Oper:Stimmen der Erinnerung

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Starke Akteure in und unter der fahrbaren Raumstation: Wiard Witholt (Kelvin), Roman Poboinyi (Snaut) und Jihyun Cecilia Lee (Hari). (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Dai Fujikuras "Solaris" als deutsche Erstaufführung in Augsburg

Von Egbert Tholl, Augsburg

"Solaris". Seltsam ist dieser Roman von Stanisław Lem sicherlich, viel weniger griffig als die großen Zukunftsromane wie "1984" oder "Fahrenheit 451". Weil dieses Buch nicht unmittelbar oder je nach Sichtweise überhaupt nicht politisch funktioniert. Aber vielleicht ist es gerade deswegen ein guter Opernstoff. Drei Mal wurde es inzwischen vertont. Das erste Mal 1996 von Michael Obst für die Münchner Musiktheaterbiennale, wo "Solaris" einen untheatralischen Eindruck artifizieller Langeweile hinterließ, den allerdings sieben Jahre später eine Produktion der Bayerischen Theaterakademie zusammen mit der Münchner Musikhochschule umfassend revidierte. Ein Jahr zuvor, also 2012, war bei den Bregenzer Festspielen Detlev Glanerts "Solaris" herausgekommen, was einen auch nicht aus dem Stand in völlige Begeisterung versetzte. Zu überschaubar die musikalischen Mittel, zu seifig das Ende, ein kaum endender Monolog über die esoterische Seite der Humanität.

Offenbar gibt es bei "Solaris" das Dilemma, dass der Stoff die Komponisten anregt, sie aber nicht zu ihren allerbesten Leistungen animiert, von der auch dank prägnanter Kürzungen überzeugenden Theaterakademie-Produktion einmal abgesehen. Nun gibt es "Solaris", die dritte, komponiert von Dai Fujikura, geboren 1977 in der Präfektur Osaka. Das Werk hatte seine Uraufführung im März 2015 am Théâtre des Champs Elysées in Paris, nun kam es als deutsche Erstaufführung am Theater Augsburg heraus. Klar, der unmittelbare Eindruck ist immer der stärkste, aber man muss die drei nun existierenden "Solaris"-Opern gar nicht gegeneinander aufrechnen. Fujikura und sein Librettist Saburo Teshigawara (die Oper wird auf Englisch gesungen) lassen von dem Science-Fiction-Setting gerade so viel übrig, dass es als Bildanleitung (oder Hilfe) für mögliche Inszenierungen taugt - wie auch in Augsburg. Aber eigentlich geht es hier nicht um irgendetwas in der Zukunft. Sondern es geht um Vergangenheit, die quält.

Bei Lem und damit in allen drei Opern kommt Kris Kelvin auf die Forschungsstation des Planeten Solaris, der von einem Plasma-Ozean beherrscht wird. Kelvin (Wiard Witholt) findet seinen Kollegen Snaut (Roman Poboinyi) am Rande des Irrsinns vor, der dritte Forscher, Gibarian (Stanislav Sergeev) lebt gleich gar nicht mehr, nur noch als Video respektive als gut durchgekühlte Wanderleiche. Er brachte sich um, weil der Plasma-Ozean den Forschern Besucher schickt. Aus der Vergangenheit. Und so trifft Kelvin bald Hari wieder (Jihyun Cecilia Lee), einst seine Frau, die sich vor zehn Jahren umbrachte, als Kelvin sie im Stich ließ. Nun liebt sie ihn noch immer, als Figuration der Erinnerung, erschaffen vom Plasma. Im Grunde also ist "Solaris" nichts anderes als ein szenischer, klingender Essay über die Macht der Vergangenheit, Schuld, Gewissen.

Auch wenn Robert Schweer eine effektvolle Raumstation aus Schienen gebaut hat und Dirk Schmedings Inszenierung die äußere Handlung plastisch macht: Die Musik ist Psychologie, rau und flirrend, in Momenten abenteuerlich schön, dann wieder vom Percussion zerhackt. Kelvins Innenleben ist eine Stimme (Alexander York) aus dem Off, ein dreidimensionalem Raumeffekt, ein zusätzlicher Sog in einem sehr suggestiven und stark umgesetzten Stück Musiktheater.

© SZ vom 29.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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