Plattenkabinett:Die Persson bleibt standhaft

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Die schwedische Sängerin Nina Persson während eines Konzerts in Moskau (Foto: Imago Stock&People)

Cardigans-Frontfrau Nina Persson singt jetzt solo. Sucht aber leider immer noch keinen Mann. Die Mighty Oaks sind die hippsten Waldschrate Berlins. Und Sunn O))) & Ulver lassen es einfach dröhnen. Neue Alben im "Plattenkabinett", der Musik-Kolumne von SZ.de.

Von Felix Reek

Ach, Nina Persson! Der Traum schlafloser Nächte unzähliger Rocker, die in unbeobachteten Momenten die Cardigans-Alben ihrer Freundinnen auflegen. Nicht ohne Grund rufen bei jedem Auftritt der 39-jährigen Schwedin Männer lauthals: "Nina, heirate mich!" Doch die Persson bleibt standhaft. Und heiratete stattdessen den US-Filmkomponisten Nathan Larson. Mit dem hat sie jetzt nach zwei Alben unter dem Namen "A Camp" ihr erstes Soloalbum aufgenommen.

Und eigentlich ist alles wie immer. "Come bail with me, come be my man", singt sie direkt im ersten Song "Animal Heart". Mit dieser klaren, zerbrechlichen Stimme, die in den schönsten Momenten so entrückt klingt. Die heiratswilligen Jungs in den ersten Reihen heben schon wieder die Arme.

Aber so richtig will "Animal Heart" nicht zünden. Wo die Cardigans ein schiefes Gitarrensolo dazwischen warfen, plätschern bei Nina Perssons Alleingang die Keyboards. In den besten Momenten klingt das wie Blondie. Die restliche Zeit wie die Hintergrundbeschallung einer Hotellobby ("Clip Your Wings"). Weh tut das keinem. Doch zu allem Übel sind auch noch die Hits rar gesät. Zumindest "Food For The Beast" stampft sich mit Disco-Beat ins Gedächtnis. Ärgert dann aber mit banal-wirren Zeilen wie "Last time I quit smoking, there was a flash. Then came a voice on the radio sent me into the light".

Zwingend ist "Animal Heart" nur in den ganzen ruhigen Momenten, wie etwa im letzten Song "This Is Heavy Metal". Da singt Nina Persson wieder so zuckersüß zur Pianobegleitung, dass man sich das mit dem Heiratsantrag noch mal überlegen möchte. Filmkomponist hin oder her. Doch wenn der Rausch der Hormone abgeklungen ist, wünscht man sich vor allem eines: Wäre es doch Heavy Metal!

Was würde Ozzy Osbourne sagen? Nett.

Wo hört man dieses Album am besten? Auf der eigenen Hochzeit.

So müsste das Album eigentlich heißen: Cardigans verzweifelt gesucht.

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Neulich in der "DSDS"-Kantine. Mia-Sängerin Mieze zu Dieter Bohlen: "Du Diedä, das mit den Justin-Bieber-Kopien, die wir hier casten, das macht doch alles keinen Sinn. Was wir brauchen, das ist der hippe Scheiß, was Echtes, also so mit Herz, für die Jungen, Nachhaltigkeit halt, Mensch!" "Was schlägst du vor?" "Na ja, so was wie Mumford & Sons, poppiger Folk, nicht zu sperrig, der auch in einem Apple-Werbespot laufen könnte und keinen stört. Vollbärte sollten sie natürlich haben, oder zumindest Schnurrbärte. Und wenn sie nicht aus Berlin sind, macht es eh keinen Sinn." "Gibt es doch schon." "Ach, wirklich?" "Ja, Mighty Oaks heißen die. Mit dem ersten Album direkt bei Universal gelandet."

Mighty Oaks sind der Traum jeder Plattenfirma. Drei Musiker aus drei Ländern (USA, England, Italien), die sich in Berlin niederließen, um sich ganz auf das Songschreiben zu konzentrieren. Die erste EP "Driftwood Sea" nahmen sie 2010 noch im Wohnzimmer auf, zwei Jahre später spielten sie schon vor den Kings Of Leon. Besser könnte sich das in Zeiten, in denen "Indie" der neue Stadionrock ist, kein Musikmanager ausdenken.

Die erste Single "Brother", die gleichzeitig der erste Song des Albums ist, klingt genau so wie erwartet: hymnisch, ein penetrant braver Ohrwurm, den man bereits nach einmaligem Hören mitheulen kann. Ein Lied, das auch im Hintergrund laufen könnte, während der neue iPhone-Spot im Fernsehen läuft. Im dazugehörigen Video rennen Kinder durch den Wald, steigen auf Bäume, lassen Drachen steigen und das Sonnenlicht flirrt auf der Linse der Kamera. Hach, ist das Leben schön. Und dieser Song langweilig.

