Neues Album: Radiohead:Der Geist in der Maschine

Als die Band Radiohead ihr 2007 erschienenes Album nur im Internet verkaufte, warfen ihr manche Arroganz vor. Die neue Platte gibt es nun wieder im Laden - und ist die ideale Musik für die komplexe Internetgesellschaft.

M. Stempfhuber

Weder ihre Fans noch ihre Kritiker scheinen es Radiohead zu erlauben, einfach nur ein gutes Album vorzulegen. Zu groß sind die Erwartungen an die fünfköpfige Indie-Band aus Oxford, die mit OK Computer (1997) eines der besten Pop-Alben der neunziger Jahre aufnahm und drei Jahre später das wegweisende Kid A, auf dem sie sich vom hymnischen, gitarrenlastigen Indierock verabschiedeten und sich der elektronischen Musik zuwendeten. Zu Recht gilt die Platte als eine der besten und wichtigsten des vergangenen Jahrzehnts.

Thom Yorke

Sogar Vogelstimmen-Samples klingen nicht nur kitschig-pastoral: Niemand schafft es so elegant wie Radiohead, der digitalen Entfremdung Momente ungeheurer Schönheit abzugewinnen.

(Foto: AP)

Dass sie nicht nur die Befindlichkeit der Generation Internet vertonen, sondern das Medium auch virtuos instrumentalisieren können, bewiesen sie mit ihrem 2007 erschienenen Album In Rainbows. Weil sie sich gerade von ihrem Label EMI getrennt hatten, veröffentlichte die Band die Platte kurzerhand selbst im Internet - mit einem ungewöhnlichen Geschäftskonzept: Jeder durfte für den Download so viel bezahlen, wie er wollte.

Letztlich ließ die Sache allerdings manche Frage offen. Sollte die autonome Vermarktung etwa als wegweisend für junge und unbekannte Künstler angesehen werden oder zeugte sie nur von der Arroganz einer längst erfolgreichen Band? Das Gerücht, dass tatsächlich weniger als die Hälfte des Publikums bereit war, etwas für das Album zu bezahlen, hält sich ebenso hartnäckig wie das Gerücht, dass ein Großteil der Downloads gar nicht über die offizielle Seite der Band getätigt wurden, sondern über Filesharing oder digitale Tauschbörsen. Kritiker wie Robert Smith von The Cure halten die "Zahl-so-viel-es-dir-wert-ist"-Idee für idiotisch, weil sie den Wert geistigen Eigentums und künstlerischer Kreativität radikal entwerte.

Das neue, achte Radiohead-Album The King Of Limbs kann man nun seit Samstag von der Band-Homepage als MP3-Version für sieben Euro und als nichtkomprimierte WAV-Version für 11 Euro herunterladen. Vom 8. März an wird es als CD in den Musikläden erhältlich sein.

Dass der Titel angeblich auf eine tausendjährige Eiche in der britischen Grafschaft Wiltshire verweist und dass Thom Yorkes kryptische Texte immer wieder auf botanische und sogar pastorale Bilderwelten zurückgreifen, täuscht dabei über das musikalische Territorium hinweg, das Radiohead bereist. Von den ersten Takten der eigentümlich formlosen, repetitiven Auftaktnummer Bloom an stolpert ein etwas schiefer elektronischer Beat unter den Melodie-Fragmenten umher.

Fast hat man das Gefühl, es mit einem Solo-Album von Sänger Thom Yorke zu tun zu haben, der Kid A ja als das Album bezeichnete, nach dem alles auf den Rhythmus ankomme, weil Melodien im neuen Jahrtausend passé seien. "The King of Limbs" hört man an jeder Stelle an, dass sich die Band vom derzeit unvermeidlichen Post-Dubstep inspirieren ließ.

Radiohead wurde oft vorgeworfen, alles Menschliche ihrer Musik in der Komplexität vertrackter Rhythmen und abstruser Akkordfolgen untergehen zu lassen. Tatsächlich ist auch das neue Album ein von distanziert und konzentriert arbeitenden Künstlern geschliffener Diamant. Aber immer wieder schimmern Momente überraschender Schönheit und Einfachheit durch die kalte Oberfläche.

Zwei der Höhepunkte des nur acht Songs umfassenden Werks sind Tracks, die man als Balladen bezeichnen könnte. In Codex wird die Rhythmus-Maschine zum ersten Mal abgeschaltet und ein optimistisches, von einfachen Klavierakkorden getragenes Melodiefragment schafft sich so lange Raum, bis selbst ein Streicherarrangement in die karge Landschaft passt. Und in Give Up The Ghost darf Jonny Greenwood sogar zur akustischen Gitarre greifen, um ein apokalyptisches Lagerfeuer-Lied anzustimmen. Da klingen dann sogar Vogelstimmen-Samples nicht nur kitschig-pastoral.

Mit anderen Worten: Niemand schafft es so elegant wie Radiohead, der digitalen Entfremdung Momente ungeheurer Schönheit abzugewinnen. Es ist die idealtypische Hintergrundmusik einer komplexen Internetgesellschaft, die auf der Suche nach dem Geist in der Maschine ist.

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