Philosophie:Nach den Schwarzen Heften

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Nach heftigen Debatten und neuen Erkenntnissen über Martin Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus hat Günter Figal seine Einführung in dessen Werk überarbeitet.

Von Michael Stallknecht

Die Debatten schlugen hohe Wellen, als in den vergangenen beiden Jahren schubweise Martin Heideggers "Schwarze Hefte" erschienen. Belegten die aphorismenhaften Notizbücher, die der Philosoph als letzten Teil der Gesamtausgabe veröffentlicht sehen wollte, doch, dass Heideggers Engagement für den Nationalsozialismus tiefer und länger anhaltend gewesen war, als bis dahin in der Forschung verbürgt galt. Im Zentrum stand dabei immer wieder auch der Philosoph Günter Figal, der - quasi als direkter Nachfolger Heideggers und seines Lehrers Edmund Husserl - an der Universität Freiburg lehrt. Einige Monate nach dem Erscheinen trat er vom Vorsitz der Martin-Heidegger-Gesellschaft zurück, schließlich wollte die Universität Freiburg sogar den Lehrstuhl umwidmen. Nun hat Figal seine erstmals vor zwanzig Jahren erschienene Einführung zu Martin Heidegger auf den neuesten Stand gebracht. Schließlich verschaffen sich gerade auch viele Studierende mittels der weitverbreiteten "weißen Hefte" aus dem Junius Verlag einen ersten Eindruck zum Werk eines Philosophen.

Woran sind sie also laut Figal in Sachen Nationalsozialismus bei Martin Heidegger? Wie üblich beginnt die Betrachtung hier mit Heideggers Rektoratsrede, in der der frisch erkorene Rektor der Freiburger Universität im Jahr 1933 Philosophie und Politik fatal zur Deckung zu bringen suchte. Heidegger habe sich regelrecht in die nationalsozialistische Revolution gestürzt, so Figal, die in ihrem antibürgerlichen Gestus seinem lebensreformerischen Impetus entgegengekommen sei. In einer "höchst befremdlichen tour de force" habe Heidegger den nationalsozialistischen "Aufbruch" deshalb auf die eigene Philosophie zu verpflichten versucht. Dass dieser "Aufbruch" kein philosophischer wurde, sah Heidegger durchaus selbst und legte 1934 das Amt des Rektors nieder.

Doch lässt sich dies für Figal - und das ist das eigentlich neue Moment - keineswegs mit Heideggers Abschied vom Nationalsozialismus gleichsetzen. Da er die Politik nicht habe auf seine Philosophie verpflichten können, habe er nun vielmehr die eigene Philosophie revidiert, um an einer "volklich gegründeten Welt" festhalten zu können. Die "Skizze für die Durchführung dieses Programms" erkennt Figal in den "Schwarzen Heften", auch und gerade wo diese Kritik am Nationalsozialismus enthalten ist. Was Heidegger gestört habe, sei nicht der Nationalsozialismus als Programm gewesen, sondern dessen alltägliche, ihm zu kleinbürgerlich erscheinende Realität.

Hier haben denn auch die Passagen ihren Platz, die erstmals antisemitische Züge in Heideggers Werk sichtbar machten. Durchaus "im Sinne des nationalsozialistischen Antisemitismus" habe Heidegger die verfolgten Juden zu Gegnern der eigenen Philosophie stilisiert, indem er ihnen ein "rechnendes Denken" zuschrieb. Was zuvor Teil von Heideggers genereller Kritik an der Moderne gewesen war, wird konkret ins Antisemitische gewendet. Auch den Lehrer Edmund Husserl nimmt Heidegger dabei nicht aus, obwohl er, wie Figal zeigt, gewusst haben muss, dass Husserl selbst in jenen Jahren an einer Rationalitätskritik arbeitete.

Es wäre vielleicht interessant gewesen, noch mehr solcher konkreten lebensweltlichen Bezüge heranzuziehen. Figal bleibt da, wohl auch aus Platzgründen, bei einer strikt immanenten Betrachtung des philosophischen Werks, dessen Bedeutung als Ganzes er nicht infrage stellt. Heideggers Philosophie lasse sich "von der Ideologie, die ihn zumindest eine Zeit lang beherrschte" durchaus unterscheiden. Selbst in den 30er- und 40er-Jahren gebe es Gedanken, die "auch ohne die ideologischen Konkretisierungen, die Heidegger von ihnen gibt", kritisch diskutiert werden könnten. Als Beleg verweist Figal vor allem auf die umfangreiche bisherige Wirkungsgeschichte Heideggers. Die Philosophie nach Heidegger lasse sich ohne ihn schlicht nicht verstehen, auch wenn das für Figal niemals eine blinde Gefolgschaft bedeuten darf.

Eine Einführung kann eine Debatte nicht stillstellen, sie soll es auch gar nicht. Kritiker Heideggers werden weiter danach forschen, wo sich ideologische Spuren im Gesamtwerk finden. Auf der Gegenseite wird man weiter zu zeigen versuchen, dass Heidegger in den "Schwarzen Heften" doch substanzielle Kritik am Nationalsozialismus äußere. Wer da eine Haltung finden will, muss selbst lesen. Und genau dafür sind Einführungen ja letztlich da.

Günter Figal: Martin Heidegger zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2016. 184 Seiten, 13,90 Euro.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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