anweisung zu folgen und das mitunter sehr interessante Liedgut aus aller Herren Länder besser zu machen oder ihm wenigstens neuen Glanz zu verleihen.

Der deutsche Versuch heißt "Ich dich liebe" und man hört es nicht gern. Das türkische Lied "Uskudar" ist Pink Martinis Version von "Üsküdar'a Gider Iken", einem alten Volkslied. Es klingt so, wie in Deutschland verkauftes chinesisches Essen schmeckt, wenn man gerade aus China heimgekehrt ist: irgendwie verwestlicht und dadurch verhunzt.

Aber eine Unverschämtheit ist "Get Happy" trotzdem noch lange nicht. Das hat mindestens zwei Gründe. Der erste heißt Rufus Wainwright. Seine Interpretation von "Kitty come home", das seine Tante Anna McGarrigle für seine Mutter Kate schrieb, als sie sich von Loudon Wainwright trennte, ist zärtlich schön. Der zweite ist: Die Platte eignet sich großartig dafür, Großartiges zu entdecken, als Startpunkt zu dienen für Ausflüge in die Weltmusik. Ein Beispiel ist Maria Tanase: eine in Rumänien verehrte Sängerin, die man ohne Pink Martinis Version von "Pana cand nu te iubeam" wohl nicht so schnell entdeckt hätte. Welche Version besser ist, soll der geneigte Leser hier selbst entscheiden.

  • Wer das Album hört, geht auch in den Secondhandladen für Designerklamotten.
  • Wo man das Album am besten hört: auf einer Interrail-Zugreise im Erste-Klasse-Abteil von Frankreich nach Spanien.
  • Wenn das Album der Soundtrack zu einem Film wäre, dann wäre der Film ein gut gemachtes Remake, das ans Original aber nicht heranreicht.

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Apropos Folk. Da ist zum Beispiel Sarah Jarosz. Die 22-jährige Texanerin mag hierzulande nicht jedem ein Begriff sein, und hierzulande mag man auch skeptisch fragen, warum man sich in der Kategorie Folk (oder genauer: Bluegrass) nun noch eine Künstlerin anhören sollte, die mit "Build me up from Bones" bereits ihr drittes Album vorlegt. Nun, das ist einfach zu beantworten: Wir haben es bei Sarah Jarosz mit einer außergewöhnlich talentierten Künstlerin zu tun, darum. Zu Beginn führt uns Jarosz mit der roots-rockigen Nummer "Over the Edge" fast auf die falsche Fährte, deutet aber schon mal das breite Instrumentarium an: Neben einer Akustik- ist auch eine Lap-Steel-Gitarre zu hören, die Mandoline spielt Jarosz selbst.

Bei "Fuel Fire" will man ihr mit staunendem John-Turturro-Gesicht zurufen: "O Sister, where art thou?". Banjo (gespielt von Jarosz) und Mandoline hopsen hier um die Wette, dass es eine Freude ist, man mit Cowboystiefeln an den Füßen aufstampfen will.

Und wenn man bei "Dark Road" angelangt ist, in dem mit der Dobro ein weiteres Saiteninstrument zum Einsatz kommt, sieht man fast schon den amerikanischen Highway vor sich, den man nur noch ein paar Tage runterfahren muss, um endlich bei seiner Liebsten zu sein.

Reicht das, um Menschen zum Zuhören zu bringen, die mit Bluegrass und Country nichts am Hut haben? Ja, das sollte es besser. Eine junge Sängerin, die Lieder von Joanna Newsom ("The Book of Right-On") und Bob Dylan ("Simple Twist of Fate") neu interpretiert und danach noch in den Spiegel schauen kann, weil sie beiden Stücken ein ganz eigenes Leben eingehaucht hat, sollte eine Chance verdient haben. Auch und vor allem bei jenen, die ihren Musikkonsum in Zeiten der totalen und permanenten Verfügbarkeit jeder Art von Musik immer noch auf nur wenige Genres beschränken.

  • Wenn das Album hört, geht auch auf den Flohmarkt.
  • Wo man dieses Album am besten hört: auf der Interstate 35 von Austin nach San Antonio.
  • Wenn das Album der Soundtrack zu einem Film wäre, dann wäre der Film wahrscheinlich Sieger beim Sundance Festival.

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