Was die Mighty Oaks rettet, ist, dass sie bereits beim vierten Song merklich den Fuß vom Gas nehmen. "When I Dream, I See" startet verhalten, lässt der Melancholie, die auf dem ganzen Album mitschwingt, mehr Raum. Von da an wird "Howl" zwingender. Der Pop macht Platz für den Folk. "Shells" und "Captain's Hill" erinnern an die wehmütigsten Momente von Ryan Adams, "Saved My Soul" an Crosby, Stills, Nash & Young. "Howl" schließlich, der Titelsong, lässt viel Raum für den wunderbaren mehrstimmigen Gesang der Mighty Oaks.

Umso öfter das Album durchläuft, umso mehr entfalten die Melodien, die zurückhaltende Instrumentierung und das stampfende Schlagzeug des Berliner Trios ihren Reiz, versöhnen mit der allzu plakativen ersten Single. "Nothing can stop us now, because we found in live what's true" singen sie in "Brother" - und vielleicht haben die Neu-Berliner am Ende doch recht: Wem das rare Kunststück gelingt, Melancholie und Euphorie zu verbinden, eine Herbstplatte für den Frühling aufzunehmen, alle Kritiker zu begeistern, hat es mehr als verdient, direkt mit dem ersten Album auf einem Major-Label zu landen. Soll Dieter Bohlen doch weiter Justin Bieber casten.

Was würde Ozzy Osbourne sagen? Läuft das schon? Ich höre nichts.

Wo hört man dieses Album am besten? An einem lauen Frühlingstag, hüpfend und jauchzend auf einer Blumenwiese.

So müsste das Album eigentlich heißen: Grüße aus dem Jutebeutel.

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Ein Sunn O))) Konzert funktioniert in etwa so: Man nehme eine beliebige Konzerthalle, gerne auch ehemalige Kirchen, und flute etwa eine halbe Stunde lang die Örtlichkeit mit Nebel, bis der geneigte Headbanger die schon in Vorfreude eifrig gereckte Pommesgabel nicht mehr vor Augen sieht. Dann erscheinen die Gitarristen Stephen O'Malley und Greg Anderson in Mönchskutten vor einer imposanten Verstärkerwand. Sehr zum Leidwesen aller Anwesenden stellt sich spätestens jetzt heraus, dass es sich dabei nicht, wie mittlerweile üblich, um Attrappen handelt. Ein wirklich ohrenbetäubendes Brummen setzt ein, das in so tiefen Frequenzen wühlt, dass es den ganzen Körper erfasst.

Rhythmus, Struktur, gängige Songstrukturen - gibt es nicht in der Musik von Sunn O))). Eher eine Art kosmisches Dröhnen, wie aus den Filmen David Lynchs. Musik, die klingt wie der Dialog zweier Planeten. Das einzuordnen, fällt schwer. Amazon etwa listet die Alben des Duos zeitgleich unter "Metal & Hardrock" und "Dance & Electronic". Branchen-Magazine berichten über Sunn O))), weil O'Malley und Anderson ursprünglich aus der Black-Metal-Szene stammen. Das Feuilleton, weil so viel Anti-Pop schon wieder Kunst ist. Die wirkliche Kunst von Sunn O))) ist aber, dass sie dieses Konzept-Dröhnen auch in Albenform umsetzen können.

Besonders interessant wird es, wenn das Duo mit anderen Musikern kollaboriert. In diesem Fall Ulver aus Norwegen, die in 20 Jahren Bandgeschichte so ziemlich alles aufgenommen haben, von der Metal-Schlachtplatte über Trip-Hop, Ambient, Elektronika bis hin zu Filmsoundtracks. Das Ergebnis ist keine leichte Kost, angesichts des Oeuvres beider Bands aber geradezu Easy Listening.

2008 traf man sich in Oslo im Studio von Ulver und improvisierte, in den folgenden sechs Jahren nahmen die Musiker weitere Instrumente wie Bläser und Streicher auf. Das Ergebnis sind die drei Stücke auf "Terrestrials", von denen nur eines knapp unter zehn Minuten ist. Dementsprechend gemächlich geht es los: "Let There Be Light" plätschert vor sich hin, ein zäher Sonnenaufgang, der das Album einläutet. Die ersten Bläser ertönen, steigern sich, halten inne, um noch mal mit Unterstützung von Pauken und Trompeten in voller Pracht zurückzukehren.

"Western Horn" hingegen schwebt über neuneinhalb Minuten düster im Raum und könnte auch wunderbar als Soundtrack für den nächsten Lynch-Film dienen. Wenn gerade mal wieder unverständlicherweise ein Zwerg durchs Bild hüpft.

Bis zum ersten Mal Gesang ertönt, vergeht fast eine halbe Stunde. Im epischen "Eternal Return" haucht sich Kristoffer Rygg durch eine fast schon eingängige Synthie-Untermalung. Als sich seine Stimme schließlich klar und dunkel erhebt, ist "Terrestrials" schon fast vorbei. Aber das Dröhnen, das Dröhnen bleibt.

Was würde Ozzy Osbourne sagen? Ich glaube, die Boxen sind kaputt.

Wo hört man dieses Album am besten? Im Planetarium. Laut.

So müsste das Album eigentlich heißen: Lynch plays Bass.

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