Oper:Wo die Heimat fremd ist

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Musikalische Recherche auf vier Rädern: mit dem Operndolmus nach Istanbul mit Halt am Giesinger Bahnhof. (Foto: Robert Recker)

Der Opernbus der Komischen Oper hält im Hasenbergl und in Giesing

Von Egbert Tholl, München

Die erste Frage von Johanna Wall, Dramaturgin an der Komischen Oper Berlin und eine Art Reiseleiterin dieses Unternehmens, lautet: "Wo ist denn hier der soziale Brennpunkt?" Vermutlich ist man in Berlin Härteres gewohnt als den Münchner Norden, zumal das Kulturzentrum an der Blodigstraße auf bemerkenswerte Weise vergessen macht, dass es hier früher ein klein bisschen rauer aussah. Wobei: Hier, im südlichen Hasenbergl, ging es immer gemütlich zu, mal konferierten die Republikaner im Wirtshaus, mal ging man zum Wochenmarkt. Den gibt es noch, die Republikaner nicht mehr, und doch gilt das Hasenbergl als schwierig, aber nur bei denen, die das Viertel nicht kennen. In der Realität geht es hier eher urfad zu, so dass man sich freuen kann, einen späten Nachmittag lang Oper zu erleben. Dafür müssen erst die Vertreter der Komischen Oper aus Berlin anreisen, von den Münchner Institutionen kommt offenbar keine auf die Idee, mal dort etwas aufzuführen, wo nichts ist - "Bunnyhill" der Kammerspiele ist auch schon lang her.

Seit einigen Jahren bereist der "Operndolmuş", also das Opernsammeltaxi der Komischen Oper Berliner Kieze, nun machte sich der Bus auf zu einer Reise bis nach Istanbul, auf der sogenannten "Gastarbeiterroute". Erste Station: München, Hasenbergl und Giesinger Bahnhof. Die Reise ist auch Recherche, wobei sie schon ein Fundstück im Gepäck haben, "Dağlar, dağlar" von Bariş Manço, quasi Türkpop mit Grandezza, Schellen und Füßchen, von der gebürtigen Sächsin Julia Domke vorgetragen, als täte sie den ganzen Tag nichts anderes, als Gäste im Serail zu bespaßen. Überhaupt wirken die Sopranistin und ihr Tenor-Partner Johannes Dunz, als habe die Komische Oper eine Zucht von Manufaktum-Sängern im Keller, so prächtig und in schönster Weise altmodisch treten die beiden auf - eine echte Freude.

Begleitet von Geige (Andreas Bräutigam), Bass (Arnulf Ballhorn) und Bajan (Knopfakkordeon, Juri Tarasenók) singen sie Arien von Fernweh und Unbehaustsein, Mozart, Monteverdi, Dvořák, Tschaikowski, Bizet, träumen davon, dass "Irgendwo auf der Welt" ein kleines bisschen Glück wartet. So wie Rusalka, die kleine Seejungfrau, keiner Welt zugehört, nicht der, aus der sie weg will, nicht der, wo sie hin will, so beschreiben die Lieder und Arien in diesem Zusammenhang den Zustand von Menschen im Transit. Gut gelaunt dabei, stets positiv in die Zukunft blickend. Dann unterhält sich Wall noch mit Aylin Aykan, türkischstämmige Pianistin und waschechte Münchnerin, die von den Urlaubsfahrten ihrer Kindheit in die Türkei berichtet. Auf dem Autoput in eine fremde Heimat.

© SZ vom 02.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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