Paul Thek: "Artist's Artist":Blutige Beweise

Zwischen Männern, Frauen, Drogen und klösterlicher Askese: Dass der Boxkampf mit dem Leben zumindest in der Kunst ergreifend sein kann, zeigt Paul Thek. Die Bilder.

Till Briegleb

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Zwischen Männern, Frauen, Drogen und klösterlicher Askese: Dass der Boxkampf mit dem Leben zumindest in der Kunst ergreifend sein kann, beweist Paul Thek. Die Bilder. Es gelingt nicht vielen Menschen, ihr persönliches Leid öffentlich zu machen, ohne dabei prätentiös zu wirken. Paul Thek, der seinen Schmerz an der Welt in ein auswucherndes Werk voll widersprüchlichster Obsessionen verwandelt hat, ist aber ein blutiger Beweis, dass der Boxkampf mit dem Leben zumindest in der Kunst ergreifend sein kann. Geschont hat sich Paul Thek in seiner lebenslangen Sinnsuche wahrlich nicht. Er bangte um seine Seele in katholischen Metaphern, während er sich in die bewusstseinserweiternden Drogen verlief. Er erhoffte sich Glück bei Männern wie Frauen, pendelte zwischen Alter und Neuer Welt auf der Suche nach geistiger Heimat, erkor den Exzess in Abwechslung mit dem Wunsch nach klösterlicher Askese zum Ort seiner Selbstfindung und schuf dabei unaufhörlich Kunst, die seine Zerrissenheit symbolisch überhöhte.Text: Till Briegleb/SZ vom 20.7.2009/jederUntitled (Woman with Pearl and Ruby Necklace), ca. 1963/Foto: Estate of George Paul Thek

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In seinen riesigen Installationen und Prozessionswegen, die er in den Siebzigern in europäischen Museen und auf der Documenta aus Fundstücken und Billigmaterialien baute, inszenierte Thek sich als Architekt einer Sinnwelt, in der Transzendenz und Trivialität spannungsgeladene Beziehungen eingingen. Ausgestopfte Tiere, Gartenzwerge, Haushaltsgegenstände, Pornographie und Objekte aus Zeitung bildeten mit babylonischen Türmen, Pyramiden, Kreuzwegen, Archen und Gräbern begehbare Privatmysterien, die Ruhe und Unbehagen zugleich boten. Ein starkes Rätsel ging von diesen Kunstwelten aus und machte einige Jahre Furore, bis Theks am Widerspruch des Lebens entzürnte Vernunft schlappmachte und der Markt den Künstler ins Vergessen entließ.Untitled, 1968/Foto: MUMOK Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, ehemals Sammlung Hahn, Köln; © Estate of George Paul Thek

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Da Theks immer wieder recycelte Installationen weder erhalten sind noch rekonstruiert werden können, sind es vor allem seine objekthaften Versuche, die Leidensfähigkeit Christi an der eigenen Figur durchzuexerzieren, die in den letzten Jahren in Ausstellungen auftauchten und die Thek-Renaissance bewirkten. Die "Reliquien" aus plexiglasumhüllten Nachbildungen von Fleischstücken, die verstümmelten Abgüsse des eigenen Körpers, die Thek mal in ein Grab legte oder als schwebende Heilandsfigur zwischen Fischen unter einen Tisch band, und die zahllosen Apparaturen, die abgerissene Körperteile mit schönen Objekten verbanden, haben eine Intensität des geschundenen Körpers, die sonst nur noch Francis Bacon erreicht hat.Rundfahrt (from the Series "Technological Reiquaries"), 1964/Foto: Bettina Haneke; © Estate of George Paul Thek

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Dass Thek dreißig Jahre nach seiner Erfolgszeit und zwanzig Jahre nach seinem Aids-Tod 1988 heute seine kunsthistorische Wiederauferstehung erlebt, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er unter Künstlern immer ein hohes Ansehen besaß, die wie er aus komplexen Bezügen und Materialien ihre Kunst entwickelten. Die große Monographie zu Paul Thek, die jetzt erschienen ist, trägt deswegen auch den so treffenden wie schwer auszusprechenden Titel "Artist's Artist".La Corazza di Michelangelo, 1963/Foto: Bettina Haneke; © Estate of George Paul Thek

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Entstanden ist das Buch aus einer großen Ausstellung im ZKM Karlsruhe und der Sammlung Falckenberg in Hamburg, die Theks enormen Einfluss auf Künstler wie Mike Kelley, Jonathan Meese, Martin Kippenberger, Paul McCarthy oder Cosima von Bonin belegte. Harald Falckenberg und Peter Weibel haben versucht, ein möglichst vollständiges Bild von Theks kunstvollem Leiden zu zeichnen. Eine umfassende Recherche nach Werkzeugnissen und Zeitzeugen erlaubt es diesem Band, ein wirklich facettenreiches Bild dieses bedeutenden Verzweiflungstäters zu bekommen, das auch seine weltlichen und humorvollen Seiten erfasst. Denn ohne Witz und Ironie, die Theks Sinnsuche immer begleitet haben, wären die Zeugnisse seiner Kunst vielleicht doch prätentiös geworden.Harald Falckenberg, Peter Weibel (Hrsg.): Paul Thek - Artist's Artist. MIT Press, Cambridge, Massachusetts 2009. 640 Seiten, 42 Euro.The Dwarf Parade Table, 1969/Foto: Estate of George Paul ThekAlle Fotos entstammen dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe

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